Vom Kal­ten Krieg zur in­ter­na­tio­na­len Ko­ope­ra­ti­on

Die Ge­schich­te der ISS

Anfang der 1980er Jahre hatte Europa seinen Zugang zum Weltall gesichert. Die Trägerrakete Ariane war ein großer Erfolg und das in Deutschland entwickelte und gebaute Raumlabor Spacelab für das amerikanische Space Shuttle war einsatzbereit. Zudem hatten die Mitglieder der Europäischen Weltraumorganisation ESA ihre Kompetenz bei Bau und Betrieb von Forschungssatelliten unter Beweis gestellt. Den nächsten „logischen Schritt” demonstrierte die Sowjetunion: eine ständig bemannte Raumstation im Erdorbit. Sowohl in Deutschland als auch in Frankreich wurde die Idee einer europäischen Raumstation erörtert.

Auch in den USA dachte man ähnlich. Dort hatte man sich zunächst auf die Entwicklung des Space Shuttles konzentriert, den Bau einer Raumstation aber schon in den 1970er Jahren ins Auge gefasst. Es war der letzte Bereich der Raumfahrt, in dem die USA noch nicht mit der UdSSR gleichgezogen oder diese überholt hatten.

Wettlauf zwischen Ost und West

Bereits am 19. April 1971 brachte die Sowjetunion mit Saljut 1 ihre erste Orbitalstation in den Weltraum. Sie tat damit einen bedeutenden Schritt hin zu einer permanenten Präsenz des Menschen im Erdorbit. Mit Saljut 6 wurde 1977 dann die zweite Generation von Raumstationen gestartet, die mit einem zweiten Andockring für Versorgungsschiffe ausgestattet worden war und daher wesentlich länger im All verbleiben konnte. Vom 27. August bis 3. September 1978 arbeitete hier Sigmund Jähn im Rahmen der INTERKOSMOS-Kooperation zwischen der DDR und der UdSSR als erster deutscher Kosmonaut. Im April 1982 folgte Saljut 7, auf der sich zwei Monate später der Franzose Jean-Loup Chrétien als erster westlicher Astronaut an Bord einer sowjetischen Raumstation aufhielt.

In der Sowjetunion wurde währenddessen die dritte Generation von Raumstationen konzipiert, die schließlich am 20. Februar 1986 erfolgreich in einen Orbit auf ungefähr 300 Kilometer Höhe gebracht wurde: das multi-modulare Raumlabor Mir, das mit seinen fünf Forschungssegmenten, die später an das Basismodul angekoppelt wurden, eine Masse von über 120 Tonnen erreichte. Ausgelegt für eine Lebensspanne von zwölf Jahren, überstand die Mir den Zusammenbruch der Sowjetunion und bot nach der Überwindung des Kalten Kriegs bis zu ihrem kontrollierten Absturz in den Pazifik am 23. März 2001 über 15 Jahre hinweg auch westlichen Wissenschaftlern die Chance zur Langzeitforschung im All.

Die USA setzten dem zunächst Skylab entgegen. Eingerichtet in der dritten Stufe der letzten gestarteten Saturn V bot es 1973 drei dreiköpfigen Besatzungen insgesamt 171 Tage Aufenthalt für wissenschaftliche und technische Experimente in den Bereichen der Sonnen- und Kometenforschung, Materialkunde, Medizin und Pharmazie, Erdbeobachtung, Meteorologie, Biologie und Chemie.

In den 1980er Jahren suchte die NASA längerfristige Erfahrungen im Orbit sowie wissenschaftliche Experimentiereinrichtungen und kommerzielle Einsatzmöglichkeiten. In der sich mit der atomaren Aufrüstung zuspitzenden politischen Auseinandersetzung zwischen Ost und West sollte eine Raumstation der westlichen Nationen zudem ein Zeichen der friedlichen Zusammenarbeit, aber auch der technologischen Dominanz der „freien Welt” sein.

Pläne für eine gemeinsame internationale Station

1983 begannen die USA mit ihren Partnern in Europa, Japan und Kanada über eine gemeinsame Raumstation nachzudenken. Im Sommer des Jahres legten die Firmen MBB/ERNO und Aeritalia eine erste Industriestudie „Columbus” für die europäische Beteiligung vor. Diese sah ein fest an die Kernstation andockendes Modul vor sowie ein frei von dieser schwebendes Forschungslabor.

Am 25. Januar 1984 beauftragte US-Präsident Ronald Reagan die NASA mit der Entwicklung einer dauerhaft besetzten Raumstation, die für Wissenschaft und industrielle Forschung sowie für die Herstellung von Metallen und Arzneien eingesetzt werden sollte. Geplanter Start war 1992, das Jubiläumsjahr der Wieder-Entdeckung Amerikas durch Christoph Columbus.

