26. Mai 2023

Deutschlandticket: Erwartungen, Zielgruppen und Mobilitätsverhalten

Deutschlandticket: Erwartungen, Zielgruppen und Mobilitätsverhalten
Symbolbild: S-Bahn Köln
  • Mit dem Deutschlandticket kann der ÖPNV bundesweit für 49 Euro im Monat genutzt werden.
  • Im Interview gibt DLR-Verkehrsforscher Prof. Gernot Liedtke einen Einblick, wie sich dieses neue Ticket auswirkt.
  • Attraktiv ist es vor allem für Pendlerinnen und Pendler, besonders auf langen Strecken. Familien spricht es weniger an.
  • Schwerpunkte: Verkehr, Mobilität der Zukunft, öffentliche Verkehrsmittel

Mit dem Deutschlandticket können seit Mai 2023 bundesweit alle Verkehrsmittel des öffentlichen Personennahverkehrs für 49 Euro pro Monat genutzt werden. Dieses neue Angebot knüpft an den Erfolg des 9-Euro-Tickets aus dem Vorjahr an. Erhältlich ist es allerdings nur im Abo. Im Interview gibt Prof. Gernot Liedtke einen Einblick, was er vom Deutschlandticket erwartet, für wen es besonders attraktiv ist und wie es sich auf unsere Mobilität auswirkt.

Gernot Liedtke leitet am Institut für Verkehrsforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Berlin die Abteilung für Verkehrsmärkte und -angebote. Mit seinem Team untersuchte er bereits die Auswirkungen des 9-Euro-Tickets im Rahmen einer großangelegten Studie zu den Effekten der Corona-Pandemie auf Logistik, Mobilität und Transportsystem.

Mit welchem Zuspruch rechnen Sie für das Deutschlandticket?

DLR-Forscher Prof. Gernot Liedtke

Prof. Gernot Liedtke: Ein Großteil derjenigen, die bereits eine Monatskarte für den ÖPNV haben, werden auch das Deutschlandticket nutzen. Vielleicht mit etwas Verzögerung, denn vielen dürfte die Frist zum Vorbestellen beziehungsweise Umstellen des Tickets entgangen sein. Dazu kommen dann noch neue Nutzende. Da das Deutschlandticket in seiner Struktur eher den bisherigen Zeitkarten ähnelt, dürfte die Zahl der Abonnierenden deutlich geringer sein als beim 9-Euro-Ticket. Auch können Kinder beim Deutschlandticket nicht umsonst mitfahren und man darf auch am Wochenende keine weiteren Personen mitnehmen. Es kann also sein, dass nicht alle bisherigen Zeitkartenbesitzenden auf das Deutschlandticket umstellen. Man kann aktuell von maximal circa 12 Millionen Abonnierenden ausgehen.

Wer wird das Deutschlandticket vorwiegend nutzen und für welche Wege?

Liedtke: Das werden vorwiegend Pendlerinnen und Pendler für die Wege zum Arbeits- oder Ausbildungsplatz sein. Wer schon ein Abo abgeschlossen hat, wird das Deutschlandticket sicher auch für Ausflüge am Wochenende oder für Fahrten am Urlaubsort in Deutschland nutzen. Wenn man eine nationale Reise plant, kann man zudem gezielt schnelle Regionalexpressverbindungen in eine Fahrt integrieren und auf diese Weise die zurückgelegte Strecke mit dem ICE verringern – und das, ohne dass die Fahrzeit in die Höhe schießt.

Fördert das Deutschlandticket den Umstieg vom privaten Pkw auf den öffentlichen Nahverkehr? Oder unterstützt es nur Menschen, die ohnehin schon mit den Öffentlichen unterwegs sind?

Liedtke: Das Deutschlandticket unterstützt finanziell zunächst diejenigen, die bereits den öffentlichen Nahverkehr nutzen. Insbesondere die Fernpendlerinnen und Fernpendler, die bisher vergleichsweise hohe Kosten für ihre Nahverkehrstickets hatten. Neu dazu kommen Menschen, die schon jetzt regelmäßig, aber nicht täglich, den ÖPNV nutzen und dazu bisher Einzel- oder Tagestickets gekauft haben. Außerdem wird der öffentliche Nahverkehr auch für Fernpendelnde attraktiver, die über die Grenzen von Tarifbünden hinaus oder bis an deren äußersten Rand unterwegs sind und denen die Tickets dafür bisher zu teuer waren.

Schafft das Deutschlandticket nur mehr Verkehr oder auch eine andere Mobilität?

