14. September 2017

Erdgasregen bei minus 180 Grad: Die Erforschung des Titan

Neben dem Saturn selbst und seinen Ringen war Titan ein wichtiges Ziel der Mission Cassini-Huygens. Der Saturnmond ist mit seinen 5150 Kilometern Durchmesser der größte Mond des Saturnsystems und zugleich der zweitgrößte Mond unseres Sonnensystems. Er ist von einer undurchsichtigen Atmosphäre eingehüllt - deshalb sollte Cassini-Huygens endlich das Geheimnis lüften und zeigen, wie seine Oberfläche aussieht.

Insgesamt stattete die Sonde dem Mond, 132 Besuche ab: 45 während der nominalen Mission, 21 während der Equinox-Verlängerung und 56 Vorbeiflüge im Zuge der Sonnenwende-Mission (Solstice) von 2010 bis 2017. Vor allem aber gelang am Titan eine herausragende raumfahrttechnische Leistung: Am 14. Januar 2005 landete die europäische Forschungssonde Huygens auf dem Eispanzer des Titan. Es war das erste Mal, dass ein menschengemachtes Gerät mit einem Körper des äußeren Sonnensystems Kontakt hatte. Huygens sendete via Cassini Bilder und Messdaten aus einer bizarren Welt zur Erde.

Titan ist der einzige Mond unseres Sonnensystems, den eine Atmosphäre umgibt, die wegen ihrer Zusammensetzung und Dichte in den Wellenlängen des sichtbaren Lichts, also auch für herkömmliche Kameras und das menschliche Auge, keine Blicke auf die Oberfläche gestattet. Titan und unsere Erde sind zudem die einzigen Körper im Sonnensystem, deren Atmosphären hauptsächlich aus molekularem Stickstoff bestehen. Ein direkter Vergleich der chemischen und physikalischen Vorgänge in diesen beiden Atmosphären war deshalb von großer wissenschaftlicher Bedeutung.

Für die Cassini-Mission, in der die Untersuchung von Titan eine Schlüsselrolle spielte, bedeutete dies aber auch, dass spezielle Instrumente zur Anwendung kommen mussten, um auch die Oberfläche von Titan beobachten zu können. Aufnahmen der ISS-Kamera zeigten nur in den Wellenlängen des nahen Infrarot schemenhaft die Strukturen der Titanoberfläche. Das Spektrometers VIMS, das auch in Infrarot-Wellenlängen bis fünf Mikrometer arbeitete, und insbesondere des RADAR-Experiments an Bord von Cassini ermöglichten jedoch erstmals einen Blick auf die Titanoberfläche. Zwar sind die Auflösung der Aufnahmen des abbildenden Spektrometers und auch der Reflexionssignale des Radarexperiments nicht so hoch wie die des Cassini-Kamerasystems. Dennoch gelang es, die Oberfläche Titans erstmals sehr genau zu charakterisieren.

Mit den Jahreszeiten gehender Flüssigkeitskreislauf

Im Vergleich zu den anderen Saturnmonden wurden auf Titan nur wenige Einschlagskrater beobachtet. Das bedeutet, dass die Oberfläche in geologischen Maßstäben sehr jung sein muss, und dass es Prozesse gibt, die im Laufe der Jahrmillionen immer wieder neu entstehende Einschlagskrater erodieren und die Landschaft erneuern. Die Oberfläche Titans ist geprägt von Bergen, ausgedehnten Wüsten mit Dünen, Tälern und Flüssen, wie sie von der Erde bekannt sind und die Wechselwirkung zwischen Sonne, Atmosphäre und Oberfläche widerspiegelt. Ähnlich dem Wasserkreislauf der Erde besitzt auch Titan einen Flüssigkeitskreislauf, der allerdings auf Methan beruht. Die globale Abdeckung Titans mit Radardaten deutet darauf hin, dass die hellen bergigen Regionen aus porösem Wassereis bestehen. Vermutlich wäscht Methanregen das Material aus und strömt entlang der sich in den Bildern dunkel abzeichnenden Flussläufe in die Täler und Niederungen. Aufgrund der tiefen Temperaturen von minus 170 bis minus 180 Grad Celsius auf dem Titan kann kein flüssiges Wasser vorkommen. Daher muss es flüssiges Methan sein, das die Flussläufe hinabströmt. Die dunklen äquatorialen Gebiete, wo zunächst ein Ozean aus flüssigen Kohlenwasserstoffen vermutet wurde, sind stattdessen geprägt von riesigen, hunderte von Kilometern langen Dünenfeldern, die vermutlich aus Wassereiskörnchen und organischen Partikeln bestehen. Verantwortlich für diese bis zu 150 Meter hohen Dünen ist der stetig wehende Wind auf Titan.

