60 Jahre DLR-Standort Stuttgart

Energie war in Stuttgart schon immer ein Thema – nicht nur, wenn es „um‘s Spare‘“oder das Heizen des eigenen „Häusles“ ging. Ingenieure, Tüftler und „echte Käpsele“ steckten ihre Energie in zahllose Erfindungen – insbesondere für die Mobilität zu Lande, zu Wasser und in der Luft. Noch höher hinaus, mit viel Schub ins All, wollte das 1954 in Stuttgart gegründete Forschungsinstitut für Physik der Strahlantriebe. 1961 wurde dieses Institut zur Keimzelle des DLR-Standorts Stuttgart.

In den vergangenen sechs Jahrzehnten kamen am DLR Stuttgart mit neuen Instituten auch neue Schwerpunkte der Energie- und Verkehrsforschung hinzu. Heute erstreckt sich das Stuttgarter Forschungsspektrum vom klimaneutralen und sicheren Fliegen über die nachhaltige Energieversorgung aus erneuerbaren Quellen, innovativen Fahrzeugkonzepten für unsere Mobilität von Morgen bis hin zur effizienten und sicheren Raumfahrt.

Schon in den Sechzigern zeigte sich die Forschung am Stuttgarter DLR-Standort ganz interdisziplinär: Die damaligen Institute arbeiteten an Triebwerkstechnologien, entwarfen wiederverwendbare Raumtransporter und entwickelten Energiewandler sowie elektrische Antriebe. Mit Technologien, Erkenntnissen und Fähigkeiten aus der Luft- und Raumfahrt sollten sich jedoch auch ganz irdische Herausforderungen lösen lassen – nämlich bei der Energieversorgung. Die DLR-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler begannen mit Arbeiten an neuen Speicher- und Wandlersystemen für Sonnen- und Windenergie. Damit nahm am Standort Stuttgart die Energieforschung des DLR ihren Anfang. Als erste große Einrichtung forschte das DLR – damals noch DFVLR (Deutschen Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt) – systematisch auf den Gebieten erneuerbare Energien und Wasserstoff. 1977 beauftragte die Internationale Energie-Agentur das DLR im spanischen Almería zwei Solarkraftwerke zu bauen, um die technische Machbarkeit der umweltfreundlichen Energiegewinnung zu demonstrieren.

Neue Materialien und Hochleistungsbauteile

In den Siebzigern zeigte sich die Überlegenheit innovativer Werkstoffe und Bauweisen gegenüber herkömmlichen Materialien. Aus neuartigen Composite-Werkstoffen entstanden ultraleichte Rotorblätter für Windräder. Bauteile aus faserverstärkten Keramiken zeigten sich bei hohen Temperaturen belastbarer als Metalle. Mit Hilfe neuer Fertigungstechnologien entstanden in den DLR-Laboren Hightech-Materialien für Gasturbinen, Triebwerke oder Hitzeschutzschilde für den Wiedereintritt beim Raumflug. Ein Stuttgarter Sportwagenhersteller fertigte später sogar seine Bremsscheiben aus diesen Keramiken.

Laser für Materialbearbeitung und Ferndetektion

Mit den Achtzigern hielt eine ganz andere Innovation Einzug in den traditionell schwäbischen Maschinenbau: Laser – zum Schneiden und Schweißen mit Licht. In mikroprozessorgesteuerten Laser-Bearbeitungsstationen ließen sich nun Präzisionsbauteile fertigen, die zuvor konventionell kaum herzustellen waren. Am DLR Stuttgart entstanden zahlreiche Prototypen innovativer Gas- und Festkörperlaser mit vielen Kilowatt Leistung, deren Funktionsprinzip sich heute tausendfach in Industrielasern wiederfindet. Es gab auch Experimente dazu, ob Laserenergie ausreichen kann, um Minisatelliten ins All zu bringen. Heute entstehen am Standort Laser- und Optiksysteme für die Bereiche Sicherheit und Verteidigung, zur Ferndetektion von Gefahrstoffen, zur Drohnenerkennung, für Fluginstrumentierungen und zur Orbitbeobachtung.

