Artikel aus dem DLRmagazin 172: Wie Funk- und Fernsehtechnik aus Bayern Geschichte schrieb

Gräfelfing, bitte kommen!

Max Dieckmann vor seiner Funkstation an Bord des Luftschiffs „Viktoria Luise“ im Jahr 1912
Die Passagiere, die sich im Mai 1912 an Bord befanden, kamen erstmals in der Geschichte in den Genuss, nicht nur eine Reise mit einem Luftschiff zu unternehmen, sondern gleichzeitig auch private Telegramme versenden zu können.
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Gräfelfing? Wenn man einmal in München ist, könnte man die Gelegenheit nutzen, eine Fahrt mit dem Zug zum Starnberger See zu unternehmen. Dabei kommt man zwangsläufig an Gräfelfing vorbei. Dort sollte man die Fahrt unbedingt unterbrechen. Beim Spazieren durch den Ort wird man vielleicht feststellen, dass es ein Ort ist wie jeder andere … fast. 1908 änderte sich die ländliche Idylle, als der Hochfrequenztechniker Max Dieckmann (1882–1960) die Drahtlostelegraphische und Luftelektrische Versuchsstation Gräfelfing (DVG) einrichtete. Was um alles in der Welt war das?

Funk- und Fernsehtechnik made in Gräfelfing
Erprobung eines von der DVG entwickelten Radargeräts am Ammersee im Jahr 1937
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Dieckmann, der 1907 eine Assistenzstelle am Lehrstuhl des Experimentalphysikers Hermann Ebert (1861–1913) an der Technischen Hochschule München angetreten hatte, beschäftigte sich mit Untersuchungen zur Elektrizität der Luft. Damit auch seine Studenten entsprechende praktische Versuche durchführen konnten, pachtete er ein Jahr später in Gräfelfing ein Wiesengrundstück mit einer Holzhütte. Seinem neu erworbenen Experimentierfeld gab er den Namen DVG. Kurze Zeit später wuchsen die ersten Sendemasten aus dem Boden, die ersten Experimente starteten und zu den Studenten gesellten sich erste feste Mitarbeiter, die in der DVG angestellt wurden.

Erste Tests an Luftschiffen

1909 wurde Ferdinand Graf von Zeppelin (1838–1917) auf die DVG aufmerksam und bat Dieckmann, die Verwendbarkeit von funkentelegrafischen Sendern für Luftschiffe zu untersuchen. Erste Experimente in Gräfelfing waren vielversprechend, sodass sich Dieckmann mit den Sendern im Gepäck zum Bodensee – der Heimatstatt des Grafs von Zeppelin – aufmachte, um sie an Bord der Luftschiffe zu testen. Es stellte sich heraus, dass der Einsatz funktionierte. Im Zuge dessen stattete Zeppelin seine Luftschiffe nach und nach mit funkentelegrafischen Sendern aus. Passagiere, die sich im Mai 1912 an Bord des Luftschiffs LZ 11 „Viktoria Luise“ befanden, kamen erstmals in der Geschichte in den Genuss, nicht nur eine Reise mit einem Luftschiff zu unternehmen, sondern gleichzeitig auch private Telegramme versenden zu können – ob dabei die Luftreise oder die Möglichkeit, private Nachrichten an Bekannte und Verwandte senden zu können, die größere Attraktion war, sei dahingestellt. Fest steht, dass die Funktechnik die Luftfahrt revolutionierte. Nun war es möglich, dass sich Luftschiffe und Flugzeuge sowohl untereinander verständigen als auch vom Boden aus kontaktiert werden konnten. Einer geordneten Luftaufsicht stand somit nichts mehr im Weg.

Einen weiteren wichtigen Beitrag, den die DVG für die Modernisierung der Luftfahrt lieferte, war die Entwicklung des Autopiloten. Dieser hatte seine Anfänge auf dem Ammersee. Bevor sich Dieckmann mit seinen Mitarbeitern an die automatische Flugsteuerung heranwagte, entwickelte er eine Fernsteuerungsanlage für Motorboote. Sie sollte zeigen, dass Steuerbewegungen automatisiert ablaufen konnten. Die DVG erhielt 1929 die Möglichkeit, der ungarischen Marine auf dem Plattensee ein ferngesteuertes Motorboot vorzuführen. Es konnte über eine Fernlenk- und Kommandoübertragungsanlage nicht nur selbstständig den Motor anlassen und diverse Steuermanöver durchführen, sondern auch automatisch ein Maschinengewehr betätigen, um Einzel- und Serienschüsse abzufeuern. Von da an war es nur eine Frage der Zeit, bis auch Flugzeuge mit Autopiloten ausgestattet wurden.

Auch im Bereich der deutschen Radarentwicklung war die DVG beteiligt – und erneut spielte der Ammersee eine zentrale Rolle. Das erste in der DVG konstruierte Radargerät erkannte die Ammersee-Dampfer, die Touristinnen und Touristen über den See schipperten, auf eine Entfernung von einem Kilometer. Zudem konnte die Geschwindigkeit der Dampfer durch Ausnutzung des Dopplereffekts ermittelt werden.

Das von der DVG ferngesteuerte Motorboot auf dem Plattensee im Jahr 1929
Es konnte über eine Fernlenk- und Kommandoübertragungsanlage nicht nur selbstständig den Motor anlassen und diverse Steuermanöver durchführen, sondern auch automatisch ein Maschinengewehr betätigen, um Einzel- und Serienschüsse abzufeuern.
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Die Geburtsstunde einer bekannten Röhre

Für all diejenigen, denen die Funktechnik zu abstrakt ist, sei an dieser Stelle noch ein weiteres Beispiel aus der Arbeit der DVG gegeben. Dazu müssen wir allerdings noch ein Stück weiter in die Vergangenheit reisen, in die Zeit um 1905. Damals war Max Dieckmann Assistent des Physikers Ferdinand Braun (1850–1918), der in Straßburg lehrte. Braun hatte 1897 eine Kathodenstrahlröhre entwickelt, die später auch als Braunsche Röhre bekannt wurde. Diese Röhre nutzte Dieckmann 1906 als Bildschreiber zur Wiedergabe von Schattenbildern im Format 3 × 3 Zentimeter. 1925 verfolgte er diese Idee weiter und konstruierte mithilfe einer Braunschen Röhre ein Gerät, das heute in fast jedem Haushalt zu finden ist: den Fernseher. Dieser wurde noch im selben Jahr auf der Verkehrsausstellung in München gezeigt.

Die Funkforschung gewann im Laufe der 1930er Jahre weiter an Bedeutung. 1937 wurde das Flugfunk-Forschungsinstitut Oberpfaffenhofen (FFO) gegründet, mit dessen Leitung Dieckmann betraut wurde. Die DVG bestand parallel zum FFO. 1942 kaufte das Reich Dieckmann die DVG ab und gliederte sie als Außenstelle in das FFO ein. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde das FFO zunächst geschlossen, konnte seine Arbeit 1954 jedoch wieder aufnehmen und nach einer kurzen Interimsphase in München-Riem 1956 in Oberpfaffenhofen seine Arbeit fortsetzen.

Und, wie ist das jetzt mit Ihrem Ausflug nach Gräfelfing?

Die DVG in den 1910er Jahren
Drahtlostelegraphische und Luftelektrische Versuchsstation Gräfelfing (DVG) war eine Vorgängerorganisation des DLR
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Ein Beitrag von Dr. Jessika Wichner aus dem DLRmagazin 172

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Julia Heil

Redaktion DLRmagazin
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