22. Februar 2019

Zehn Jahre HALO: Interview mit Forschungspilot Stefan Grillenbeck

Schwerpunkte: Luftfahrt, Klimawandel

Zwischen 87 Grad Nord über dem Nordpolarmeer und 65 Grad Süd über der Antarktis war das deutsche Atmosphären-Forschungsflugzeug HALO über die vergangene Dekade im Einsatz. 23 Missionen über alle Ozeane und Kontinente hinweg zählt HALOs Logbuch inzwischen: mehr als 2000 Flugstunden in der Luft für die Forschung in bis zu 15 Kilometern Höhe. HALO steht für "High Altitude and Long Range" und wurde als Gemeinschaftsprojekt deutscher Umwelt- und Klimaforschungseinrichtungen, der Helmholtz-Gemeinschaft und der Max-Planck-Gesellschaft mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung initiiert. Getragen wird das Forschungsflugzeug von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Max-Planck-Gesellschaft, dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), dem Forschungszentrum Jülich, dem Karlsruher Institut für Technologie und dem Leibniz-Institut für Troposphärenforschung. Die Einrichtung Flugexperimente des DLR in Oberpfaffenhofen ist für den Betrieb verantwortlich. Einer, der von der ersten Stunde an in HALOs Cockpit mit dabei war, ist DLR-Forschungspilot Stefan Grillenbeck. Am 24. Januar 2009 saß er am Steuer, als die aufwendig modifizierte G550 von Gulfstream in Savannah/USA in ihre neue Heimat überführt wurde. Im Interview erzählt Grillenbeck von seinen ersten Begegnungen mit HALO, seiner Begeisterung für den Testpilotenberuf und warum er über der Arktis unvergessliche Momente im Cockpit erlebte.

Interview von Falk Dambowsky

Lieber Herr Grillenbeck, als Forschungspilot sind Sie weltweit über alle Kontinente geflogen und das höher und weiter, als es die meisten Flugpassagiere je erleben werden. Fühlen Sie sich dem Himmel manchmal näher als der Erde?

In der Luft sind wir dem Himmel beim Fliegen natürlich immer etwas näher. Und es ist ein Privileg, unsere Erde von oben sehen zu dürfen. Leider ist die Freiheit dort oben nicht immer ganz so grenzenlos, wie in Reinhard Meys Lied beschrieben…

Wie sind Sie zur Fliegerei gekommen?

Am Gymnasium in Oberfranken habe ich bereits in jungen Jahren mit der Segelfliegerei begonnen. An der Hochschule München studierte ich dann Luftfahrzeugtechnik und über Kommilitonen kam ich in Kontakt mit dem DLR-Flugbetrieb. Ich trat der Flugsportgruppe in Oberpfaffenhofen bei und habe dort zügig meine Motorfluglizenz erworben. Ich absolvierte erste Nachtflüge, schleppte Segelflugzeuge in die Thermik und trainierte darüber hinaus Kunstflug.

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Wie und wann wurden Sie Testpilot?

Beim DLR startete ich zunächst als Flugversuchsingenieur. Während dieser Zeit bin ich bereits erste Einsätze mit der Cessna 207 und den Motorseglern geflogen. Richtig Schwung bekam meine Testpilotenlaufbahn allerdings erst, als ich neben der Ingenieurstätigkeit meine Verkehrspilotenlizenz erwarb. 1996 bewarb ich mich dann erfolgreich auf eine Pilotenstelle. Von da an war ich sehr viel unterwegs, oft mit den Polarflugzeugen des Alfred-Wegener-Instituts in der Antarktis oder mit der DLR Falcon 20 in Spitzbergen. Die ersten zwei Jahre war ich wenig zuhause und absolvierte neben den vielen Einsätzen dann auch die Testpilotenschule in England.

Was macht einen Testpiloten aus?

Faszination für fliegerische Herausforderungen ist ein wichtiger Antreiber. Teamfähigkeit ist essenziel, da an Bord Piloten, Bordingenieure und Wissenschaftler eng zusammenarbeiten. Bei Testflügen sind zudem hohe Präzision, ein ausgeprägtes Sicherheitsbewusstsein und Disziplin erforderlich. Es braucht Erfahrung und ein gutes Verständnis aller Einflussfaktoren, um die richtigen Entscheidungen zu treffen und das Flugverhalten anschließend bewerten zu können. Denn besonders herausfordernd wird es dann, wenn man bei Flugerprobungen über die vom Hersteller zugelassenen Grenzbereiche hinaus fliegt.

Was fasziniert Sie an Ihrem Beruf?

An der Forschungsfliegerei begeistert mich vor allem die Vielfalt. Jeder Flug ist einzigartig und wir sind oft in außergewöhnlichen Regionen unterwegs. Zudem sind wir Testpiloten in die Planung der Kampagnen und die Koordination mit der Flugsicherung involviert. Gleichzeitig leisten wir mit unseren Flügen einen wichtigen Beitrag für die Atmosphärenforschung. Wer kann schon von sich behaupten, im Abgasstrahl eines Verkehrsflugzeuges geflogen zu sein oder durch das Auge eines tropischen Taifuns?!

Seit zehn Jahren hat HALO nun im Hangar des DLR-Flugbetriebs in Oberpfaffenhofen sein zu Hause: Wie sah Ihre erste Begegnung mit dieser speziellen Gulfstream G550 aus?

Zum ersten Mal begegnete ich HALO drei Jahre zuvor, als die Gulfstream noch in der Original-Standardausführung frisch aus der Fertigung kam. Das war im Jahr 2005 und wir waren nach Savannah geflogen, um mit dem Hersteller den Umbau als "Special Mission Aircraft" weiter zu spezifizieren. HALO hat übrigens die Seriennummer 5093 und ist damit das 93. Exemplar der Produktionsreihe.

