DLR Magazin 151 - page 38-39

LAMINARFORSCHUNG
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LAMINARFORSCHUNG
Einem solchen Absaugsystem haben Sie Jahrzehnte Ihres Le-
bens gewidmet. Was hat Sie daran so sehr fasziniert?
Horstmann
:
Also angefangen hat es im DLR eigentlich 1982. Da
hatten wir gerade bei einer Reise in die USA gesehen, was die Ameri-
kaner dort in Sachen Laminarforschung machen – und das war schon
beachtlich. Wir hatten hier allerdings eine Technik, die sie nicht besa-
ßen: eine Infrarottechnik, mit der man flächig sichtbar machen konnte,
wo die Strömung turbulent und wo sie laminar war. Wir beschlossen
sofort, diese Technik einzusetzen. Begeisterungsstürme hat das aller-
dings nicht gerade ausgelöst, denn damals glaubte in der Industrie
keiner daran, dass man die Laminartechnologie auf große Verkehrs-
flugzeuge anwenden könnte. Wir haben das dann hier im DLR selbst
in die Hand genommen und mit den für uns verfügbaren Mitteln in
einem ersten Schritt Flugversuche mit einem einmotorigen Flugzeug
gemacht.
Herr Seitz, Sie standen damals am Beginn Ihrer Karriere und an
der Seite von Herrn Horstmann. Waren diese ersten Ergebnisse
denn schon vorzeigbar?
Arne Seitz
:
Absolut! Als wir die Infrarottechnik das erste Mal im
Flugversuch einsetzten, erreichten wir die gleiche Laminarleistung wie
bei Segelflugzeugen – aber bei wesentlich höherer Geschwindigkeit
und größerer Flügeltiefe. Das hat damals mächtig Eindruck gemacht.
In dieser Form hatte zuvor noch niemand reibungsarme Strömung
nachgewiesen und sichtbar gemacht.
Horstmann
:
Wir haben dann auch Unterstützung von Airbus be-
kommen und konnten im nächsten Schritt auf einem deutlich größe-
ren Flugzeug, der DLR-eigenen VFW614 „ATTAS“, Untersuchungen
an einem Flügel mit Pfeilung machen. Das war der Basisversuch für
Verkehrsflugzeuge, für alles, was wir heute noch betreiben. Damit
haben wir den Grundstein für unsere Laminarforschung gelegt.
Seitz
:
Dass wir die Möglichkeit dazu bekamen, lag natürlich auch an
zeitgenössischen wirtschaftlichen Interessen …
Horstmann
:
Ja, das stimmt, die Ölkrise war ein Treiber. Alle suchten
nach Lösungen, um Treibstoff zu sparen.
Als Sie in den Achtzigerjahren Laminarhaltung an Flugzeugen
mit geringer Flügelpfeilung nachwiesen, war das aber noch
eine „natürliche Laminarhaltung“, die sich über die Profilform
erreichen ließ. Von einem Absaugsystemwar damals noch keine
Rede, oder?
Horstmann
:
Doch, doch, uns war damals schon klar, dass Laminar-
haltung sich bei Langstrecken-Flugzeugen erst richtig lohnt und dass
wir dafür ein Absaugsystem brauchen. Aber das war natürlich eine
Riesenherausforderung. Wie saugt man bei großen, schnellen Flug-
zeugen die Luft unmittelbar über der Flugzeugoberfläche ab, um die
Strömung turbulenzarm zu halten? Dafür mussten wir erst mal ein
Pumpensystem mit Absaugkammern entwickeln und eine Technik,
mit der sich Millionen winziger Löcher durch die Außenhaut bohren
lassen, um die Luft durch Absaugleitungen ins Flugzeuginnere zu
ziehen. Diese Technik haben wir bei einer Firma in England gefunden,
die uns nach vielen Versuchen die Absaugbleche gebohrt hat. Airbus
und später die EU haben das Potenzial schnell erkannt. Im Auftrag
von Airbus wurde ein A320-Seitenleitwerk mit diesem Absaugsystem
ausgerüstet und zunächst in Kooperation mit der ONERA, der franzö-
sischen Schwesterorganisation des DLR, in Windkanälen ausführlich
getestet. 1998 war es dann so weit: Airbus und DLR wagten einen
ersten Flugversuch mit dem frisch entwickelten Absaugsystem. Übri-
gens: Projektleiter des Flugversuchs war damals Rolf Henke, der heu-
tige DLR-Luftfahrtvorstand.
Seitz
:
Bei diesem Versuch haben wir eine laminare Strömung schon
auf mehr als der Hälfte der Leitwerksfläche erreicht! DLR und Airbus
waren hier absolute Vorreiter.
Horstmann
:
Ja, unser erster Flugversuch mit Absaugung ist hervor-
ragend gelaufen. Fand dann aber erst mal ein jähes Ende …
Hört sich an, als wären Sie einem Technologiesprung nahe ge-
wesen – zu dem aber letztlich noch keiner bereit war …
Seitz
:
Man muss sich das so vorstellen: Unser erstes Absaugsystem
war ein riesiger Labor-Aufbau, der uns vielfache Modifikationen er-
laubte. Wir hatten ein Seitenleitwerk mit Absaugkasten gebaut, des-
sen Absaugsystem im Passagierraum gleich mehrere Sitzreihen ein-
nahm. Als wir das nach unserem erfolgreichen Versuch dann ganz
stolz maßgeblichen Industrievertretern zeigten, haben die nur fas-
sungslos auf unsere Ausrüstung gestarrt. Sie haben damals nicht
verstanden, dass es sich um einen rein wissenschaftlichen Versuchs-
aufbau handelte, mit dem wir zunächst nur die aerodynamische
Machbarkeit unter Beweis stellen und die Grenzen der Absaugung
testen wollten. Ein so komplexes und teures System wollte natürlich
keiner haben. Es war auch fraglich, ob und wie man es überhaupt
herstellungsreif hätte machen können.
