20. November 2015 | Verkehrsforscher Stefan Trommer glaubt: Unser Denken über Mobilität wird sich ändern

Im Robotaxi in die Zukunft

von Dorothee Bürkle

Stefan Trommer weiß, wer ein Elektroauto fährt, und auch, warum viele Menschen bislang mit dem Kauf zögern. Das hat er - gemeinsam mit Kollegen - in der größten Nutzerstudie zur Elektromobilität in Deutschland herausgefunden. Er selbst ist ein ganz klassischer Verkehrsteilnehmer. Vor Kurzem hat der Vater einer kleinen Tochter sein Motorrad verkauft und fährt die Tochter jetzt mit dem Fahrrad oder mit der Familienkutsche in die Kita. Dass seine Tochter das Auto zukünftig einmal genauso nutzen wird wie die meisten von uns heute, bezweifelt er. Durch mobile Internetkommunikation, umweltfreundliche Antriebe und selbstfahrende Autos rechnet er mit großen Veränderungen in der Art und Weise, wie sich Menschen in Zukunft bewegen.

Verkehrsapps: Von der Realität eingeholt

Stefan Trommer denkt gerne vernetzt. Bei seinen Arbeiten als Verkehrsforscher verliert er nie den Blick für das ganze Verkehrssystem, für all die unterschiedlichen Verkehrsteilnehmer und ihre bestimmten Anforderungen an Komfort, Geschwindigkeit und natürlich die Kosten, um von A nach B zu kommen. Um die Vernetzung der verschiedenen Verkehrsträger ging es auch im ersten Forschungsprojekt des Diplomgeografen, das er 2008 am DLR-Institut für Verkehrsforschung in Berlin bearbeitete. In einem EU-Projekt entwickelte er zusammen mit anderen Wissenschaftlern einen intermodalen Verkehrsplaner, der Reisende in Europa von Haustür zu Haustür bringt. Einige Jahre später hat die Wirklichkeit die Forscherwelt von damals eingeholt, wenn nicht gar überholt: "In vielen Bereichen ist die Entwicklung so gekommen, wie wir sie in unserem Projekt bearbeitet haben", blickt Trommer heute zurück. Plötzlich gab es I-Phones und Smartphones, das mobile Internet und die Möglichkeit, dass jeder Entwickler auf der Welt Apps für diese Endgeräte entwickeln und der breiten Masse zur Verfügung stellen konnte. Dadurch war das, was in Forschungsprojekten begonnen worden war, plötzlich schneller und bei mehr Nutzern verbreitet, als ursprünglich angenommen. Allerdings schränkt er ein: "So gut diese Apps zum Beispiel in Großstädten oder auch landesweit funktionieren, auf Europa-Ebene funktioniert dies leider noch nicht zuverlässig."

"Wir sind überall zu Hause"

Obwohl Stefan Trommer sich als Forscher mit der "Zukunft der Mobilität" schon ein wenig länger beschäftigt, ist er fasziniert von den Möglichkeiten, die mobile Verkehrsplaner mit sich bringen: "Durch die mobilen Verkehrsplaner bereiten wir uns auf unsere Reisen viel weniger vor. Es reicht ja, wenn ich nach der Landung am Zielort plane, wie ich weiterreisen kann." Dass wir dadurch wirklich Zeit sparen, bezweifelt er. Der Effekt ist seiner Meinung nach ein anderer: "Jetzt haben wir Zugang zu Informationen, die zuvor nur in Kursbüchern der Verkehrsbetreiber standen und in vielen Fällen sind es nicht nur die Fahrpläne, sondern Echtzeit-Informationen mit allen Verkehrsstörungen. Das gibt uns ein unglaubliches Selbstbewusstsein, wir können uns überall zu Hause fühlen."

Nicht alles ist jedoch so eingetreten, wie es die Verkehrsforscher vor einigen Jahren erwartet hatten: Wesentlich weniger Verkehrsteilnehmer als erhofft sind durch das Nutzen von Informationssystemen vom Auto auf die Bahn umgestiegen. "Letztendlich sitze ich noch immer in der gleichen S-Bahn. Solche Apps verändern mein Verhalten vielleicht von Zeit zu Zeit. Aber dauerhaft steigt im Alltag wohl kaum jemand vom Auto auf die Bahn um, nur weil die Verfügbarkeit und die Qualität von Informationen besser geworden sind", nimmt der Verkehrsforscher an.

Großstadt-Dschungel ohne Autos

Stefan Trommer ist im Berliner Osten aufgewachsen, kurz vor der Wende war er zehn Jahre alt und als Radsportler mobiler, als es seinen Eltern lieb war: "Einmal bin ich von zu Hause ausgebüchst und mit dem Rad von Marzahn am Stadtrand bis zu Freunden nach Prenzelberg in Mitte gefahren", erzählt er lächelnd. Eine solche Fahrt, für einen Zehnjährigen heute kaum denkbar, war im beschaulichen Berlin damals kein sonderlich gefährlicher Ausflug. Etwas wehmütig denkt Trommer an die relativ leeren Straßen und den Raum, den er als Kind im Osten der Stadt hatte. Seit der Wende hat sich die Zahl der Pkw pro tausend Einwohner von 200 auf 340 erhöht, Dienstwagen und Mietwagen nicht eingerechnet. Da wird es insbesondere in den Kiezen der Innenstadt eng für Radfahrer und Fußgänger. "Alle Welt will heute Fahrradfahren und selbst die großen Distanzen in Berlin lassen sich mit E-Bikes und Pedelecs schnell überwinden. Jeder sollte die Wahl haben, welches Verkehrsmittel er nutzt. Aber eine Stadt kann diese Wahl auch beeinflussen, zum Beispiel mit einem besseren Radwegenetz und der Unterstützung von (Elektro)Carsharing."