Wasserstoff für Strom und Mobilität

Das erste Wasserstoff-Auto Europas
Das erste Wasserstoff-Auto Europas
1978 stellte die DFVLR das erste Wasserstoff-Auto Europas vor. Der Tank füllte den ganzen Kofferraum. Die Stuttgarter DLR-Forscherinnen und -Forscher bauten den Wagen selbst um und entwickelten eine halbautomatische Zapfsäule. Der Wagen steht heute im BMW-Museum in München.

Nicht zuletzt getrieben durch die Ölkrisen der Siebziger stand bereits 1978 der erste PKW mit Wasserstoff-Motor auf dem Stuttgarter DLR-Gelände. Die Fachleute arbeiteten daran, wie sich der alternative Kraftstoff stabil speichern lässt. Es gab sogar eine eigene Wasserstofftankstelle auf dem DLR-Hof.

Wie sich Wasserstoff großtechnisch gewinnen und zur Stromerzeugung nutzen lässt, demonstrierten die DLR-Forscherinnen und Forscher 1985: In Stuttgart und Riad entstanden zwei photovoltaische Elektrolyseanlagen mit mehreren hundert Kilowatt Leistung. Damit begann in Stuttgart die Brennstoffzellenforschung.

In den Neunzigern gelangen Pionierarbeiten bei der Entwicklung von Membran-Brennstoffzellen mit mehreren Kilowatt elektrischer Leistung. Mit neuen Elektroden, die im Plasma-Spritzverfahren gefertigt wurden, ließen bis zu 20 Prozent höhere Wirkungsgrade erzielen. Dabei hatten die DLR-Forscherinnen und -Forscher stets auch deren Anwendungen im Blick: Von Energiewandlern zur Kraft-Wärme-Kopplung bis hin zu hocheffizienten Antrieben für Kraftfahrzeuge und Flugzeuge. Ein Meilenstein war 2009 der Erstflug der Antares DLR-H2, dem weltweit ersten Passagierflugzeug mit reinem Brennstoffzellenantrieb – einem Vorläufer der viersitzigen Hy4.

Jahrtausendwende – Verkehrswende – Energiewende

Hy4 Fliegen mit der Brennstoffzelle
Hy4 Fliegen mit der Brennstoffzelle
Die Hy4 ist weltweit das erste viersitzige Passagierflugzeug mit reinem Wasserstoff-Brennstoffzellen-Antrieb. In Stuttgart wurde der emissionsfreie Antriebsstrang entwickelt und integriert.
Credit:

DLR (CC-BY 3.0).

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2002 entstand am Standort Stuttgart ein neuer Forschungsschwerpunkt: Innovative Fahrzeugkonzepte für Straße und Schiene für eine nachhaltige Mobilität mit erneuerbaren Energien. Darin entwickelten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ein erstes Kleinfahrzeug mit Brennstoffzellenantrieb. Es war der Ursprung der jüngsten Forschungsfahrzeuge: Dem Innenstadt-Shuttle UMV Peoplemover (Urban Modular Vehicle) und dem ultraleichten Pendlerfahrzeug SLRV (Safe Light Regional Vehicle). Mit dem U-Shift entwickelten die Forscherinnen und Forscher ein zukunftweisendes Mobilitätskonzept: Fahrzeug und Aufbau lassen sich trennen. Das elektrisch angetriebene Driveboard kann autonom unterschiedliche Personen- oder Frachtaufbauten rund um die Uhr transportieren.

Das Projekt Next Generation Train hat währenddessen den Bahnverkehr von Morgen im Blick: Sichere, leichte und robuste Züge mit hocheffizienten Elektro-, Batterie- oder Brennstoffzellenantrieben fahren mit Geschwindigkeiten, bei denen Flugzeuge abheben. Viele dieser DLR-Technologien begegnen uns bereits heute im Alltag, wie im ersten wasserstoffbetriebenen Personenzug Deutschlands.