Ein herber Rückschlag. Haben Sie an Aufgeben gedacht?
Horstmann
:
Nein, wir haben uns von diesem Unverständnis nur an-
treiben lassen und sofort weitergemacht. Uns war klar: Das muss alles
einfacher werden. Ich habe dann Ende der Neunzigerjahre radikale
Vorschläge für ein vereinfachtes Absaugsystem gemacht. Das hat mir
zwar viel Gegenwind beschert, aber: Das Auslegungstool für dieses
vereinfachte System, das ich im Projekt ALTTA entwickelte, wird bis
heute als Berechnungsgrundlage für Absaugsysteme benutzt.
Vor dem Flugversuch mit dem A320 befüllt Arne Seitz (links) die Infrarotkamera
mit flüssigem Stickstoff aus der Thermoskanne – Aufnahme von Flugversuchen im
Jahr 1998
Flugversuch mit Laminarhandschuh am ATTAS
DLR-Flugversuchsträger LFU205 (vorne rechts) und VFW614 ATTAS (hinten rechts)
Der Laminarhandschuh im Flugversuch an der LFU205
Karl Heinz Horstmann (rechts) mit Kollegen während des Flugversuchs im ATTAS
WAS BEDEUTET „LAMINAR“?
Das Wort stammt vom Begriff „lamina“, lateinisch für „Platte“
oder „Schicht“, ab. In der Aerodynamik bezeichnet man mit
„laminar“ eine Strömung, die geordnet, also in parallelen Bahnen
oder Schichten, gleitet. Im Unterschied dazu ist beim Aufsteigen
des Rauchs einer Zigarette oder bei einer verlöschenden Kerzen­
flamme eine ungeordnete, turbulente Strömung zu beobachten.
Hier strömt der Rauch zunächst noch mit den Luftteilchen in geord­
neten Bahnen aufwärts, dann erfolgt ein plötzlicher Umschlag in
die Turbulenz und die Teilchen strömen in geradezu chaotischen
Bahnen aufwärts, der Rauchfaden verwirbelt und zerflattert.
Betrachtet man eine Strömung dicht an der Kontur eines Körpers,
zum Beispiel eines Flugzeugs, so hängt das Strömungsverhalten
von der Form, aber auch von der Beschaffenheit der Oberfläche
und von der Strömungsgeschwindigkeit ab. Auch hier gibt es einen
Übergang von laminarer zu turbulenter Strömung. Diesen versu-
chen Luftfahrtforscher hinauszuzögern, um so den Reibungswider­
stand und damit den Energieverbrauch für Flugzeuge zu verrin-
gern. Dazu gibt es verschiedene Methoden:
1. Die natürliche Laminarhaltung „Natural Laminar Flow“. Sie wird
bereits seit den Fünfzigerjahren des 20. Jahrhunderts bei Segel­
flugzeugen eingesetzt und funktioniert rein über die Formge­
bung der Oberfläche.
2. Die hybride Laminarhaltung „Hybrid Laminar Flow Control“.
Hierbei wird eine Technologie eingesetzt, die Teile der umströ-
menden Luft durch winzige Löcher in der Oberfläche, also der
Außenhaut des Flugzeugs, absaugt und damit die Strömung
dicht an der Oberfläche laminar hält. Solche Absaugsysteme
sind in Kombination mit natürlicher Laminarhaltung vor allem
für größere und schnellere Flugzeuge, also etwa Passagier-
maschinen, gedacht.
Damals kam der ALTTA-Vorschlag für ein vereinfachtes Ab-
saugsystem aber nicht zum Einsatz?
Horstmann
:
Nein. Leider.
Seitz
:
Die Ölpreise fielen zu dieser Zeit wieder und von Kohlendioxid-
Emissionen sprach noch niemand. Das Interesse der Industrie war
gering …
Horstmann
:
… und dementsprechend wurden auch im DLR die
Mittel gekürzt. Wir waren natürlich sehr enttäuscht, dass unsere Arbeit
nicht fortgesetzt werden konnte.
Herr Seitz, was hat Sie bewogen, die Forschung an der Laminar­
technologie 2007 wieder aufzunehmen?
Seitz
:
Nachdem wir gezeigt hatten, dass auch Großflugzeuge lami-
nar fliegen können, war uns klar, wie der nächste Schritt aussehen
musste: Die Aerodynamiker mussten andere mitnehmen, mussten
multidisziplinär an die Entwicklung gehen, also Bauweise, Material
und Fertigung berücksichtigen. Wir wussten, dass Treibstoffkosten
und Umweltverschmutzung wieder ein Thema werden würden. 2007
hat dann die Europäische Union das Projekt Cleansky, Sauberer Him-
mel, aufgelegt. Zudem habe ich das DLR-interne Projekt LamAiR ins
Leben gerufen. In beiden Fällen haben wir Leute aus dem DLR zusam-
mengebracht, haben gemeinsam mit anderen Instituten überlegt, wie
wir die Machbarkeit des ALTTA-Konzepts belegen und umsetzen.
Gemeinsam mit Airbus haben wir im Rahmen des 2010 folgenden
Projekts VER²SUS ein neues Absaugsystem in ein Leitwerk gebaut.
Unter der Projektleitung von Dr. Heiko von Geyr aus unserem Institut
konnten wir das Absaugsystem dann 2014 erstmals in Europa erfolg-
reich in einem großskaligen Versuch bei Flug-Reynoldszahlen im
Windkanal testen.
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