7. September 2022 | Suche nach Leben auf dem Mars

Ra­man-Spek­tro­sko­pie kann Bio­mo­le­kü­le un­ter der Mar­so­ber­flä­che ent­de­cken

  • Auswertung eines 469 Tage währenden Langzeitexperiments mit Biomolekülen auf der Außenwand der Internationalen Raumstation abgeschlossen.
  • Die in Mars-analogem Regolith platzierten Biomoleküle können mit Raman-Spektroskopie identifiziert werden. Im Marsboden sind Biomoleküle vor zerstörender UV-Strahlung geschützt.
  • Untersuchungsmethode eröffnet verbesserte Perspektiven bei der Suche nach Leben auf dem Mars und im Sonnensystem.
  • Schwerpunkte: Raumfahrt, Exploration, Astrobiologie.

Chlorophyllin, Beta-Carotin, Melanin, Chitin, Zellulose, Naringenin, Querzetin – solche exotisch klingenden biologischen Verbindungen sind wichtige Bestandteile irdischer Organismen, die extreme Umweltbedingungen aushalten. Zwischen Oktober 2014 und Februar 2016 wurden diese sieben Moleküle einem Langzeit-Stresstest im Weltall unterzogen. Überleben diese Substanzen auch die harten Strahlungsbedingungen im All? Wie stark setzen ihnen die extremen Temperaturunterschiede dort zu? Wie verändern sie sich? Und könnten sie beispielsweise auf dem Mars auch mit ferngesteuerten Messinstrumenten identifiziert werden? 469 Tage wurden die Biomoleküle an der Außenwand der Internationalen Raumstation ISS der intensiven Strahlung und dem alle 90 Minuten wechselnden Tag-und-Nacht-Rhythmus ausgesetzt. Das Ergebnis des vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) angeführten Experiments zeigt, dass die Biomoleküle im Marsboden zum einen fast unverändert überleben würden, vor allem aber mit der Methode der Raman-Spektroskopie auf dem Mars identifiziert werden könnten.

„Unsere Ergebnisse sind die ersten systematisch gemessenen Raman-Signaturen, quasi Fingerabdrücke von isolierten und im niedrigem Erdorbit dem Weltall ausgesetzten Biomolekülen“, erklärt Dr. Mickael Baqué vom DLR-Institut für Planetenforschung. „Sie bestätigen, dass wir die Raman-Spektroskopie, eine schnelle und zerstörungsfreie Messtechnik, für die Suche nach Spuren von Leben auf dem Mars einsetzen können – insbesondere im von der UV-Strahlung abgeschirmten Untergrund.“ Mickael Baqué ist Erstautor einer nun im Wissenschaftsmagazin Science Advances erschienen Studie, die Messungen und Ergebnisse des Experiments BIOMEX zusammenfasst. BIOMEX steht für BIOlogy and Mars EXperiment und war eines von vier Experimenten, die unter dem Namen EXPOSE-R2 zusammengefasst waren. Die Experimente wurden gemeinsam von der Europäischen Weltraumorganisation ESA und der russischen Agentur Roskosmos auf der Internationalen Raumstation ISS durchgeführt. Am 18. Juni 2016 kehrten die nach dem Experiment vor Licht- und Umwelteinflüssen geschützten Proben mit dem ESA-Astronauten Tim Peake in einer Sojus-Kapsel zur Erde zurück. Die Auswertung erfolgte unter anderem am DLR.

Gab oder gibt es Leben auf dem Mars?