Flüssige Kohlenwasserstoffe finden sich dagegen in den zahlreichen von Flüssen gespeisten Seen, welche sich vorwiegend in höheren geographischen Breiten befinden - auf der Nordhalbkugel in größerer Häufigkeit als auf der Südhalbkugel. In Ontario Lacus, dem bislang einzigen See im Süden, konnte mittels VIMS-Daten zudem flüssiges Ethan nachgewiesen werden. Die meisten dunklen Flecken auf den Radaraufnahmen, die als eindeutiger Nachweis solcher Seen angesehen werden, wurden jedoch rund um den Nordpol gefunden. Das VIMS-Spektrometer registrierte ferner Spiegelungen, die nur durch Reflexionen der Sonnenstrahlung an der Oberfläche eines großen Sees entstehen können.

Die Radaraufzeichnungen und VIMS-Aufnahmen entstanden am Ende der dort herrschenden Polarnacht. Forscher vermuten, dass sich die Seen hauptsächlich während des siebeneinhalb Jahre dauernden Winters bilden und im Sommer größtenteils wieder austrocknen. Dies würde die ungleiche Verteilung der Methanseen auf der Titanoberfläche erklären. Mittlerweile herrscht am Nordpol Frühling, gleichzeitig kehrt auf der südlichen Hemisphäre der Herbst ein. Während es mit dem Beginn des Winters im Süden feuchter wird, fangen die Seen am Nordpol an auszutrocknen. Erste Veränderungen sind bereits zu sehen: So haben sich die in ISS- und VIMS-Daten sichtbare Wolken von Titans Nordpol mittlerweile zum Südpol verlagert. Eine riesige, die ganze Südpolregion bedeckende Wolke aus gefrorener Blausäure deutet auf einen extremen Temperatursturz hin. Ein möglicher Zusammenhang mit dem derzeitigen Jahreswechsel auf Titan wird auch als Ursache für das Erscheinen einer Insel ("Magic Island") in einem der nördlichen großen Seen (Ligaeia Mare) vermutet.

Flug durch eine Dunstglocke aus Stickstoff mit Methanwolken - und Tholinen

All diese Beobachtungen bestätigen die Vermutung eines Niederschlagkreislaufs von Methan, ähnlich dem Wasserkreislauf auf der Erde - mit Regen, Abfließen, Verdunstung, Wolkenbildung und erneutem Niederschlag. Methan ist nämlich nur im Temperaturbereich von minus 182 bis minus 162 Grad Celsius flüssig, bei höheren Temperaturen ist es gasförmig. Wesentliche Erkenntnisse zur Dynamik und den Eigenschaften der Atmosphäre lieferte die europäische Landesonde Huygens. Sie wurde am Morgen des Weihnachstages 2004 sanft von der Cassini-Muttersonde weggedrückt und flog anschließend drei Wochen lang auf einer ballistischen Flugbahn auf den Titan zu. Am 14. Januar 2005 wurde in einer Entfernung von 80.000 Kilometern die Elektronik aktiviert, kurze Zeit später drang die 320 Kilogramm schwere Kapsel mit 20.000 Kilometern pro Stunde 1270 Kilometer über der Oberfläche in die obersten Schichten der Atmosphäre Titans ein. Innerhalb weniger Minuten bremste Huygens auf 1400 Kilometer pro Stunde ab, durch die Reibung der Luftmoleküle wurde der Hitzeschild bis zu 1500 Grad Celsius heiß.

In 160 Kilometer Höhe wurde der Hitzeschild abgesprengt und Huygens begann, an einem großen Fallschirm hängend, mit den Messungen. Winde mit Geschwindigkeiten von bis zu 125 Kilometern pro Stunde schüttelten die Raumsonde kräftig durch, erst in tieferen Regionen beruhigte sich der Flug. Die während der Abstiegsphase und am Boden des Titan aufgenommenen Messdaten wurden über die Sonde Cassini zur Erde gesendet. Fast vier Stunden dauerte der langsame Abstieg von Huygens. Dabei wurden 474 Megabit Daten, davon über 600 Bilder, gesendet.

