19. März 2015

Sonnenfinsternis: Stresstest für das Energiesystem

Wenn sich der Mond am Vormittag des 20. März 2015 zwischen Erde und Sonne schiebt, nimmt er Deutschland einen erheblichen Teil des Tageslichts. Zirka eine Stunde lang erreicht weniger Sonnenlicht die Erde. Kommt es in dieser Zeit zu Engpässen im Stromnetz? Stromausfälle wird es voraussichtlich nicht geben, beruhigt Carsten Hoyer-Klick, Energieforscher im DLR-Institut für Technische Thermodynamikdes Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) im Interview; die Kraftwerksbetreiber sind gut vorbereitet. Ein Stresstest für ein zukünftiges Energiesystem ist die Sonnenfinsternis aber schon.

Das Interview führte Dorothee Bürkle

Was geschieht bei der Sonnenfinsternis am Freitag mit unserem Energiesystem?

Carsten Hoyer-Klick: Wir haben innerhalb von zwei Stunden zunächst einen sehr starken Abfall der Strommengen, die durch Photovoltaikanlagen eingespeist werden und dann wieder einen sehr steilen Anstieg. Bei gutem Wetter fällt die Leistung der PV-Anlagen von zirka 18 auf sechs Gigawatt und steigt dann wieder um 19 Gigawatt auf eine Gesamtleistung von 25.

Aber die Sonne geht doch jeden Tag auf und unter. Warum ist eine Sonnenfinsternis eine Herausforderung für die Netzbetreiber?

C. H-K.: Vorausgesetzt, der Freitag ist ein sonniger Tag, fällt und steigt die Sonneneinstrahlung tatsächlich schneller als beim einem Sonnenauf- bzw. Sonnenuntergang oder bei einem Wetterumschwung. So wie die Wetteraussichten derzeit sind, wird die Schwankung durch die Wolken in Norddeutschland etwas abgefedert. Allerdings steht der Großteil der PV-Anlagen in Süddeutschland, dort ist die zeitweise Abdeckung der Sonne aber auch etwas geringer, bei uns in Stuttgart sind es nur knapp 72 Prozent.

Kann es zu Engpässen in der Stromversorgung kommen?

C. H-K.: Prinzipiell kann die gesamte Stromversorgung in Europa durch fossile, also nicht von der Sonnenfinsternis beeinflusste, Kraftwerke und andere regelbare Technologien wie Pumpspeicher oder Biomasseanlagen abgefangen werden. Das einzige Risiko ist, dass die Kraftwerksbetreiber die Schwankungen nicht schnell genug regeln können. Aber eine Sonnenfinsternis und ihre Auswirkungen sind ja absolut vorhersehbar, so dass sich die Betreiber gut vorbereiten konnten.

Warum sind plötzlich alle Augen bei einer Sonnenfinsternis auf das Stromnetz gerichtet?

C. H-K.: Weil sich der Anteil des Photovoltaikstroms in den vergangenen Jahren vervielfacht hat. Eine Schwankung von bis zu 20 Gigawatt ist bei einer Spitzenlast von insgesamt 80 Gigawatt erheblich. Es ist auch ein Stresstest für die Zukunft, denn bei einem weiteren Ausbau der Photovoltaikanlagen werden solche Schwankungen immer stärker. Deshalb ist es wichtig, dass wir in einem Energiesystem mit einem hohen Anteil an erneuerbaren Energien einen vielfältigen Energiemix haben. Neben den fluktuierenden Photovoltaik- und Windenergieanlagen brauchen wir auch regelbare erneuerbare Energien wie zum Beispiel Geothermie, Biogas oder auch solarthermische Kraftwerke mit thermischen Speichern im Süden Europas oder Nordafrika. Außerdem werden Energiespeicher solche Schwankungen in der Zukunft abfedern können.

Was können die Netzwerkbetreiber aktuell tun?

C. H-K.: Neben der Regelung auf der Angebotsseite gibt es die Möglichkeit die Nachfrage an Strom durch sogenanntes Lastmanagement zu steuern. Ein Kühlhaus kann zum Beispiel vor Beginn der Sonnenfinsternis so weit heruntergekühlt werden, dass es erst wieder Strom braucht, wenn das Stromangebot nach der Sonnenfinsternis wieder ansteigt. Durch Lastmanagement bei industriellen Prozessen und Speichern können Angebot und Verbrauch in Zukunft auch noch stärker entkoppelt werden.

Lassen sich solche Entwicklungen des Energiesystems vorhersagen?

C. H-K.: Wir haben im DLR für die Energiesystemanalyse Simulationsprogramme entwickelt, mit dem wir das Energiesystem sehr kleinteilig nachbilden und zukünftige Entwicklungen ableiten können. Wir können damit unter anderem berechnen, welche Schwankungen bei einem hohen Anteil erneuerbarer Energien auf das Stromnetz zukommen und wie ein idealer Energiemix für ein stabiles Netz aussieht.

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