Die Suche nach fossilen oder noch heute lebenden Organismen auf anderen Himmelskörpern ist eine der großen Triebfedern der aktuellen Planetenforschung. Leben ist bisher nur auf der Erde bekannt, aber es ist denkbar, dass sich Leben einst auch auf dem Mars, dem äußeren Nachbarplaneten der Erde, entwickelte oder dort vielleicht sogar noch heute existiert. Vor drei bis vier Milliarden Jahren gab es Wasser auf dem Mars, die Atmosphäre war dichter als heute und die Temperaturen höher. Mobile Marsroboter wie der vor zehn Jahren im Krater Gale gelandete Rover Curiosity haben in Sedimentgesteinen nachgewiesen, dass die wichtigsten chemischen Elemente für die Voraussetzungen von Leben vorhanden sind, wie Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff, Stickstoff, Schwefel und Phosphor. Spuren von Leben, sogenannte Biosignaturen, wurden jedoch noch nicht entdeckt. „Die jetzt in BIOMEX exponierten und danach untersuchten Biomoleküle spielen eine Schlüsselrolle für die aktuelle und zukünftige Suche nach Biosignaturen“, erläutert der damalige Leiter des BIOMEX-Experiments Dr. Jean-Pierre Paul de Vera vom Nutzerzentrum für Weltraumexperimente (MUSC) in der DLR-Einrichtung Raumflugbetrieb und Astronautentraining. „Denn um den Nachweis von Lebensspuren überhaupt führen zu können, müssen wir wissen, was die harschen Umweltbedingungen mit potentiellen Organismen und ihren molekularen Bestandteilen auf dem Mars machen, wie stabil sie sind oder wie sie sich gegebenenfalls durch die UV-Strahlung verändern und das dadurch gemessene Signal variiert.“

Manche Organismen mögen es extrem – wie auf dem Mars

Vor allem die auf dem Mars viel stärkere UV-Strahlung und eine die Moleküle ionisierende Strahlung, aber auch die oxidierende Umgebung und extreme Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht setzen fossilen oder existierenden Organismen zu. Das geschieht nicht nur auf dem Boden, sondern auch in Zentimetern bis zu Metern unter der Oberfläche. Für BIOMEX wurden deshalb sieben Molekülsorten für mehrere hundert Proben ausgewählt, beispielsweise Archaeen, einzellige Organismen ohne Zellkern, wie sie auch ganz am Anfang der Entwicklung von Leben auf der Erde standen und deren Existenz vor Milliarden Jahren auch auf dem Mars für möglich gehalten wird. Die für BIOMEX ausgewählten Biomoleküle sind Bestandteil von irdischen Organismen, die unter extremsten Bedingungen – Trockenheit, Kälte, Hitze, UV-Strahlung – zu überleben in der Lage sind, sogenannte extremophile Organismen.

An solchen Biomolekülen wurde bei Laboruntersuchungen auf der Erde bereits gezeigt, dass sie mit Raman-Spektroskopie (siehe auch untenstehender Kasten) identifiziert werden können. Für BIOMEX wurden die Biomoleküle auf zwei unterschiedlichen, am Museum für Naturkunde Berlin entwickelten Mars-Analogmaterialien aufgebracht beziehungsweise mit dem Regolith, dem simulierten Marsboden, vermischt: einmal ein Regolith, der mehr aus Schichtsilikaten besteht und der dem frühen Mars entspricht, und zum anderen ein schwefelhaltiges Substrat, das eher einem im Mars-Mittelalter entstandenen Regolith ähnelt. Anschließend wurden die Proben in drei Lagen unter hochtransparentem Glas von einer der Marsatmosphäre entsprechenden ‚Luft‘ umgeben bzw. vakuumiert, so dass nur die oberste Lage den Weltraumbedingungen direkt ausgesetzt war, und bei den beiden darunterliegenden Lagen die Biomoleküle gewissermaßen geschützt sind und Proben unter der Marsoberfläche repräsentieren. BIOMEX wurde am 24. Juli 2014 mit der Versorgungsmission Progress 56P zur ISS gebracht und am 22. Oktober 2014 von den Kosmonauten Maxim Surajew und Alexandr Samokutjaew durch Entfernen der Schutzabdeckung am Swesda-Modul der Raumstation den Weltraumbedingungen ausgesetzt.

ISS war die ideale Plattform für BIOMEX

„Die ISS umkreist die Erde in rund 400 Kilometer Höhe. Dort ist die UV-Strahlung um ein Vielfaches stärker als auf der Erde“, erklärt de Vera. „Die ISS bot ideale Voraussetzungen für dieses Experiment, denn die Weltraumbedingungen kommen der Situation auf dem Mars, dessen Schutz durch die Atmosphäre wesentlich geringer ist als auf der Erde und deshalb ebenfalls viel UV-Strahlung empfängt, viel näher.“ Ein Teil von BIOMEX war auch ein von der DLR-Wissenschaftlerin Dr. Elke Rabbow geleitetes, begleitendes Experiment im DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin in Köln, wo die gleichen Biomoleküle unter Quasi-Marsbedingungen in einer Weltraum-Simulationskammer typischen Strahlungsbedingungen und Temperaturunterschieden ausgesetzt waren. Nach der Rückkehr von BIOMEX wurden die Proben aus dem All und die des irdischen Labors verglichen.

