29. Mai 2019

NGTS-Teleskop entdeckt einen "verbotenen Planeten in der Neptun-Wüste"

  • Die DLR-geförderte Teleskopanlage NGTS (Next-Generation Transit Survey) hat einen Planeten in der sogenannten Neptun-Wüste in unmittelbarer Nähe eines Sterns gefunden, wo die Wissenschaftler bislang keine Planeten in dieser Größe vermuteten.
  • Die Signale, mit denen man den Planeten NGTS-4b entdeckt hat, sind die schwächsten, die ein bodengebundenes Suchprogramm bislang detektieren konnte.
  • Schwerpunkt(e): Exploration, Exoplaneten, Planetenforschung

Sonnenwinde, Röntgen- und starke UV-Strahlung: Planeten in der Nähe eines Sterns haben einiges auszuhalten. Wissenschaftler nennen den Bereich, in dem der Planet seiner Sonne so nah kommt, dass er weniger als zehn Tagen benötigt, um ihn zu umrunden - das Äquivalent eines Jahres auf der Erde - die "Neptun-Wüste". Der Name kommt daher, dass bislang zwar Planeten so groß wie Jupiter oder so klein wie der Mars in dieser geringen Entfernung entdeckt wurden, Planeten mittlerer Größe, wie der Neptun, jedoch nicht. Bis jetzt: 2018 entdeckte eine Forschergruppe mit einem der Teleskope der NGTS-Anlage (Next-Generation Transit Survey) einen Planeten in einer solchen "Neptun-Wüste". Er kreist um den Zwergstern NGTS-4, der rund 900 Lichtjahre von unserem Sonnensystem entfernt ist, und erhielt den Namen NGTS-4b. Die NGTS-Teleskopanlage steht in Chile und wird vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) mitfinanziert und betrieben.

Der Planet NGTS-4b hat eine Umlaufzeit von nur 32 Stunden: Das sind gerade einmal etwas mehr als eineinviertel Erdentage und ist im Vergleich zu den Umlaufzeiten, die wir von den Planeten des Sonnensystems kennen, um ein Vielfaches kürzer. Die Erde benötigt bekanntlich ein Jahr oder 365,25 Tage, und selbst der Merkur, der innerste Planet, braucht für einen Sonnenumlauf 88 Tage. Mit einem geschätzten Durchmesser von knapp 40.000 Kilometern ist NGTS-4b etwa 20 Prozent kleiner als der Neptun, der viertgrößte Planet des Sonnensystems und besitzt somit den dreifachen Erdradius. Solche und ähnliche Extreme finden sich bei zahlreichen der nahezu viertausend bisher entdeckten extrasolaren Planeten. Mehrplanetensysteme, in denen die Planeten in erdähnlichen oder größeren Entfernungen und vergleichsweise "gemächlicher" Geschwindigkeit einen Stern umkreisen, sind in den Exoplaneten-Katalogen bislang noch die Ausnahme.

NGTS-4b widersetzt sich dem "Atmosphären-Striptease"

Für die Wissenschaftler ist die Entdeckung eine Sensation. "Wahrscheinlich hat NGTS-4b nur überlebt, weil er einen besonders großen Kern besitzt oder weil er erst später in diese kurze Entfernung zu seinem Stern hineingewandert ist, als dessen Strahlung schon etwas abgeklungen war", kommentiert Dr. Philipp Eigmüller den Fund, einer von sechs an der Entdeckung beteiligten Wissenschaftler vom DLR-Institut für Planetenforschung in Berlin. Normalerweise würde ein Planet mit der Masse des Neptuns und einer ähnlichen Zusammensetzung durch die starke Strahlungseinwirkung des Sterns sehr schnell seine Hülle aus Wasserstoff und Helium verlieren und nur der Kern bliebe übrig. Ein ähnliches Szenario wird auch für die Entwicklungsgeschichte des jungen Planeten Merkur diskutiert. Größere Körper üben durch ihre Masse eine stärkere Anziehungskraft auf ihre äußere Hülle aus und verhindern dadurch den Verlust ihrer Atmosphäre.

