Ein Jahrzehnt Satellitendatenempfang im arktischen Inuvik

Wenn die Sonne scheint und es windstill ist, erscheinen die minus zehn Grad Celsius Jahresdurchschnittstemperatur in Inuvik harmlos. Doch wenn das Wetter umschlägt, zeigt die Arktis ihre wahre Natur. Auf dem endlos blauen Himmel ballen sich Sturmwolken zusammen, peitschende Böen entladen sich und innerhalb von Minuten verschwinden Gebäude und Sträucher konturlos in Weiß auf Weiß. Im Winter sinkt das Thermometer auf bis zu minus 45 Grad. Im kurzen Sommer hingegen steigen Wolken von Stechmücken aus den unzähligen Pfützen, Tümpeln und Seen auf. Bei bis zu plus 30 Grad Celsius verwandelt sich der Permafrostboden in Morast. Warum sollte ausgerechnet hier jemand eine Bodenstation errichten?

Aufbau Inuvik Satellitenbodenstation
Aufbau Inuvik Satellitenbodenstation
16 Tragpfeiler wurden jeweils 14 Meter tief in den Permafrostboden getrieben und halten die 31 Tonnen schwere Anlage auch bei arktischen Stürmen und Tauwetter stabil .

Inuvik liegt nördlich des Polarkreises in den Nordwest-Territorien Kanadas. Knapp 150 Kilometer sind es zum Arktischen Ozean, keine 2.500 Kilometer zum Nordpol. Seit zehn Jahren betreibt das Earth Observation Center (EOC) des DLR in dieser unwirtlichen Gegend eine Antenne zum Empfang von Satellitendaten. Die Anlage ist – neben der Antarktis-Empfangsstation GARS O‘Higgins – die zweite polnahe DLR-Bodenstation. Die Standorte jenseits der Polarkreise erlauben mehrere Kontakte täglich zu ein und demselben Satelliten. Denn ihr Orbit führt die meisten Erdbeobachtungssatelliten etwa alle 45 Minuten in die Nähe der Pole. In Inuvik können so täglich bis zu zweieinhalb Stunden lang die Daten eines Satelliten empfangen werden. Unverzichtbar für datenintensive Missionen, wie beispielsweise die deutsche TanDEM-X-Mission zur dreidimensionalen Vermessung der Erdoberfläche. Seit 2018 ist die Antenne zudem für das europäische Erdbeobachtungsprogramm Copernicus im Einsatz und empfängt Messungen des Umweltsatelliten Sentinel-5P.

Der 13 Meter große Reflektor der Bodenstation
Der 13 Meter große Reflektor der Bodenstation
Er peilt die Zielsatelliten exat an und kann auch bei extremen Wetterbedingungen während der Überflüge zuverlässig Kontakt halten.

Mittlerweile ist die Antenne auch nicht mehr allein. War sie bei ihrer Einweihung lediglich von Bäumen und Menschen umgeben, konnte die DLR-Bodenstation ihr rundes Jubiläum im Juni 2020 auch in technologischer Gesellschaft feiern: Um sie herum ist – unter Hoheit des kanadischen Erdbeobachtungszentrums CMEO (Canada Centre for Mapping and Earth Observation) – die Inuvik Satellite Station Facility (ISSF) entstanden, die nun insgesamt fünf Antennen umfasst.

Angekommen – indigene Kunst und Plausch beim Einkaufen

Die Lage im Permafrost stellt besondere Anforderungen an den Antennenbau. 16 Tragpfeiler wurden jeweils 14 Meter tief in den Permafrostboden getrieben und halten die 31 Tonnen schwere Anlage auch bei arktischen Stürmen und Tauwetter stabil. Nur so kann der 13 Meter große Reflektor die Zielsatelliten exakt anpeilen und auch bei extremen Wetterbedingungen während der Überflüge zuverlässig Kontakt halten. Bis heute hat die DLR-Antenne mehr als 30.000 Passagen allein der TanDEM-X-Satelliten aufgezeichnet. Täglich werden bis zu 350 Gigabyte Datenfracht empfangen und an das EOC in Oberpfaffenhofen weitergeleitet.

Doch nicht nur ihr Fundament macht die Bodenstation einzigartig: Statt des üblichen weißen Anstrichs leuchten die Antennen in Inuvikseit einem Jahr in kunstvoller Farbenpracht. Die DLR-Antenne ziert das Motiv eines traditionellen Eisfischers. Das Bild stammt vom regionalen Künstler Ronnie Simon und ist Teil des Projekts „Antenna as Canvas“. Die Kunstinstallation verwandelt die Erdbeobachtungstechnologie in ein weithin sichtbares Zeichen der Verbundenheit zwischen den indigenen Bevölkerungsgruppen und den Stationsbetreibern in Inuvik. So waren die Repräsentanten der Gwich’in, Inuvialuit und Métis auch beim Aufbau der Station von Beginn an miteinbezogen und segneten die Anlage 2010 bei ihrer Einweihung.