„Die Datenauswertung gestaltete sich sehr aufwendig und musste sehr sorgfältig vorgenommen werden“, blickt Baqué auf anstrengende Jahre nach dem Experiment zurück. „Besonders schwierig wurde es dann, wenn sich in den Raman-Spektren zu den Signaturen der Biomoleküle auch diagnostische Linien von abiotischen Stoffen, also beispielsweise dem eisenhaltigen Mineral Hämatit oder von nicht-organischem Kohlenstoff gesellten und wir das auseinanderhalten mussten. Aber am Ende haben wir jetzt ein solides Ergebnis vorliegen, mit dem die Suche nach früherem oder noch existierendem Leben auf dem Mars wirklich verbessert werden kann.“ Wie erwartet, veränderte die ultraviolette Strahlung die Signale des Raman-Spektrums bei all jenen Proben stark, die sich in der Versuchsanordnung oben an der Oberfläche befanden und unmittelbar der UV-Strahlung ausgesetzt waren. Aber es wurden nur geringfügige Änderungen der Spektren beobachtet, wenn die beiden darunter folgenden Probenreihen vor dem UV-Licht abgeschirmt waren.

„Diese Erkenntnis ist für diejenigen Marsmissionen, die nach Biosignaturen unter der Marsoberfläche suchen, von fundamentaler Bedeutung“, freut sich de Vera. „Biosignaturen direkt auf der Oberfläche sind für die Raman-Spektroskopie allerdings schwieriger zu identifizieren. Doch dafür gibt es andere, heute noch besser geeignete Methoden.“ Raman-Spektroskopie wird aktuell auf der seit 2021 im Krater Jezero operierenden NASA-Mission Mars 2020 und ihrem Rover Perseverance mit den Experimenten SuperCam und SHERLOC durchgeführt. Außerdem soll sie auf der europäischen Mission ExoMars mit dem Rover Rosalind Franklin zum Einsatz kommen. An beiden Missionen sind auch DLR-Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beteiligt.

Mit BIOMEX wurde die Möglichkeit des Nachweises von im All ausgesetzten und in Mars-analoger Umgebung befindlichen Biomolekülen durch Raman-Spektroskopie demonstriert. Damit ist auch eine Grundlage für eine konsolidierte, weltraumerprobte Datenbank von spektroskopischen Biosignaturen in extraterrestrischen Umgebungen gelegt.

Neben den DLR-Instituten für Planetenforschung, für Optische Sensorsysteme und für Luft- und Raumfahrtmedizin sowie dem Nutzerzentrum für Weltraumexperimente (MUSC) in der DLR-Einrichtung Raumflugbetrieb und Astronautentraining waren in Deutschland das Robert-Koch-Institut, das Museum für Naturkunde und die TU Berlin, die TH Wildau, das Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie, das GFZ Potsdam, die Universität Potsdam sowie die Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf involviert.

Raman-Spektroskopie

Wie stellt man fest, aus welchen Stoffen etwas zusammengesetzt ist? In unserem Alltag hilft der optische Augenschein in fast allen Lebenslagen. Was wie Holz aussieht, ist zumeist Holz, Plastik erkennen wir leicht, und Steine sehen eben wie Steine aus. Für Wissenschaft und Technik sind diese qualitativen Einschätzungen freilich nicht ausreichend. Beispiel Steine: Kalkstein? Sandstein? Vulkangestein? Geologen und Mineralogen schauen sich den Stein zunächst an, schlagen den Stein mit dem Hammer auf, erkennen mit der Lupe verschiedene Minerale und bestimmen, ob es sich um einen magmatischen Granit, einen metamorphen Schiefer oder einen sedimentär entstandenen Sandstein usw. handelt. Sollen die Mineral- und Elementhäufigkeiten bestimmt werden, wandert ein Stück davon zur Analyse ins Labor, denn es macht, beispielsweise für die Suche nach Lagerstätten, einen gewaltigen Unterschied, ob das Gestein ein Prozent Eisen oder 17 Prozent enthält.

