DLR Magazin 150 - page 32-33

WELTRAUMWETTER
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insbesondere vom interplanetaren Magnetfeld und davon, ob sich die
Teilchen des Sonnensturms gut in die Erdatmosphäre einkoppeln. Zu
diesem Zeitpunkt kann bereits eine genaue Vorhersage gemacht und
eine Warnung herausgegeben werden. Ab der Messung am L1-Punkt
erreicht der Sonnensturm (abhängig von der Sonnenwindgeschwindig-
keit) die Erdatmosphäre mit einem Zeitverzug von 30 bis 60 Minuten.
Dort angekommen, breiten sich die Störungen in der Ionosphäre in
zwei bis drei Stunden von den Polarregionen bis in mittlere Breiten aus.
Dadurch, dass der Einfluss des Sonnenwindes zeitlich eingegrenzt wer-
den kann, öffnet sich für die Industrie ein hilfreiches Zeitfenster. Dieses
bietet genügend Vorwarnzeit für viele Anwendungen, sodass techni-
sche Systeme zeitnah angepasst oder abgeschaltet werden können.
Stufe drei – Vorhersage: Mit empirischen und zukünftig auch physika­
lischen Modellen wird prognostiziert, wann und wo welche Störung zu
erwarten ist.
Stufe vier – Echtzeit-Verfolgung: Die Rechenmodelle werden durch Echt-
zeitmessungen der Ionosphäre stetig kontrolliert und angepasst. Da-
durch können die Wissenschaftler akkurat bestimmen, ob die Gefahr
vorbei ist, und entsprechend Entwarnung geben.
DLR-Know-how zum Weltraumwetter
Seit der Jahrtausendwende veranstaltet das DLR nationale Weltraum-
wetter-Workshops und schafft so eine Bühne für dieses immer wichti-
ger werdende Thema. Im 4. Workshop wurde 2015 ein gemeinsames
Positionspapier vorgeschlagen, an dem zurzeit noch gearbeitet wird.
Das Dokument soll nationalen Entscheidungsträgern helfen, aktuelle
Gesichtspunkte der vielschichtigen Weltraumwetter-Thematik in ihren
Entscheidungen angemessen zu berücksichtigen und vorhandene natio­
nale Ressourcen entsprechend zu nutzen.
Die stille, lebensspendende Kraft der Sonne macht Leben auf der Erde
erst möglich. Die zerstörerischen Energien der gigantischen Eruptionen
auf ihrer Oberfläche lassen sich im Alltag kaum erahnen. Doch die ener-
getischen Teilchen des Sonnenwindes sind real und treffen unsere Ge-
sellschaft an ihrem empfindlichsten Punkt: ihrer Vernetzung.
Wann wieder ein großer Sonnensturm kommt, kann niemand sagen.
Dass er kommen wird, ist gewiss. Das DLR arbeitet daran, dass die Ge-
sellschaft sich bestmöglich darauf einstellen kann.
Bild: DLR/Manuel Tennert
Fünf Fragen an Dr. Jens Berdermann
1. „Mein Job bedeutet für mich …“
:
:
… täglich neue Herausforderungen und interessante For-
schungsarbeit. Aber auch anwendungsorientierte Wissenschaft.
2. „Wenn ich eine Antwort auf eine wissenschaftliche Frage
bekommen könnte, dann wäre meine Frage …“
:
:
Hm, schwierig ... (überlegt). Allgemein vielleicht: Woraus
besteht das Universum? Was war vor dem Urknall? Schwer, sich
hier auf eine Frage begrenzen zu müssen. In meinem Arbeits-
umfeld würde mich interessieren, wie stark ein Sonnensturm
maximal werden kann und worauf wir uns im Extremfall ein-
stellen müssen.
3. „Wenn ich in den Himmel schaue, sehe ich …“
:
:
… Wolken? (lacht) Nein, ich bewege mich im Alltag (noch)
ganz normal, ohne dass ich den Kopf ständig in den Himmel
gerichtet habe ...
4. „Wenn ich mich nicht mit Weltraumwetter beschäftigen
würde, dann würde …?“
:
:
... ich mir bestimmt ein anderes spannendes Gebiet der Physik
erschließen.
5. „In 30 Jahren ist die Weltraumwetter-Forschung so weit,
dass …?“
:
:
… das Weltraumwetter wie das Erdwetter verstanden wird.
Die größten Fortschritte sehe ich im Bereich der physikalischen
Modellierung mit Datenassimilation und Vorhersage. Ich hoffe,
dass wir noch mehr direkte Beobachtungsdaten haben werden
und all diese satelliten-, aber auch bodengestützten Daten in
ein physikalisches Modell integrieren können. Dadurch wird es
möglich, zeitlich und räumlich präzisere Vorhersagen über den
Zustand der Ionosphäre zu treffen und Störungen viel genauer
vorherzusagen.
GLOSSAR
SOHO
– SOlar and Heliospheric Observatory: Europäisch-amerika-
nisches Sonnenobservatorium, das Daten über das Sonneninnere,
die Sonnenatmosphäre, die Korona und den Sonnenwind liefert.
ACE
– Advanced Composition Explorer: NASA-Satellit, der den
Sonnenwind sowie solare, interplanetare und kosmische Partikel
analysiert und die Daten in die USA, nach Japan und zum DLR
nach Neustrelitz übermittelt.
DSCOVR
– Deep Space Climate Observatory: Misst die Stärke
des Sonnenwindes sowie des interplanetaren Magnetfelds und
bestimmt dessen Orientierung. Zusätzlich wird die rückgestreute
Strahlung auf der sonnenbeschienenen Seite der Erde untersucht.
GPS
– Global Positioning System: Weltweites Satellitensystem,
das in 20.000 Kilometer Höhe stationiert ist und der Ortung und
Navigation auf der Erde dient.
Sonne, neue aktive Regionen mit Loops im
Profil nach einer Flare-Eruption, 15./16. Januar
2012, im extremen Ultraviolett
Dr. Jens Berdermann, theoretischer Physiker. Promotion in Astroteilchenphysik, Thema:
Zustandsgleichung und Neutrino-Transport für supraleitende Quarkmaterie in Neutro-
nensternen. Seit 2011 ist er am DLR-Institut für Kommunikation und Navigation in
Neustrelitz. Er leitet die Gruppe Ionosphärische Effekte und Korrekturen und arbeitet
am Aufbau des Ionosphere Monitoring and Prediction Center (IMPC).
Antennenanlage am DLR Neustrelitz für den Empfang von Weltraumwetter-Daten
Bild: NASA/SDO and the AIA, EVE, and HMI science teams
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