In der Folge waren es insbesondere Deutschland, Italien und Frankreich, die die neuen Großvorhaben der westeuropäischen Raumfahrt abstimmten. Frankreich konzentrierte sich auf die Weiterentwicklung der Trägerrakete zur Ariane 5 sowie auf die Konzeption eines europäischen, bemannten Raumgleiters HERMES. Deutschland legte mit Italien den Schwerpunkt auf das Forschungsmodul Columbus. Die Verantwortlichen in Politik und Industrie erhofften sich hiervon einen Technologieschub aufgrund von bisher nicht gekannten Anforderungen an Zuverlässigkeit, Präzision und Beherrschbarkeit komplexer technischer Systeme.

1985: Die ESA beschließt die europäische Teilnahme an amerikanischer Station

1985 verabschiedete der ESA-Ministerrat in Rom die europäische Beteiligung an der amerikanischen Raumstation. Die Bedingungen der europäischen Teilnahme wurden während der folgenden europäisch-amerikanischen Gespräche ausgehandelt. Auf dem darauf folgenden ESA-Ministerrat in Den Haag 1987 wurde das Columbus-Programm von den europäischen Fachministern bestätigt und eine weitere, dreijährige Vorbereitungsphase verabschiedet. Ziel war es damals noch, Columbus mit einer Ariane-5-Rakete zu starten. Der europäische Beitrag zur internationalen Raumstation sollte jetzt aus einem fest mit der Kernstation verbundenen Modul, einem zeitweilig bemannbaren, freifliegenden Labor, einer polaren, unbemannten Forschungsplattform und einem Datenrelaissatelliten bestehen.

Das Programm der Raumstation wuchs - auch in den USA. Hier führten zum einen die komplizierten jährlichen Budgetverhandlungen im Kongress zu Verzögerungen. Zum anderen sorgten die unterschiedlichen Auffassungen über den Charakter der Raumstation als Forschungslabor oder als orbitaler „Bahnhof” für die künftige, bemannte Erforschung des Weltraums für Verzug. Vor allem aber der Verlust des Space Shuttles Challenger am 28. Januar 1986 verlängerte die zeitliche Umsetzung des Programms um mehrere Jahre. 1987 bekam die Station einen ersten, politisch motivierten Namen: Freedom (Freiheit).

Freiheit der Forschung und Verständnis von friedlicher Nutzung

Das Unterfangen einer internationalen Raumstation war aus vielen Gründen nicht einfach, denn sie bedeutete etwas gänzlich Neues für die Zusammenarbeit in der Völkergemeinschaft. Die Partnerstaaten mussten sich nicht nur auf ein technologisches Konzept und die Nutzung der Station einigen, sondern auch über den rechtlichen Rahmen. Wem würde das Urheberrecht für neue Entwicklungen gehören? Wie gelangten Versuchsproben ohne Verletzung dieses Rechts an die Wissenschaftler? Welches Zivil- und Strafrecht gilt an einem Ort, der sich auf keinem nationalen Territorium befindet? Wie werden die Betriebskosten getragen und das Stationsmanagement koordiniert? 1988 wurden diesbezügliche Regelungen in einem internationalen Regierungsabkommen festgeschrieben. Er wurde als „Vertrag ohne Vorbild” bezeichnet und zählt zu den umfangreichsten Dokumenten der internationalen Zusammenarbeit. Er hielt etwa die Freiheit der Forschung und die Verständigung auf die friedliche Nutzung der Station fest.

Kooperation statt Konkurrenz

Dann fiel 1989 die Berliner Mauer - und wenig später gab sich Russland eine demokratische Verfassung. Mit der Überwindung des Kalten Kriegs zwischen Ost und West verschwand auch die Notwendigkeit einer rein westlichen Raumstation. Kooperation ersetzte Konkurrenz. Russland wurde 1993 von den USA eingeladen, sich am Programm einer internationalen Raumstation zu beteiligen. Dem stimmten 1994 auch die anderen Partner zu, denn dies versprach viele Vorteile: Russland hatte mit Abstand die meiste Erfahrung bei Konstruktion, Errichtung und Management von Raumstationen. Zudem gab es in Russland hoch erfahrene Ingenieure mit sensiblem Wissen, etwa über Raketentechnologien, die mangels Arbeit in Drittstaaten wie Iran, Irak oder China abzuwandern drohten. Das aber konnte nicht im Sicherheitsinteresse des Westens liegen. Schließlich würde ein weiterer Partner die Kosten auf mehr Schultern verteilen, etwa durch die Bereitstellung der Trägersysteme Sojus und Proton. In den 1990er Jahren nutzen die Partnerstaaten zudem die russische Raumstation Mir, um auf zahlreichen Missionen die gemeinsame Arbeit im Weltraum zu trainieren.