Auf dem Mars geht das natürlich nicht so leicht.

Eine Analysemethode aus der Distanz ist die Spektroskopie, die in vielfältiger Art zur Anwendung kommt. Dabei wird entweder das Rückstrahlverhalten (Reflexionsspektroskopie) von Stoffen in unterschiedlichen Wellenlängen des elektromagnetischen Spektrums (UV-Licht, sichtbares Licht, Infrarotes Licht usw.) in Form eines i.d.R. kontinuierlichen Spektrums gemessen und untersucht, also seine ‚Farbe‘ als Funktion der Wellenlänge quantifiziert. Oder es wird das Spektrum gemessen, das von dem Gestein natürlich – oder beispielsweise durch einen Laser angeregt – abgestrahlt wird (Emissionsspektroskopie; Wärmestrahlung im Infraroten, oder, seltener, auch Fluoreszenz und radioaktive Strahlung). Einige Methoden sind sowohl aus dem Orbit und am Boden möglich, manche auf die Nähe zum Objekt beschränkt.

Bei der Raman-Spektroskopie wird das untersuchte Objekt mit Licht einer bestimmten, diskreten Wellenlänge bestrahlt, zum Beispiel mit einem Laser, und ein spezifischer Teil des gestreuten Laserlichts am Zielpunkt (auch Rayleigh-Streuung genannt) als Spektrum gemessen. Dieser Teil wird auch Rotations-Raman-Streuung genannt. Das hierbei erhaltene Raman-Spektrum mit seinen charakteristischen Stokes-Linien ist wie ein Fingerabdruck des untersuchten Materials. Es können hierdurch die Materialeigenschaften und -zusammensetzungen abgeleitet werden.

Die Ursache für diese besonderen Streueffekte ist der sogenannte Raman-Effekt. Er beruht auf einer Wechselwirkung zwischen eingestrahltem Licht und der Materie. Dabei kann es einerseits von Energieübertragung auf die Materie kommen (‚Stokes-Seite‘ des Spektrums), aber auch von der Materie auf das Licht (‚Anti-Stokes-Seite‘). Die Farbe, also die Wellenlänge des Lichts, ist eine Funktion der Energie des Lichts. So ist UV-Licht energiereicher als das sichtbare Licht, was wir beim Sonnenbrand manchmal schmerzlich erfahren. Die Raman-Verschiebungen der Wellenlänge des eingestrahlten Lichts sind also Ausdruck von Energieübertragungen – die gemessen und diagnostisch genutzt werden können.

Der Raman-Effekt ist nach Chandrasekhara Venkata Raman (1888-1970) benannt, einem indischen Physiker, der diese Entdeckungen an der Universität Kalkutta machte und dafür 1930 mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet wurde.

Ein großer Vorteil der Raman-Spektroskopie bei der robotischen Erkundung einer planetaren Oberfläche ist, dass sie auf Distanzen bis zu einigen Metern zuverlässig, zerstörungsfrei, ohne Aufbereitung einer Probe und deshalb schnell funktioniert. Dabei lassen sich sowohl Gesteine, aber auch biotische Ziele untersuchen. Deshalb ist die Raman-Spektroskopie zunehmend eine wichtige Analysemethode auf Missionen, bei der nach früherem, fossilem, oder noch heute existentem Leben auf anderen Himmelskörpern gesucht wird. Am DLR-Institut für Planetenforschungund am DLR-Institut für Optische Sensorsysteme wird seit vielen Jahren an der Entwicklung von Raman-Spektrometern zur Verwendung bei Missionen zur Erforschung des Sonnensystems gearbeitet.

Falk Dambowsky

Leitung Media Relations, Presseredaktion
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Kommunikation
Linder Höhe, 51147 Köln
Tel: +49 2203 601-3959

Dr. Mickael Baqué

Deut­sches Zen­trum für Luft- und Raum­fahrt (DLR)
In­sti­tut für Pla­ne­ten­for­schung
Pla­ne­ta­re La­bo­re
Rutherfordstraße 2, 12489 Berlin

Dr. Elke Rabbow

Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin
Strahlenbiologie
Linder Höhe, 51147 Köln