Retalt: Forschung am vertikalen Landen

Im Rahmen des EU-Förderprogramms Horizon 2020 hat sich das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) mit fünf Industrieorganisationen im Projekt RETALT (RETro propulsion Assisted Landing Technologies) zusammengefunden. Zwischen 2019 und 2022 forschte das Team gemeinsam an rückwärts senkrecht landenden Raketen, um die europäischen Konzepte für Wiedereintrittstechnologien voranzutreiben. Das Konsortium untersuchte insbesondere die Aerodynamik, die Oberflächentemperaturen (Aero-Thermodynamik) während des Flugs, die Flugdynamik bei Start und Rückkehr, Navigation und Steuerung sowie Strukturteile, Materialien und Mechanismen. Denn: Auch wenn die Falcon 9 des US-amerikanischen Raumfahrtkonzerns SpaceX bereits vertikal landende Systeme betreibt, die komplexe Physik während des gesamten Flugs ist noch nicht im Detail erforscht, sodass wichtige Basisdaten fehlten.

Bei RETALT wurden zwei Konfigurationen für senkrecht startende und landende Raketen untersucht:

  • RETALT1 verfügte über zwei Stufen. Das Konzept war an etablierte Raketentypen wie die Falcon 9 oder die europäische Ariane 5 angelehnt. Ziel war, dass die erste Stufe der Trägerrakete zurückkehren und vertikal landen sollte.
  • RETALT2 war mit nur einer Stufe konzipiert. Dieser Ansatz war eher eine „akademische Konfiguration“. Die Rakete sollte für die Rückkehr zur Erde nicht ausschließlich den treibstoffbasierten Retro-Schub (englisch: Retro Propulsion) einsetzen, sondern zusätzlich mit einer großen aerodynamischen Grundfläche an der Unterseite abgebremst werden.
Strömungsfeld während der Wiedereintrittszündung mit drei Triebwerken bei fünffacher Schallgeschwindigkeit
Das Video zeigt einen Test im Windkanal mit einem Modell von einer rückwärts in die Atmosphäre wiedereintretenden Raketenstufe. Bei der Wiedereintrittszündung werden üblicherweise drei Triebwerke gegen die Flugrichtung gezündet, um die Stufe abzubremsen, damit sie in der anschließenden Flugphase in der Atmosphäre weniger heiß wird. Beim Experiment im Hyperschallwindkanal Köln (H2K) wurden die Triebwerkstrahlen mit Druckluft erzeugt. Das Modell ist waagerecht montiert. Die Anströmung kommt von links und in der rechten Bildhälfte sieht man den Heckbereich der Stufe. Durch die Interaktion der äußeren Strömung mit den Triebwerksstrahlen ist die Strömungsfeld insgesamt stark instationär.

Mit Modellen im Maßstab von etwa 1:100 wurde bei Tests in DLR-Windkanälen die Aerodynamik der Konzepte untersucht: Ein Bremsmanöver durch die Zündung der Triebwerke bei Hyperschall-Geschwindigkeiten testeten die Forschenden im Hyperschallwindkanal Köln (H2K) mit Druckluft, die folgende aerodynamische Flugphase in der Trisonischen Messtrecke Köln (TMK). Die letztendliche Landezündung mit Wasserstoff-Sauerstoff-Verbrennung wurde mit einem Modell mit integrierter Brennkammer in der Vertikalen Messstrecke Köln (VMK) getestet. In größeren Maßstäben von bis zu 1:5 erstellte das RETALT-Konsortium Demonstratoren, um Strukturkomponenten wie etwa die Landebeine zu untersuchen. Die Erkenntnisse aus diesen Tests sind Grundlage für Folgeprojekte nach RETALT, bei denen Prototypen gebaut und später tatsächlich im Weltall getestet werden können.

Das DLR-Institut für Aerodynamik und Strömungstechnik war Projektkoordinator und wissenschaftlich mit der Abteilungen Über- und Hyperschalltechnologien am DLR-Standort Köln und der Abteilung Raumfahrzeuge in Göttingen an RETALT beteiligt. Die Teams der Über- und Hyperschalltechnologien koordinierten das Projekt und waren verantwortlich für das Design der Referenzkonfigurationen sowie die Bewertung von Aerodynamik und dem aero-thermodynamischen Verhalten bei den Windkanaltests. Die Abteilung Raumfahrzeuge charakterisierte die Aero-Thermodynamik der Konfigurationen und erstellte numerische Strömungssimulationen.

Während des Projekts wurde eine Vielzahl von Konferenz- und wissenschaftlichen Zeitschriftenbeiträgen veröffentlicht. Sie sind online auf dem EU Open Research Repository „Zenodo“ gesammelt.

Ein nächster Schritt auf dem Weg zur vertikalen Landung in Europa

Nach dreieinhalb Jahren Forschung an antriebsgestützten Landungstechnologien in RETALT, bei der Know-how, neue Methoden und Werkzeuge sowie eine Menge wertvoller Daten gewonnen werden konnten, endete das Projekt im Spätsommer 2022. Aber RETALT lebt weiter, denn die Arbeiten an der Vision, die vertikale Landung in Europa Wirklichkeit werden zu lassen, wird im Projekt SALTO (reuSable strAtegic space Launcher Technologies and Operations) fortgesetzt, bei dem die RETALT-Partner erneut beteiligt sind.

Beispiele für neue Methoden und Werkzeuge aus den RETALT-Ergebnissen

  • Methodiken zur Erstellung von aerodynamischen und aerothermalen Datenbanken für die Erstellung von holistischen aerodynamischen und aerothermalen Modellen der Vehikel konnten weiterentwickelt werden.
  • Es wurden analytische Modelle entwickelt, um die Steuerflächen für diese Konfigurationen auszulegen.
  • Erstmals wurden Windkanaltests durchgeführt, in denen das Team einen gegen die Strömung gerichteten Triebwerksstrahl mit Kaltgas simuliert hat. Dafür analysierte und entwickelte es neue Ähnlichkeitsparameter, um diese Experimente auszulegen und die Testanlagen entsprechend umzurüsten.
  • Ebenfalls zum ersten Mal konnten erfolgreich Tests mit heißem Abgasstrahl gegen die Strömung mit Wasserstoff-Sauerstoff-Verbrennung im Windkanalmodell durchgeführt werden.

Durch die enge Zusammenarbeit mit den anderen Organisationen des RETALT-Konsortiums war es dem Team möglich, die Abhängigkeiten der verschiedenen Technologiebereiche voneinander besser zu verstehen und ein gesamtheitliches Bild zu erhalten, wie diese Systeme funktionieren.

Weiterführende Links

Über RETALT

Das Projekt wurde durch das Rahmenprogramm für Forschung und Innovation Horizont 2020 der Europäischen Union unter der Fördervereinbarung Nr. 821890 finanziert. Neben dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) waren beteiligt: Almatech SA, Amorim Cork Composites SA, CFS Engineering SA, Deimos Space Sociedad Limitada Unipersonal sowie die MT Aerospace AG.

Kontakt

Philipp Burtscheidt

Presseredaktion
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Kommunikation
Linder Höhe, 51147 Köln
Tel: +49 2203 601-2323

Prof. Dr.-Ing. Ali Gülhan

Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Institut für Aerodynamik und Strömungstechnik
Über- und Hyperschalltechnologie
Linder Höhe, 51147 Köln

Dr. Ansgar Marwege

Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Institut für Aerodynamik und Strömungstechnik
Über- und Hyperschalltechnologien
Lilienthalplatz 7, 38108 Braunschweig