27. Juli 2017 | Der deutsche ESA-Astronaut Matthias Maurer im DLR-Interview

"Raumfahrt ist nur dann erfolgreich, wenn wir sie gemeinsam leben"

  • Dr. Matthias Maurer wurde am 18. März 1970 in St. Wendel im Saarland geboren. Er bewarb sich 2008 in der letzten Runde des ESA-Astronautenprogramms und schaffte es unter die besten zehn. Seit 2010 arbeitet er im European Astronaut Centre in Köln.
  • Seit Juli 2015 ist Matthias Maurer Mitglied des Europäischen Astronautenkorps und absolviert gerade seine Grundausbildung, die er 2017 abschließen wird.
  • Schlagworte: Raumfahrt, Exploration, ISS

Er ist immer noch der Neue. In seinem Blaumann - der klassischen Arbeitskluft aller Astronauten der europäischen Weltraumorganisation ESA - durchschreitet Dr. Matthias Maurer mit einem breiten Lächeln die Halle im European Astronaut Center (EAC), in dem viele seiner Vorgänger schon trainiert haben. Auch er ist im Training - pendelt zwischen Köln, Houston und Moskau hin und her. Seine Reiseroute wird er im August noch mit Peking ergänzen, denn Maurer war in seiner Vor-Astronautenzeit bei der ESA schon für europäisch-chinesische Beziehungspflege verantwortlich. Nun werden erstmals Raumfahrer beider Kulturkreise gemeinsam miteinander in Fernost trainieren. Eine Reise zum Himmelspalast - der chinesischen Raumstation - wäre für ihn genauso schön wie ein Flug zur Internationalen Raumstation ISS. Doch es gibt ein Ziel, dass für ihn noch reizvoller ist - eine Reise zum Mond. Als studierter Werkstoffwissenschaftler interessiert ihn alles, was man auf unserem Erdtrabanten finden und vor allem daraus herstellen kann. Daher ist für ihn der Mond die wichtigste Zwischenstufe für eine Reise zum Mars. Doch der Blick zurück zu unserer Erde, um sie zu schützen und zu bewahren, ist für ihn genauso wichtig wie der neugierige Blick nach draußen in die Zukunft. DLR-Redakteur Martin Fleischmann hatte die Gelegenheit, mit Matthias Maurer über seine Träume, Ziele und Verantwortung zu sprechen. Einige Antworten gibt es zudem auch in kurzen DLR-Videos.

Interview von Martin Fleischmann

Herr Maurer, normalerweise kommt ein Astronaut direkt ins Korps und arbeitet nicht zuvor in der Administration. Ist das ein Vorteil, die ESA zunächst von innen kennengelernt zu haben?

Es war ein Geschenk, dass ich zunächst sieben Jahre hinter den Kulissen arbeiten konnte. Das macht mir meine Arbeit auf dieser Bühne jetzt deutlich einfacher. In all diesen Jahren habe ich so viel gelernt, was mir für eine zukünftige Mission von Nutzen sein kann. Ich habe im europäischen Astronautenzentrum EAC Astronauten unterstützt und dann als Sprecher des Kontrollzentrums in Oberpfaffenhofen mit ihnen an Bord der Internationalen Raumstation ISS kommuniziert. Danach habe ich andere Projekte übernommen, wie zum Beispiel die Vorbereitung des Astronautenzentrums auf eine Zeit nach der ISS.

Apropos ISS, wenn wir mal "Wünsch-Dir-Was" spielen würden, was wäre dann Ihr Lieblingsziel?

Mein Hauptziel ist natürlich erst einmal eine Reise in den Weltraum. Wenn ich dennoch wählen dürfte, dann stünde der Mond an erster Stelle. Explorationsszenarien dorthin bereite ich schon seit einigen Jahren hier im Astronautenzentrum vor. Unser Erdtrabant hat sehr viel zu bieten. Ich weiß genau, welche Schritte erforderlich sind, um dort eine Basis aufzubauen. Der Mond ist immer mein Ziel Nummer eins. Die Internationale Raumstation und der chinesische Himmelspalast kommen gleichwertig auf Position zwei.

Was macht den Mond für Sie so reizvoll?

