Wie aus Szenarien Handlungsoptionen für energiepolitische Entscheidungsprozesse werden

DLR
- Im Projekt SCOPE.efzn analysieren DLR-Forschende ausgewählte Energieszenarien. Damit schaffen sie die Arbeitsgrundlage, um im weiteren Projektverlauf auf breiter wissenschaftlicher Datenbasis Handlungsoptionen ableiten zu können.
- Eine erste Identifikation von Spannungsfeldern sowie die Methodik und Vorgehensweise hat das Projektteam dem projektbegleitenden transdisziplinären Sounding Board am 23. Oktober 2025 in Berlin präsentiert.
- Das Vorhaben wurde vom Niedersächsischen Ministerium für Umwelt, Energie und Klimaschutz ins Leben gerufen und läuft noch bis Juni 2026.
- Schwerpunkte: Energie, Verkehr, Szenarien, Wissenstransfer
Im Projekt SCOPE.efzn ist die wissenschaftliche Analyse nicht das Ziel, sondern der Ausgangspunkt der Forschung
Zahlreiche Studien skizzieren anhand wissenschaftlicher Szenarien mögliche Entwicklungspfade des zukünftigen Energie- und Verkehrssystems in Deutschland. Einige haben einen rein prognostischen Charakter oder untersuchen ergebnisoffen die Wirkung bestimmter Maßnahmen, andere hingegen zeigen technisch und ökonomisch plausible Wege auf, wie die energiepolitischen Ziele Deutschlands und insbesondere die Klimaneutralität im Jahr 2045 erreicht werden kann. Sie alle beruhen aber auf zum Teil sehr unterschiedlichen Randannahmen, etwa in Bezug auf die Bevölkerungsentwicklung, die Wirtschaftsleistung und -struktur, Energieträger-Preise oder Technologieentwicklung. Darüber hinaus unterscheiden sich die verwendeten Modelle in Bezug auf Methodik, Systemgrenzen und technologischer Granularität. Im Ergebnis stehen zahlreiche methodisch saubere Analysen, die jedoch zu teils erheblich abweichenden Schlussfolgerungen kommen.
Im Forschungsprojekt SCOPE.efzn betrachten Forschende des Instituts für Vernetzte Energiesysteme diese Sammlung wertvoller Einzelergebnisse derzeit in einer Metaanalyse – verbunden mit dem übergeordneten Projektziel, aus den gewonnenen Erkenntnissen konkrete Handlungsoptionen für energiepolitische Entscheidungsprozesse bereitzustellen. Der Weg dorthin ist durchaus komplex: Zunächst geht es darum, Transformationsstrategien für Sektoren und Energieträger zu identifizieren, bei denen die verschiedenen Szenarien zu deutlich unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Auf Basis dieser identifizierten Spannungsfelder werden anschließend zusammen mit weiteren Projektbeteiligten ein Referenzszenario sowie Sensitivitätsanalysen entwickelt. Aus diesen lassen sich schließlich mit Hilfe eines Energiesystemmodells die Konsequenzen der Unsicherheiten für den Transformationsprozess ausloten. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse bilden schließlich die Basis, um auf einer einzigartig breiten wissenschaftlichen Datengrundlage konkrete Handlungsoptionen benennen zu können.
Um eine praxisnahe und -relevante Qualitätssicherung der Annahmen im Vorfeld der Modellierung zu gewährleisten, hat das DLR-Projektteam dem projektbegleitenden Sounding Board, einem transdisziplinären Gremium unterschiedlicher Akteursgruppen, am 23. Oktober 2025 in Berlin seine erste Identifikation von „Spannungsfeldern“ sowie seine Methodik und Vorgehensweise vorgestellt. Vor allem drei Themenschwerpunkte dienten dabei zur Veranschaulichung der Spannungsfelder in aktuellen Energieszenarien: die Entwicklung des Strombedarfs, die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien und des daraus resultierenden Bedarfs an flexibler Stromerzeugung sowie Berechnungen zu Bedarf und Bereitstellung von Wasserstoff.