In 20 Kilometern Höhe flog die Sonde durch Methanwolken, die als Nebel bis zur Oberfläche reichten. Die Messgeräte registrierten das Isotop Argon 40, aber keine leichteren Isotope des Elements, was die Vermutung stützte, dass es auf Titan Kryovulkanismus geben müsste, weil das Verhältnis der Argon-Isotopen auf eine grundlegende Veränderung der Atmosphäre gegenüber dem solaren Anfangszustand hinwies. Titans Gashülle besteht zu 98,4 Prozent aus Stickstoff und zu 1,4 Prozent aus Methan, ferner enthält sie Spuren von Ethan, Acetylen, Propan, Diacetylen, Methylacetylen, Wasserstoff, Cyanid, Cyanoacetylen, Kohlendioxid und -monoxid. Der Atmosphärendruck an der Oberfläche ist mit 1,5 bar anderthalbmal so hoch wie auf der Erde.

Die Titanatmosphäre ist in Ermangelung eines Magnetfeldes an ihrer Obergrenze dem Sonnenwind direkt ausgesetzt. Zusammen mit dem Sonnenlicht und der kosmischen Strahlung spaltet die Strahlung die Stickstoff- und Methanmoleküle in Ionen und sehr reaktive Moleküle auf, die mit anderen Molekülen neue Verbindungen eingehen. Dabei entstehen komplexe Kohlenstoff- und Stickstoffmoleküle wie polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, die teilweise auch Stickstoff enthalten. Diese schwereren Moleküle sinken langsam in tiefere Schichten der Atmosphäre und bilden den orangefarbenen Dunst, der für die Titanatmosphäre charakteristisch ist. Der Astrophysiker Carl Sagan führte für diese Stickstoff-Kohlenstoffverbindungen den Begriff Tholine ein. Tholine finden sich auch auf dem Neptunmond Triton oder auf Pluto und dessen Mond Charon. Ihre genaue Zusammensetzung ist allerdings noch unbekannt.

Ein Europäer auf Titan: Huygens ist gelandet

Ab einer Höhe von etwa 20 Kilometern übertrug die Huygens-Abstiegskamera erste detailreiche Bilder der Titanoberfläche und der Region, in der die Landung stattfinden würde. Was die Wissenschaftler auf diesen Bildern sahen, kam einer kleinen Sensation gleich: Ein Netzwerk aus Rinnen und Tälern von mehreren hundert Metern bis über einem Kilometer Breite, die ein sogenanntes "dendritisches", also verzweigtes Abflusssystem auf der Titanoberfläche bilden, das in ein stehendes Gewässer, einem See mündet. Eine weitere Bestätigung für einen Flüssigkeitszyklus mit Verdunstung, Niederschlag, Abfluss und Sammeln der Flüssigkeiten - vorwiegend Methan - in stehenden Gewässern.

Die Landung erfolgte bei 10 Grad südlicher Breite und 168 Grad östlicher Länge auf der dem Saturn abgewandten Hemisphäre mit der Geschwindigkeit eines Fußgängers. Eine ingenieurstechnische Meisterleistung und ein "Ritterschlag" für die europäische Raumfahrt. Die Oberfläche war fest und hatte die Konsistenz von feuchtem Sand. Huygens war in einer von rundlichen, deshalb wohl von einem Verwitterungsprozess geformten Eisbrocken übersäten Ebene gelandet. Der orangefarbene Dunst tauchte die Szenerie in ein diffuses Licht, das nur etwa ein Tausendstel so hell ist wie auf der Erde. Huygens sendete für 70 Minuten Bilder, Messdaten und Orientierungssignale, ehe der Cassini-Orbiter, der als Funkrelaisstation diente, hinter dem Horizont verschwand. Als "Hubert-Curien-Gedenkstätte", die an einen Pionier der europäischen Raumfahrt erinnert, steht Huygens seither funktionslos als technisches Denkmal für die Nachwelt auf der eisigen Oberfläche des Titan.

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Institut für Planetenforschung
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Ulrich Köhler

Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
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