Elektromobilitätsstudie: Erstanwender älter als gedacht

Menschen verändern ihr Mobilitätsverhalten nicht gerne, weiß der Verkehrsforscher, es sei denn, sie erkennen einen klaren Nutzen für sich. Und das ist die Krux bei der Elektromobilität. Außer einem guten Ökogewissen haben die Käufer von Elektroautos keine Vorteile: Die Fahrzeuge sind teuer, haben nicht dieselbe Reichweite wie Verbrennungsfahrzeuge und können nicht mal eben mit elektrischer Energie "betankt" werden. Derzeit ist es die Begeisterung für neue Technologien und ein ausgeprägtes Umweltbewusstsein, was die Menschen heute zum Kauf eines Elektrofahrzeugs bringt. Stefan Trommer kennt die typischen Nutzer von Elektrofahrzeugen sehr genau: Bei der größten Nutzerstudie zur Elektromobilität hat das Institut für Verkehrsforschung 3.111 Fahrer befragt. Der durchschnittliche private Fahrer eines solchen Fahrzeugs ist männlich, überwiegend gut gebildet und verfügt über ein überdurchschnittlich hohes Einkommen. Das Durchschnittsalter liegt mit 51 Jahren dabei leicht höher als bei Käufern von konventionellen Neuwagen.

Trotz der vielen Hindernisse wird sich die Elektromobilität nach und nach durchsetzen, davon ist Trommer überzeugt. Wie andere Forscher auch, geht er davon aus, dass die Marktdurchdringung über den gewerblichen Markt laufen wird: "Kurierdienste, Pflegedienste oder viele Dienstwagen fahren am Tag oft nicht mehr als 100 Kilometer und können am Abend wieder an der Steckdose hängen. Dadurch würde eine kritische Masse erzeugt, die Fahrzeuge würden günstiger im Preis werden und auch für private Nutzer interessant beziehungsweise über den Gebrauchtwagenmarkt verfügbar." Neben dem Umweltbewusstsein ist es inzwischen auch immer mehr der Spaß an der schnellen Beschleunigung, der Menschen zum Kauf eines Elektroautos animiert. "Warum nicht, wenn es funktioniert", grinst Stefan Trommer. "Trotzdem müssen die Fahrzeuge günstiger werden, daran führt kein Weg vorbei."

Mehr Sicherheit im Robotaxi?

Mit ihrer Arbeit tasten sich die Forscher am Institut für Verkehrsforschung auch noch weiter in die Zukunft vor und fragen, wie unser Verkehrssystem aussieht, wenn wir eines Tages von autonomen Robotaxen durch die Gegend gefahren werden. "Das wird unser Denken über Mobilität verändern", glaubt Trommer. "Vielleicht bringen wir dann unsere Kinder nicht mehr selbst in die Kita oder zur Schule, sondern lassen sie sicher vom Robotaxi dort abliefern". Für eine Nutzerstudie des Instituts für Mobilitätsforschung der BMW Group (ifmo) hat der Wissenschaftler gemeinsam mit Kollegen Interviews in China, den USA und Deutschland geführt, um den Einfluss von autonomen Technologien auf unser Mobilitätsverhalten zu bewerten. Das autonome Fahren wird unser Verkehrssystem tiefgreifend verändern, ist sich Trommer sicher: "Das ist anders als bei der Einführung der Elektromobilität, wo nur der Antrieb ausgetauscht wird. Das ist ein neues Konzept und hat mit dem, was wir heute kennen, nicht mehr viel gemein. Der Begriff "Disruptive Technologie" wird ja inzwischen inflationär verwendet, aber hier trifft er wahrscheinlich tatsächlich zu."

Wenn uns der Pkw autonom zum Ziel bringt und dazu noch vernetzt ist, können wir in Zukunft schon auf der Fahrt beginnen zu arbeiten: "Eventuell ist Pendelzeit für viele von uns eines Tages Arbeitszeit", kann sich Trommer vorstellen. Solche Veränderungen können Rückkopplungseffekte mit sich bringen, zum Beispiel auf die Siedlungsstruktur. "Die Länge des Arbeitswegs ist zukünftig vielleicht nachrangig und es zieht uns wieder mehr ins Grüne, wo auch die Kosten für Wohnen geringer sind. Welchen Einfluss wird dies dann auf den Öffentlichen Personennahverkehr, wie wir ihn heute kennen, haben?" Viele Fragen lassen sich nicht abschließend beantworten, trotzdem muss man sie diskutieren: "Nur so können Städte die richtigen Maßnahmen ergreifen und die Einführung der Technologien in ihrem Sinne regulieren. Die Politik muss wissen und entscheiden, wie sie mit diesen möglichen Umbrüchen umgehen will."

Sicherheit statt Leichtmetallfelgen

Seinem Motorrad trauert Stefan Trommer etwas hinterher, er hofft, dass er nach der Familienphase damit wieder loslegen kann. Jetzt spielt erst einmal die Sicherheit und Flexibilität eine größere Rolle in seinem Mobilitätsverhalten - er würde für einen Assistenten, der gelegentlich das Steuer übernehmen kann, gern einen Aufpreis bezahlen: "Wenn ich weiß, dass meine Familie mit dieser Technik an Bord sicherer ist. In jedem Fall sinnvoller als Ledersitze, Leichtmetallfelgen oder als eine Standheizung für die wenigen echten Wintertage."

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Stefan Trommer

Institut für Verkehrsforschung
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