Grundsätzlich stimmen alle betrachteten Szenarien darin überein, dass der Strombedarf insgesamt stark steigen wird – verursacht durch einen verstärkten Strombedarf für Wärmepumpen, Elektroautos, elektrisch erzeugte Prozesswärme in der Industrie oder für die Elektrolyse zur Erzeugung von Wasserstoff. Gleichzeitig fällt auf, dass die Annahmen zum absoluten zukünftigen Bedarf zum Teil erhebliche Unterschiede zwischen den Szenarien aufweisen, weil sie zum Beispiel von unterschiedlichen Import-Quoten für Wasserstoff – und entsprechend von abweichendem inländischen Strombedarf für Elektrolyseure – ausgehen. Besonders groß sind die Unterschiede zwischen Szenarien, die Wege zu einem klimaneutralen Energiesystem in Deutschland beschreiben, und Szenarien, die beleuchten, wie sich das Energiesystem ohne zusätzliche Maßnahmen zur Zielerreichung entwickeln würden. An diesem Beispiel verdeutlicht Dr. Thomas Vogt, Abteilungsleiter Energiesystemanalyse am Institut für Vernetzte Energiesysteme: „Energieszenarien sind kein Blick in die Glaskugel. Sie sind Werkzeuge, um mögliche Zukünfte zu verstehen.“ Doch nicht alle Szenarien verfolgten das gleiche Ziel, wie er betont: „So zeigen normative Szenarien Wege zu einem gewünschten Zukunftsbild, zum Beispiel zur Klimaneutralität. Dagegen analysieren explorative Szenarien, wie sich das Energiesystem unter verschiedenen Bedingungen entwickeln könnte. Dieser Unterschied ist entscheidend, wenn wir über Annahmen, Pfade und Zukunftsbilder sprechen. Denn er bestimmt, ob wir auf ein Ziel hinarbeiten oder lediglich Möglichkeiten erkunden.“
Als eines der zentralen Spannungsfelder wurde auf dem Sounding Board-Treffen die große Bandbreite an Ergebnissen zum Energie- und Infrastruktur-Bedarf definiert – selbst bei solchen Szenarien, die Klimaneutralität 2045 erreichen. Gleichzeitig betonten die Teilnehmenden, dass die in den Szenarien skizzierten Entwicklungen, zum Beispiel beim Ersatz alter Heizungssysteme durch Wärmepumpen, beim Durchbruch der Elektromobilität oder beim Hochlauf einer Wasserstoffwirtschaft bei Weitem noch keine Selbstläufer sind, sondern durch Faktoren gehemmt werden können, die in vielen Szenarien-Studien zum Teil nur unzureichend berücksichtigt werden. Darüber hinaus wurde die Notwendigkeit betont, die Wechselwirkungen und gegenseitigen Abhängigkeiten innerhalb des Energiesystems gerade für Personen außerhalb der Wissenschaft besser aufzubereiten und zu kommunizieren.
„Die Diskussion mit Fachleuten aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Verwaltung und Zivilgesellschaft war für uns ein wichtiger erster Realitätscheck“, berichtet Tobias Naegler, der das SCOPE.efzn-Projektteam am Institut für Vernetzte Energiesysteme leitet. „Durch den partizipativen Ansatz des Sounding Boards haben wir viel über die Blickwinkel dieser Akteursgruppen und die Herausforderungen, die sie für die Umsetzung der Energiewende sehen, gelernt. Diese Perspektive hilft uns, einzelne Parameter in unseren Analysen gezielt anzupassen, Umsetzungshemmnisse in der Modellierung zu berücksichtigen und Sensitivitäts-Tests so zu designen, dass die Analysen möglichst entscheidungsrelevante Ergebnisse liefern. Von der Vielfalt der Erkenntnisse aus den Diskussionen, die gar nicht vollständig in einem Projekt umgesetzt werden können, werden wir aber sicherlich auch zukünftig noch zehren, wenn es darum geht, nachfolgende Projekte möglichst praxisnah auszugestalten.“
Hintergrund:
Organisiert wurde das Treffen des Sounding Boards vom Energieforschungszentrum Niedersachsen (efzn). Unter dem Dach des efzn sind neben dem DLR-Institut für Vernetzte Energiesysteme auch das Institut für Festkörperphysik der Leibniz Universität Hannover und das Institut für Solarenergieforschung in Hameln (ISFH) am Forschungsprojekt SCOPE.efzn beteiligt. Das Vorhaben wurde vom Niedersächsischen Ministerium für Umwelt, Energie und Klimaschutz ins Leben gerufen und läuft noch bis Juni 2026. Das Akronym SCOPE steht für „Szenarien, Optionen und Parameterräume für aktuelle energiepolitische Entscheidungsprozesse“.
Mehr Informationen:
- Meyer: „Mit wissenschaftlicher Perspektive Wege für eine klimaneutrale Energiezukunft finden“ – Pressemitteilung des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie und Klimaschutz vom 3. November 2025
- Feedback mit System für die Energieforschung – Pressemitteilung des energieforschungszentrums Niedersachsen (efzn) vom 4. November 2025