Die Kosten für die neuen Vorhaben waren gestiegen, ebenso die technologischen Probleme bei HERMES, der 1993 eingestellt werden musste. Dies, die Weltwirtschaftskrise zu Beginn der 1990er Jahre und der Beitritt Russlands zur nun politisch unverfänglicher „Alpha” oder „ISS” genannten Internationalen Raumstation bedingte eine grundlegende Umkonzipierung. Denn die Russen wollten ihre Entwicklungen für die zuvor geplante Station Mir 2 einbringen, die sie alleine kaum hätten finanzieren können. Durch den Ausfall von HERMES hätte das frei fliegende europäische Labor nicht mehr gewartet werden können - es wurde gestrichen. Das angedockte Labor Europas, das in der Folge den Namen des gesamten europäischen Programms Columbus erhielt, wurde zudem aufgrund neuer amerikanischer Pläne verkleinert. Die polare Plattform hingegen wurde aus dem europäischen Programm ausgeklammert und auf ihrer Basis der komplexe Umweltsatellit Envistat (Start: 2002) gebaut. 1995 nahm der ESA-Minsterrat in Toulouse das europäische orbitale Transferfahrzeug ATV zum Transport von Nutzlasten zur ISS in das Programm auf. Mit den Starts der ATVs wurde von 2008 bis 2014 der europäische Teil der Betriebskosten gedeckt.

Diese konzeptionellen Umstellungen und die neue weltpolitische Situation in den 1990er Jahren waren für eine weitere zeitliche Streckung des Programms verantwortlich. Die astronautische Raumfahrt verlor in diesem Zusammenhang an strategischer Bedeutung für die europäische Autonomie und wurde zu einem Feld internationaler Kooperation. Die Station wurde dabei zu einem bedeutenden Instrument der Ost-West-Beziehungen, ein stabilisierender Faktor zwischen den alten Supermächten und ein Mittel zum Abbau von Spannungen.

1997: Grundsatzabkommen zwischen ESA und NASA

1997 unterzeichneten ESA und NASA ein Grundsatzabkommen, wonach Europa zusätzliches Gerät sowie zwei Verbindungsknoten für die Stationsmodule und Laborgeräte an die USA liefern sollte. Im Gegenzug sollte Columbus nunmehr mit dem Space Shuttle gestartet werden. Ein Vertrag mit Russland regelte die zollfreie Ein- und Ausreise von Gütern im Rahmen der ISS-Zusammenarbeit sowie die Lieferung eines europäischen Roboterarms und eines Datenmanagementsystems für das russische ISS-Segment. Auch mit Japan vereinbarte die ESA den Austausch von Hardware.

Am 29. Januar 1998 trafen sich die verantwortlichen Minister der Partnerstaaten in Washington, um der ISS mit der Unterzeichnung eines neuen Regierungsübereinkommens den völkerrechtlichen Rahmen zu geben. Mehr als das Abkommen von 1988 basierte es auf dem Grundsatz gleichberechtigter Partnerschaft, die Führung der USA bei Konstruktion und Bau wurde jedoch fortgeschrieben. Gegenüber 1988 hatte sich die Station grundlegend verändert. Ihre Konfiguration sollte nach Abschluss der Aufbauarbeiten aus über 100 Komponenten bestehen und ein Innenvolumen vergleichbar dem eines Jumbo Jets besitzen. Darunter sollen sich sechs Forschungslabore (zwei amerikanische, zwei russische, ein europäisches und ein japanisches) und vier Versorgungsmodule befinden. Für Außenbordaktivitäten (Extra Vehicular Activity - EVA) sollen drei Roboterarme zur Verfügung stehen. Mit dem Start des russischen Moduls Zarja (Morgenröte) am 20. November 1998 von Baikonur begann die intensivste Flugphase in der Geschichte der Raumfahrt. Das Unglück des amerikanischen Space Shuttles Columbia am 1. Februar 2003 führte erneut zu einer Verzögerung von über drei Jahren und einer deutlichen Reduzierung der noch geplanten Shuttle-Flüge.

7. Februar 2008: Columbus startet zur ISS

Mit dem Start der Raumfähre Atlantis am 7. Februar 2008 begann nicht nur der Einsatz der beiden ESA-Astronauten Hans Schlegel aus Deutschland und Léopold Eyharts aus Frankreich. Der Start war auch der Beginn des für zehn Jahre geplanten Einsatzes des europäischen Weltraumlabors Columbus auf der ISS. Es wurde erfolgreich an die Raumstation angedockt und ist seitdem Teil der ISS.

Die letzte Space-Shuttle-Mission

Im November 2010 verabschiedete die Bundesregierung die Deutsche Raumfahrtstrategie. In ihr wird die Nutzung der ISS bis mindestens zum Jahr 2020 festgeschrieben. Aus technischer Sicht können bis dahin regelmäßig bis zu sechs Astronauten aus den Partnerländern im Routinebetrieb arbeiten. Um eine vollständige Besatzung sicherstellen zu können, trainierte die ESA ab 2009 eine neue Generation europäischer Astronauten.

Am 8. Juli 2011 brach das Space Shuttle „Atlantis”, das auch schon das europäische Raumlabor Columbus zur ISS brachte, ein letztes Mal zur Raumstation auf. Mit dieser 135. Mission ging eine Ära zu Ende.

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