Warum fiel die Entscheidung damals auf dieses Businessjet-Modell von Gulfstream?

Entscheidend waren die Leistungsmerkmale. Für die Atmosphärenforschung wurde ein Flugzeug benötigt, das besonders hoch und besonders weit mit bis zu drei Tonnen Nutzlast fliegen kann. Von daher kamen damals nur die Gulfstream G550 und der Global Express von Bombardier in Frage. Beide Modelle prüften wir intensiv auch bei Probeflügen am Steuer. Letztendlich waren bei Gulfstream die Voraussetzungen besser, um die vielen Modifikationen am neuen Flugzeug umzusetzen, wie beispielsweise die zahlreichen Löcher im Rumpf für Lufteinlässe/Sensoren oder der Einbau optischer Fenster im Boden für ein laserbasiertes Wolkenlidar.

Wie war Ihr Gefühl beim ersten Flug mit HALO?

Die Performance war äußerst beeindruckend, vor allem die hohe Schubkraft der Triebwerke und die ausgezeichnete Aerodynamik. Man fühlt sich schnell verbunden mit dem Flugzeug und lange Strecken lassen sich damit optimal und relativ ermüdungsfrei zurücklegen. HALO hat alle unsere Erwartungen erfüllt.

Dann im Januar 2009 landete HALO das erste Mal beim DLR in Oberpfaffenhofen. Wie ging es weiter bis zum ersten Einsatz für die Atmosphärenforschung?

Nach der Landung am 24. Januar 2009 in Oberpfaffenhofen waren noch eine ganze Reihe Zulassungsflüge für verschiedene, wissenschaftliche Anbauten nötig. Diese beschäftigten uns bis Ende 2011. Viele dieser Flüge dienten der Erprobung des Flugverhaltens nach dem schrittweisen Einbau der zahlreichen Modifikationen. Besonders markant gestaltete sich der Einbau des Belly Pod, einem optionalen Behälter unter dem vorderen Rumpf für zusätzliche Messgeräte. Dieser wurde am DLR entwickelt und von uns fliegerisch erprobt. 2012 war es dann endlich so weit: HALO flog im Frühjahr bei der Mission ‘GEOHALO‘ den ersten Einsatz.

Was macht HALO so besonders? Was kann so ein Atmosphären-Forschungsflieger?

HALO kann umfangreiche Nutzlast über viele Stunden auch in große Höhen fliegen, die beispielsweise für die Atmosphärenforscher besonders interessant sind. Zudem ist das Forschungsflugzeug mit zahlreichen Lufteinlässen für Messinstrumente ausgestattet und verfügt über spezielle optische Fenster für Fernerkundungsmessgeräte. Es erlaubt Wissenschaftlern u.a. Drop-Sonden abzuwerfen oder mit Hilfe von Sonden an den Tragflächen im Flug umfangreiche Atmosphärendaten zu erfassen.

Wer ist mit Ihnen an Bord? Wie ist die Arbeitsteilung?

An Bord haben wir ein konventionelles Zweimann-Cockpit. Zusätzlich gibt es einen Bordingenieur, der bei Start und Landung auf dem Jump Seat hinter den Piloten sitzt. Er ist mit den zulassungsrelevanten Sicherheitsmaßnahmen hinsichtlich der eingebauten, wissenschaftlichen Instrumente vertraut und weiß, welche Sicherheitsmaßnahmen im Notfall zusätzlich erforderlich sind. Mit dem leitenden ‘Mission Scientist‘ an Bord stimmen wir etwaige Flugänderungen über Interkom ab. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Flugzeug sind zudem mit ihren Teams am Boden über einen Chatkanal per Satellitenkommunikation verbunden.

Wie hält man sich fit und wie verpflegt man sich während der langen Flüge?

Das ist sehr bodenständig. Jeder nimmt seine eigene Verpflegung mit und kann in den ruhigeren Flugphasen auch mal ein Mikrowellengericht aufwärmen. Wichtig ist eine ausreichende Flüssigkeitsaufnahme - besonders auf längeren Flügen. Und ich trinke gerne einen Kaffee aus der Kaffeemaschine an Bord, bevor es nach einem langen Flug zum Landeanflug geht. (lacht)

Gibt es einen Forschungsflug, der Ihnen in besonderer Erinnerung geblieben ist?

Das war Anfang 2016 während der Mission ‘Gravity Wave Life Cycle‘, als wir verschiedene Flüge aus Kiruna in Nordschweden zur Vermessung von atmosphärischen Schwerewellen durchführten. Damals waren wir ausschließlich nachts in der Luft. Ein Flug führte uns fünf Stunden Richtung Norden durch ein gigantisches Schauspiel an Polarlichtern. Es war ein unvergessliches Spektakel zwischen Himmel und Erde.

Welche zukünftigen Herausforderungen warten auf Sie im HALO-Cockpit?

Im Frühjahr/Sommer 2019 werde ich zunächst einige Testflüge für die Zulassung neuer Anbauten durchführen. Dann folgen zwei längere Einsätze für die Forschungskampagne ‘SOUTHTRAC‘, am südlichsten Ende Patagoniens. Dafür werden wir im September und November mehrere Wochen in Río Grande auf Feuerland/Argentinien stationiert sein. Es sind Messflüge über den Anden und in Richtung Antarktis geplant und ich werde dem weißen Kontinent wieder ganz nah sein - dort, wo meine Laufbahn als Forschungspilot begann.

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Kontakt

Falk Dambowsky

Leitung Media Relations, Presseredaktion
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Kommunikation
Linder Höhe, 51147 Köln
Tel: +49 2203 601-3959

Stefan Grillenbeck

Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Flugexperimente
Operations
Lilienthalplatz 7, 38108 Braunschweig