DLR Magazin 150 - page 46-47

Skizze des „Normalsegelapparates“: Das erste in Serie gebaute Flugzeug der Welt, das jetzt vom DLR gemeinsam mit dem Otto-Lilienthal-Museum Anklam nachgebaut worden
ist. Die Zeichnung war einst für einen Gleiter für Charles de Lambert angefertigt worden, einen der neun bekannten Käufer des Serienflugzeugs von Lilienthal.
Warum baut eine moderne Forschungseinrichtung wie das Deutsche Zentrum für Luft-
und Raumfahrt ein historisches Flugzeug nach?
Wir wollen damit die Leistung von Otto Lilienthal würdigen. Lilienthal war der Erste, der er-
kannt hat, dass ein gewölbter Flügel mehr als doppelt so viel Auftrieb erzeugen kann wie ein
ungewölbter. Das hat er auch in seinem Buch gut dokumentiert. Allerdings ist der Schritt vom
Flügel zum Flugzeug nicht trivial. Dieses muss um alle drei Achsen stabil sein, um fliegen zu
können. In der Forschung ist nach wie vor umstritten, ob Lilienthal ein solches eigenstabiles
Flugzeug gebaut hat. Meiner Meinung nach ist es sehr wahrscheinlich, dass Lilienthal in der Tat
der Erste war, dem dies gelungen ist. Mit unseren Untersuchungen können wir das herausfin-
den.
Was haben wir Otto Lilienthal als Pionier der Luftfahrt zu verdanken?
Lilienthal hat in wissenschaftlicher Hinsicht Ordnung in die Anfänge der Aerodynamik gebracht.
Er erkannte, welche Kräfte man messen muss und wie man sie sinnvoll darstellt, um eine Um-
rechnung vom Modell auf die Großausführung zu ermöglichen. So hat er die Lilienthal-Polare
erfunden – eine normierte grafische Darstellung, um den Auftrieb und den Luftwiderstand und
damit die aerodynamischen Eigenschaften von Flügeln und Flugzeugen zu beurteilen. Das ist
quasi die aerodynamische Visitenkarte eines Flugzeugs. Otto Lilienthal war der Erste, der wissen-
schaftliche Methoden zur Lösung des Flugproblems anwandte; davor gab es eigentlich nur
Bastler. Die von ihnen gebauten Flugapparate konnten sich nur für kurze Zeit in die Luft erheben,
sie machten nur Hüpfer. Lilienthal ist wirklich geflogen. Der Tag, an dem er seinen ersten Flug
unternahm, gilt zu Recht als der Tag, an dem die Menschheit fliegen lernte.
Wie ist Otto Lilienthal bei der Konstruktion seines Flugzeugs vorgegangen?
Im Grunde ähnlich wie wir Luftfahrtforscher heute auch. Er hat systematisch Flügelprofile
untersucht – unter dem Gesichtspunkt: Kann der Flügel bei geringstmöglichem Widerstand
das Gewicht von Fluggerät und Pilot tragen? Er verwendete dimensionslose Beiwerte für
Luftwiderstand und Auftrieb – dieselben Werte verwenden wir im Prinzip heute auch.
Wahrscheinlich erkannte er auch bereits, dass ein Flugzeug ein starrer Körper ist, der neben
dem Flügel auch ein Leitwerk braucht, um das Gewicht und die aerodynamischen Kräfte
in jeder Fluglage im stabilen Gleichgewicht zu halten.
Zur Person
Prof. Dr. Andreas Dillmann (geb. 1961) studier-
te Maschinenbau an der Universität Karlsruhe.
Anschließend war er wissenschaftlicher Mitar-
beiter am Max-Planck-Institut für Strömungs­
forschung in Göttingen und promovierte 1989
an der dortigen Universität. 1990 wechselte er
zum Institut für Strömungsmechanik des DLR.
1995 habilitierte er sich in Göttingen und an
der Universität Hannover mit einem Thema zur
Hochgeschwindigkeitsaerodynamik. Von 1998
bis 2003 war er Professor für Theoretische Strö-
mungsmechanik an der Technischen Universität
Berlin. Seit 2003 ist er Direktor des DLR-Instituts
für Aerodynamik und Strömungstechnik in Göt-
tingen und Professor für Aerodynamik an der
dortigen Universität.
LILIENTHAL – DER MANN,
DER ORDNUNG IN DIE
AERODYNAMIK BRACHTE
Interview mit Professor Dr. Andreas Dillmann über 125 Jahre
Menschenflug und den Nachbau des „Normalsegelapparates”
125 JAHRE MENSCHENFLUG
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1893 hatte Lilienthal auf der Maihöhe in Steglitz eine „Fliegestation“
errichtet, die als Absprungort und Gleiterschuppen diente. Die Auf-
nahme stammt von Ottomar Anschütz, einem Pionier der Fototechnik.
Lilienthals Buch „Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst“ gilt heute als die wichtigste
flugtechnische Veröffentlichung des 19. Jahrhunderts und eines der großen Bücher der Tech-
nikgeschichte
Bild: Archiv Otto-Lilienthal-Museum
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