Liedtke: Jedes neue Angebot schafft, wenn es attraktiver und/oder günstiger als bestehende Angebote ist, natürlich auch neue zusätzliche Mobilität. Gerade bei einem Flatrate-Ticket wie dem Deutschlandticket fährt man auch mal wohin, wo man sonst nicht hingefahren wäre. Aber gleichzeitig fällt es bei solchen Tickets auch leichter, das Auto ab und zu stehen zu lassen, eben weil eine zusätzliche Fahrt kostenlos ist.

Hat das Deutschlandticket eine gesellschaftliche Komponente?

Liedtke: Eine negative, also nicht wünschenswerte gesellschaftliche Wirkung ist kaum gegeben. Allerdings müssen mehr Steuermittel in den öffentlichen Personennahverkehr gegeben werden: für Investitionen, um die Kapazität steigern und um Finanzierungslücken zu schließen. Da die Nutzung eines privaten Pkw mit der Höhe des Einkommens steigt, profitieren vom Deutschlandticket die vermögenderen Haushalte nicht. Allerdings könnte es attraktiver werden, wieder weiter ins Umland von Ballungsräumen zu ziehen.

Wie sinnvoll ist es, dass es das Deutschlandticket nur im Abo gibt?

Liedtke: Das Abo-Modell hat Vor- und Nachteile. Hat man einmal ein Abo für ein Nahverkehrsticket abgeschlossen, lässt man es aus Bequemlichkeit oft einfach weiterlaufen. Nachteilig wirken sich Fristen für den Vorverkauf aus, wie es sie bei manchen Verkehrsverbünden gibt. Gleiches gilt für die Angst vor einer umständlichen Kündigung des Deutschlandtickets. Für die Verkehrsverbünde und Verkehrsunternehmen, die das Deutschlandticket vertreiben, sind Abos sehr wichtig. Denn sie garantieren verlässliche Zahlungsströme, mit denen die Verbünde und Unternehmen planen können.

Für welche Gruppen ist das Abo-Format des Deutschlandtickets eher weniger attraktiv?

Liedtke: Menschen, die in ländlichen Regionen wohnen, werden sich das Deutschlandticket eher nicht kaufen. Aufgrund des weniger dichten ÖPNV-Angebots lohnt es sich hier schlicht nicht. Auch für Kinder, Jugendliche und Familien ist es nicht sonderlich attraktiv: Kinder und Jugendliche nutzen schon häufig vergünstigte oder kostenlose ÖPNV-Tickets, während Familien die Möglichkeit fehlt, weitere Personen mit dem Deutschlandticket mitzunehmen. Generell schließt das Deutschlandticket aber weniger Nutzende aus, als dies mit den vorherigen Tarifen für Fernpendlerinnen und Fernpendler im ÖPNV der Fall war. Denn diese mussten für ihre Tickets teilweise um die 200 Euro pro Monat zahlen.

Welche Auswirkungen des Deutschlandtickets auf Klima und Umwelt erwarten Sie?

Liedtke: Kurzfristig gehen wir davon aus, dass jährlich rund eine Million Tonnen CO2 eingespart werden. Diese Einsparung ist allerdings marginal. Denn in Deutschland wurden im Jahr 2021 laut dem Bundesumweltamt circa 147 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente im gesamten Verkehrssektor ausgestoßen. Langfristig können die Auswirkungen auf die Emissionen aber durchaus auch größer ausfallen: Etwa weil es durch verkehrliche Entlastungen weniger Staus gibt, das Angebot ausgeweitet und verbessert wird und langfristige Mobilitätsänderungen eintreten. Das müssen wir aufmerksam beobachten.

Welche Auswirkung hat das Deutschlandticket auf die bereits stark ausgelastete Infrastruktur des ÖPNV?

Liedtke: Was Züge und Busse im öffentlichen Nahverkehr betrifft, so dürften diese kurzfristig noch voller werden, als sie es ohnehin zu Stoßzeiten oft schon sind. Vermutlich betrifft das vor allem die Bahnverbindungen, auf denen Pendelnde und insbesondere die Fernpendelnde unterwegs sind. Auf der Schiene kann durch den Einsatz längerer Züge und Doppelstockwagen ein Ausgleich erfolgen. Denn schon beim 9-Euro-Ticket hat man die zum Teil sehr hohe Auslastung besonders von Zügen gesehen.

Kontakt

Denise Nüssle

Presseredaktion
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Kommunikation
Pfaffenwaldring 38-40, 70569 Stuttgart
Tel: +49 711 6862-8086

Prof. Dr. Gernot Liedtke

Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Institut für Verkehrsforschung
Verkehrsmärkte & -angebote
Rudower Chaussee 7, 12489 Berlin