Festoxid-Brennstoffzelle im Labortest
Festoxid-Brennstoffzelle im Labortest
Auf der Vorder- und der Rückseite des keramischen Elektrolyts (weiße Platte) befinden sich Elektroden. Diese sind in Segmente (dunkle Quadrate) aufgeteilt, um die Leistung großflächiger Zellen zu optimieren.

Für eine sichere und regelbare Versorgung mit regenerativen Energien forscht das DLR Stuttgart interdisziplinär an industrietauglichen Schlüsseltechnologien für Wärmespeicher, Batterien, „grünem“ Wasserstoff und synthetischen Kraftstoffen. Beispiele sind die Testanlage für Wärmespeicherung in Salzschmelzen (TESIS) und die Technologieplattform Dezentrale Energien (TPDE) auf Basis von Mikrogasturbinen. Mit ihnen untersuchen die DLR-Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wie eine flächendeckende, nachhaltige Energieversorgung gelingen kann. Dazu zählen auch Forschungsflüge, um klimafreundliche Bio-Kraftstoffe zu erproben. Angesichts des weltweit steigenden Energiebedarfs entwerfen die DLR-Forscherinnen und -Forscher Konzepte, wie sich Strom und Wärme möglichst effizient erzeugen lassen. Hierbei kombinierten sie auch unterschiedliche Technologien, wie Hochtemperatur-Brennstoffzellen und Gasturbinen in Hybrid-Kraftwerken. Darüber hinaus arbeitet das DLR Stuttgart an neuen Technologien und Materialien für solarthermische Kraftwerke, wie dem Receiver-Konzept. Hier nehmen kleine keramische Partikel in konzentriertem Sonnenlicht Wärme auf, um damit Turbinen und Generatoren anzutreiben.

Auch 2021 geht es hoch hinaus

Im Projekt IRAS (Integrated Digital Research Platform for Affordable Satellites) entstehen innovative Technologien für den Satellitenbau. Mit additiven Druckverfahren, grünen Antriebstechnologien, neuartigen Bauformen und Elektronikschaltungen sowie Produktionsverfahren lassen sich Satelliten künftig nachhaltiger und kostengünstiger herstellen.

We drive future
We drive future
Auf dem klimatisierten Allrad-Rollenprüfstand testen die DLR-Ingenieurinnen und -Ingeniere Autos mit Verbrennungsmotor, Elektro- und sogar Wasserstoffantrieb in genormten Fahrzyklen auf "Herz auf Nieren" – mit bis zu 200 Stundenkilometern.

 Und schließlich darf in Stuttgart natürlich die Kehrwoche nicht fehlen: Mit Lasern und optischen Teleskopen gehen die DLR-Forscherinnen und -Forscher auf die Suche nach Trümmern im All und entwickeln Konzepte, wie sich dieser beseitigen lässt. Bis auf wenige Meter genau können sie die Position von Weltraumschrott bestimmen. Dies ermöglicht aktiven Satelliten effiziente Ausweichmanöver durchzuführen und Kollisionen mit Schrottteilen zu vermeiden.

Heute forschen am DLR-Standort Stuttgart rund 750 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in sechs Instituten. Auch die Auszubildenden sind von Anfang an aktiv in den Forschungsbetrieb eingebunden – in der Systemelektronik, der Feinmechanik, im Büromanagement oder in dualen Studiengängen für Maschinenbau, Elektro- oder Informationstechnik. Und sie gehören zu den Besten ihres Fachs: Regelmäßig erzielen sie Spitzenplätze und Preise bei Landes- und Bundeswettbewerben – voller Energie eben.

Der Beitrag stammt aus der Ausgabe 167 des DLRmagazins

Institute und Einrichtungen am DLR Stuttgart

Dr. Jens Mende

Kommunikation Stuttgart und Ulm
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Kommunikation
Pfaffenwaldring 38-40, 70569 Stuttgart
Tel: +49 711 6862-229