Die Abbildung zeigt die Verteilung der Exoplaneten nach Masse (Y-Achse) und Umlaufzeit (X-Achse).
Credit:

Bild nach Eigmüller, SuW, Mai 2019

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NGTS-Teleskopanlage misst bislang schwächstes Transitsignal

Die Anlage NGTS besteht aus zwölf automatisch arbeitenden Teleskopen, die in Himmelsabschnitten von jeweils etwa 3 Grad Durchmesser mit der Transitmethode nach Planeten in anderen Sonnensystemen suchen. Dabei zeichnen die Teleskope den winzigen Helligkeitsabfall auf, der entsteht, wenn der Planet vor seinem Stern vorbei zieht. Die Transitsignale des jetzt entdeckten Planeten sind die schwächsten, mit denen jemals ein Planet vom Boden aus entdeckt wurde. Der Stern NGTS-4 ist von der Erde mit dem bloßen Auge nicht sichtbar. Seine scheinbare Helligkeit ist etwa so groß wie die von Pluto am äußeren Rand unseres Planetensystems, er hat also eine mehr als sechs Millionen Mal geringere scheinbare Helligkeit wie der Planet Jupiter. Bei seinem Transit verdunkelte NGTS-4b das Licht seines Sterns nur um etwa 0,13 Prozent. Kein anderes bodengebundenes Suchprogramm ist in der Lage, solche schwachen Signale nachzuweisen.

Daten der Teleskope sind frei zugänglich

Nachdem die Teleskopanlage 2016 mit der Suche nach den sogenannten extrasolaren Planeten begonnen hat, liegt heute die beachtliche Menge von 1,7 Terabyte an Daten vor. Diese umfasst Messungen von 200.000 Sternen und deren Lichtkurven. Seit der Inbetriebnahme von NGTS wurde die Entdeckung von vier Planeten bestätigt. Insgesamt sind heute rund 4000 extrasolare Planeten bekannt. "Jeder ist ein Puzzleteil, mit dem wir die Entstehung und die Entwicklung von Planeten mehr und mehr verstehen können", ergänzt Eigmüller. Die Daten aus dem ersten Beobachtungsjahr von NGTS (April 2016-April 2017) mit allen zwölf Teleskopen sind in einem ESO-Archiv online frei verfügbar und stehen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus aller Welt zur Auswertung offen.

Über NGTS

Die Teleskopanlage des Next-Generation Transit Survey (NGTS) wurde von einem Konsortium britischer, schweizer und deutscher Institutionen errichtet und befindet sich am Paranal-Observatorium der Europäischen Südsternwarte (European Southern Observatory, ESO) in der Atacamawüste im Norden Chiles. Dort kann sie sowohl von den hervorragenden Beobachtungsbedingungen vor Ort als auch von technischer Unterstützung seitens der vorhandenen Einrichtungen profitieren. Sie ist auf die großflächige Durchmusterung des Himmels ausgelegt und wurde maßgeblich vom DLR finanziert. Acht der zwölf Kameras der Teleskopanlage stammen vom DLR. Wissenschaftler des Instituts für Planetenforschung werten im internationalen Team die Daten aus. NGTS ist so konzipiert, dass es vollkommen automatisiert kontinuierlich auf der Suche nach Exoplanetentransits die Helligkeit von mehreren 100.000, vergleichsweise hellen Sternen am Südhimmel vermisst.

Kontakt

Melanie-Konstanze Wiese

Kommunikation Berlin, Neustrelitz, Dresden, Jena, Cottbus/Zittau
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Kommunikation
Rutherfordstraße 2, 12489 Berlin-Adlershof
Tel: +49 30 67055-639

Dr. Ruth Titz-Weider

Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Institut für Planetenforschung
Extrasolare Planeten und Atmosphären
Rutherfordstraße 2, 12489 Berlin

Dr. Philipp Eigmüller

Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Institut für Planetenforschung
DLR-Institut für Planetenforschung
Rutherfordstraße 2, 12489 Berlin