Der Mond ist superspannend. Wir können hier noch so viel über Wissenschaft und Technik lernen. Langfristig wollen wir zwar zum Mars, doch ein Aufenthalt dort würde heute sehr kurz ausfallen, weil wir gar nicht so eine große Rakete haben, um neben Verpflegung, Technik und Treibstoff für die Rückfahrt noch viele wissenschaftliche Experimente mitzunehmen. Deswegen brauchen wir den Mond unbedingt als Zwischenstopp. Hier lernen wir, die auf der Oberfläche vorhandenen Ressourcen ideal zu nutzen, um unseren Aufenthalt zu verlängern, Treibstoff für unsere Rückkehr herzustellen und eine Station aufzubauen. Dadurch machen wir die Raumfahrt effizienter, günstiger und nachhaltiger. Der Mond hat aber außerdem noch ganz viel an Wissenschaft zu bieten. Er ist viereinhalb Milliarden Jahre alt. Seine Oberfläche hat sich in dieser riesigen Zeitspanne allerdings nicht verändert - abgesehen von den Meteoriteneinschlägen an der Oberfläche. Der Mond ist also ein Geschichtsbuch für Geologen. Wir sollten dorthin fliegen und Proben nehmen, um genau zu verstehen, wie er entstanden ist. So lernen wir, wie das Mond-Erde-System und das Sonnensystem entstanden sind. Aus diesem Wissen können wir dann besser darauf schließen, wo im Universum ein erdähnlicher Planet liegen könnte. Auf der Suche nach Leben im Universum ist der Mond also ein Schlüsselbaustein. Außerdem könnten wir dort auf der erdabgelegenen Seite ein Radio-Teleskop betreiben, das einen Frequenzbereich untersucht, der auf der Erde von der Atmosphäre geschluckt wird. So könnten wir noch sehr viel über die frühe Phase des Universums lernen.

Vom Mond wieder zurück zur erdnahen Umlaufbahn: Was würde Sie an einer Mission zum chinesischen Himmelspalast reizen?

Die Sprache und die Kultur. Ich lerne jetzt schon seit mehreren Jahren chinesisch und finde den kulturellen Unterschied sehr spannend. Das ist im Vergleich zu Russland oder zu Amerika noch einmal eine ganz andere Stufe. Ich habe im Astronautenzentrum die Kooperation mit dem chinesischen Gegenpart geleitet. Das war ein Teil meiner Zukunftsprojekte bei der ESA, bevor ich Astronaut wurde. Ich kenne also die Grundlagen der Zusammenarbeit und die Partner vor Ort. Es ist ganz wichtig, mit den Chinesen langfristig Vertrauen aufzubauen. Das ist eine ganz neue Art der Zusammenarbeit, die so fundamental wichtig ist. Da könnte ich wirklich die Basis für eine neue Kooperation legen, die jetzt gerade anläuft. Im Sommer werde ich gemeinsam mit der italienischen Astronautin Samantha Cristoforetti an einem Seeüberlebenstraining teilnehmen - die erste Trainingseinheit für europäische Astronauten in China. Dafür fliegen wir im August zusammen nach China und lernen dort nördlich von Peking, wie wir uns aus einer chinesischen Raumkapsel retten, die im Meer gelandet ist. Das wird sicher spannend und eine riesige Herausforderung. Chinesische Taikonauten dürfen bisher zum Beispiel maximal 1,75 Meter groß sein. Ich bin aber 1,83 Meter. Für mich gibt es also überhaupt noch keinen passenden Raumanzug. Ich denke, dass sich ein Schneider finden lassen wird und auch die chinesische Raumkapsel in Zukunft so angepasst werden könnte, dass auch größere Raumfahrer mitfliegen können.

Sie sprechen hier ja schon als Botschafter - eine wichtige Rolle von Astronauten. Was hätten Sie der Welt bei ihrer ersten Mission mitzuteilen?

Für mich ist ganz wichtig, Botschafter Europas zu sein. Raumfahrt ist nur dann erfolgreich, wenn wir sie gemeinsam leben. Wenn wir außerhalb der Erde arbeiten wollen, dann müssen wir auch als Menschheit auf unserem Heimatplaneten zusammenhalten. Die ISS hat gezeigt, dass wir ein Projekt gemeinsam stemmen können, das die Menschheit bindet, eint und Vertrauen schafft. Denn Vertrauen ist die Basis für Frieden. Ich hoffe, dass diese Zusammenarbeit weitergeht, wir auf den Mond fliegen und dort gemeinsam ein Dorf aufbauen, bei dem nicht nur alle ISS-Partner, sondern auch neue wie China und Indien hinzukommen.

Alexander Gerst hat in seiner ersten Mission mit "Blue Dot" den Fokus auf die Erde und die Nachhaltigkeit gerichtet. Seine neue Mission "horizons" blickt ab 2018 ins Universum hinaus. Was wäre denn für Sie wichtiger?

Beides ist wichtig. Wir Menschen sind alle Astronauten, die auf dem besten Raumschiff fliegen - unserer Erde. Es gibt allerdings noch so viel, was wir über das Universum erfahren sollten. Diese Wissensreise können wir aber nicht antreten, wenn wir unser Raumschiff zugrunde richten. Der Blick zurück zu unserer Erde, um sie zu schützen und zu bewahren, ist daher genauso wichtig wie der neugierige Blick nach draußen in die Zukunft.

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