Kommt jetzt die Wasserstoffwirtschaft?

Prof. Dr.-Ing. Karsten Lemmer

Wie, warum jetzt und weshalb wir? Mit Wasserstoff gegen die Klimakrise. Prof. Dr. Karsten Lemmer, DLR-Vorstandsmitglied für Energie und Verkehr, im Kurzinterview.


Wasserstoff ist keine neue Entdeckung – warum soll ihm gerade jetzt der Durchbruch gelingen?

Nachhaltig erzeugter Wasserstoff hat das Potenzial, der zentrale Baustein für ein Energie- und Verkehrssystem mit massiv reduzierten Treibhausgasemissionen zu sein. Im Gegensatz zu früher haben wir heute die Technologien und die weltweite Vernetzung – und durch den Klimawandel auch den dringenden Bedarf –, um die Nutzung grünen Wasserstoffs voranzutreiben. Wasserstoff kann direkt genutzt oder gespeichert werden oder die Basis zur Herstellung von flüssigen, nachhaltigen Brennstoffen bilden. Er wird schon lange erfolgreich beforscht, nur sind jetzt mutige Ansätze gefragt, Wasserstoff in großem Maßstab einzusetzen. Dafür hat die Bundesregierung mit der Nationalen Wasserstoffstrategie einen guten Anstoß gegeben. Deutschland kann für eine globale Wasserstoffwirtschaft eine Vorreiterrolle einnehmen. Das ist sowohl für das Klima als auch für den Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort ein wichtiger Schritt.


Was brauchen Forschung und Unternehmen für den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft?

Jetzt muss massiv in Technologien und Demonstration, aber auch weiter in grundlegende Forschung investiert und die Rahmenbedingungen für eine breite Markteinführung geschaffen werden. Wichtig ist zu verstehen, dass es ein internationales Thema ist. Wir werden es nicht schaffen, die Menge an grünem Wasserstoff, die für Energiewirtschaft, Industrie und Mobilität benötigt wird, in Deutschland zu erzeugen. Es werden internationale Lösungen gebraucht. Um außerdem das eigene Erzeugungspotenzial auszuschöpfen und Technologien weiter zu erforschen, muss der Ausbau der erneuerbaren Energien voranschreiten. Außerdem sollten kurzfristig große Elektrolysesysteme in Deutschland installiert werden. Damit kann die Technologieführerschaft auf- und die Verteilinfrastruktur ausgebaut werden. Ergänzend sollte eine großskalige Wasserstoffproduktion in sonnenreichen Ländern etabliert werden. Solarthermische Verfahren haben das höchste Potenzial, die Produktionskosten drastisch zu senken. Für die Verteilung muss dann eine globale Wasserstofflogistik entstehen. Zur Etablierung von wasserstoffbasierten Antrieben in der Mobilität sind neben Kostenbetrachtungen auch die Verbesserung von Infrastruktur und Produktangebot nötig. Und nicht zuletzt muss auch der Gesetzgeber aktiv werden. Nur effektive Markteinführungsinstrumente und Anreizsysteme können dafür sorgen, dass der grüne Wasserstoff seinen Beitrag für die Energie- und Mobilitätswende leisten kann.


Welche Unterstützung kann das DLR beim Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft leisten?

Um die Potenziale des Wasserstoffs ausnutzen zu können, muss das Energiesystem in seiner Gesamtheit und mit all seinen Wechselwirkungen betrachtet werden. Hier hat das DLR über viele Jahre eine einzigartige Expertise durch Synergien zwischen Raumfahrt, Luftfahrt, Energie und Verkehr aufgebaut. Forschungsfragen bezüglich Wasserstoff gibt es dennoch reichlich: zukunftsweisende synthetische Treibstoffe, neue Technologien für Transport und Speicherung, Produktionstechnologien aus Wind und Sonne, Systemintegration auf allen Ebenen des Energiesystems, wasserstoffbasierte Sektorenkopplung auch zur Rückverstromung, systemanalytische Technikbewertung und Transformationsstrategien – um nur einige zu nennen. Das DLR forscht deshalb entlang der gesamten Systemkette. Beginnend mit der Herstellung von grünem Wasserstoff durch Elektrolyse oder solare Erzeugung über die Nutzung in Verkehr und Industrie und in der Energiewirtschaft, bietet Wasserstoff Lösungsbeiträge für die Probleme unserer Zeit – von einer grünen Stromversorgung bis zu CO2-freiem Verkehr.


Das Interview führte Denise Nüssle.

Der Nationale Wasserstoffrat

Prof. Dr. Karsten Lemmer ist Mitglied des nationalen Wasserstoffrats. Der Rat besteht aus 26 hochrangigen Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft. Die Mitglieder wurden im Juni 2020 vom Bundeskabinett ernannt und verfügen über Expertise in den Bereichen Erzeugung von Wasserstoff, Forschung und Innovationen, Dekarbonisierung von Industrie, Verkehr und Gebäude/Wärme, Infrastruktur, internationale Partnerschaften sowie Klima und Nachhaltigkeit. Der Rat berät und unterstützt den Staatssekretärsausschuss für Wasserstoff durch Vorschläge und Handlungsempfehlungen bei der Umsetzung der Nationalen Wasserstoffstrategie.

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Denise Nüssle

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