Jeder der rund 3.500 Einwohnerinnen und Einwohner kennt die Satellitenbodenstation, die von einer Anhöhe aus auf die Straße zwischen Ortschaft und Flughafen von Inuvik blickt, die Lebensader der lokalen Versorgungs- und Infrastruktur. Dank des Dempster Highways und regionaler Fluglinien ist der Standort ganzjährig erreichbar. Auch „the Germans“ sind bekannt, wie Dr. Erhard Diedrich vom Earth Observation Center weiß. Die Anlage wurde inzwischen weitestgehend automatisiert und kann von Deutschland aus betrieben werden, doch zwei bis drei DLR-Mitarbeitende sind mehrmals im Jahr für Wartungsarbeiten vor Ort. Dr. Diedrich ist für die DLR-Bodenstation verantwortlich und daher regelmäßig in Inuvik: „‚Ah, you are from the satellite station.‘ Wenn ich in der Stadt einkaufen gehe und meine DLR-Jacke trage, werde ich oft angesprochen und in ein Gespräch verwickelt. Es ist wirklich ein schönes Gefühl, dass uns die Menschen so positiv begegnen.“ Eine Entwicklung, auf die der Fernerkundungsexperte stolz ist, da es anfangs viel Erklärungsbedarf gab. „Die Reaktionen der Einheimischen waren früher oft ungläubiges Staunen und auch ein wenig Kopfschütteln, wenn ich erzählt habe, was ich in Inuvik mache“, erinnert sich Diedrich. Nach mehr als zehn Jahren Aktivität des EOCTeams gehört die Empfangsanlage heute wie selbstverständlich hierher, sie ist in den Köpfen der lokalen Bevölkerung angekommen.

Nachhaltig – Forschung statt Rohstoffabbau

Aufbau und Betrieb der Arktisantenne waren aber nicht nur für die deutschen Forschenden eine Herzensangelegenheit. Die kanadischen Regierungsbehörden und Forschungspartner haben das ambitionierte Vorhaben der Oberpfaffenhofener seit der ersten Kontaktaufnahme unterstützt und sind bis heute treibende Kraft für Fernerkundungsaktivitäten in Inuvik. Wie das örtliche Aurora College zählt auch die Satellitenbodenstation ISSF mit der DLR-Antenne zu den nachhaltigen Einrichtungen, die in Inuvik dringend gefragt sind. Der Norden Kanadas ist seit Jahrzehntenvon der Rohstoffexploration geprägt, welche das hochsensible Ökosystem der Arktis zunehmend belastet und auch die regionale Wirtschaft durch schwankende Erträge in Mitleidenschaft zieht.

So führten Gespräche zwischen DLR, CCMEO und der Regierung der Nordwest-Territorien zu einem besonderen Ausbau der Bodenstation – in einem Herkulesakt wurde eine Glasfaserverbindung nach Inuvik verlegt. Der „Mackenzie Valley Fibre Link“ durchquert mehr als 1.115 Kilometer arktischen Permafrostboden und wurde 2017, innerhalb von zwei Jahren, realisiert. Zuvor stellten Mikrowellen-Relais-Stationen entlang des Dempster Highways die Telekommunikation des Orts mit der Außenwelt sicher. Der neue Glasfaserlink dient nicht nur dem Betrieb der ISSF, sondern versorgt auch die Einwohner von Inuvik mit einer schnellen Internetanbindung, etwa zur Ausbildung und für die telemedizinische Versorgung.

Die Erdbeobachtungsdaten, welche die DLR-Bodenstation empfängt, geben Aufschluss über den Zustand der Erdoberfläche, des Eises und der Vegetation, der Ozeane und der Atmosphäre. Gerade die globalen Permafrostgebiete erleben derzeit im Zuge der globalen Erwärmung massive Veränderungen. Der Permafrost taut. Bereits jetzt gehen Teile der kanadischen Küste und der Infrastruktur durch die einsetzende Erosion verloren. Doch die eigentliche Gefahr lauert im Eis. Ungeheure Mengen Treibhausgas lagern im Boden, die beim Auftauen freigesetzt werden können. Einzig die Erdbeobachtung kann solche Änderungen großflächig erfassen. Satelliten tragen wesentlich dazu bei, das System Erde zu verstehen und internationale Maßnahmen gegen den Klimawandel zu unterstützen.

Aufgrund des Permafrosts ist Inuvik auch Anlaufstelle für Umwelt- und Klimaforscher aus aller Welt, die die Veränderungen vor Ort untersuchen. Sie erhalten hier Unterstützung durch das Aurora Research Institute, welches Büros, Laboratorien und technische Ausrüstungen zur Verfügung stellt. In Kooperation mit dem EOC aus Oberpfaffenhofen könnten künftig Datenservices dazugehören, wie beispielsweise aus Radardaten abgeleitete Informationen zur aktuellen Eisentwicklung. Das Earth Observation Center des DLR hat mit seiner ersten Empfangsanlage im kanadischen Norden eine nachhaltige Entwicklung angestoßen. Die Fernerkundungsexperten blicken somit nicht nur auf zehn Jahre erfolgreichen Empfangsbetrieb zurück, sondern treiben auch die Forschung für die nächsten Jahrzehnte voran. Inuvik erweist sich mit seiner polnahen Lage, seinen guten Versorgungswegen, seiner schnellen Internetanbindung und vor allem dank der herzlichen Unterstützung vor Ort als idealer Standort, um Daten für internationale Satellitenmissionen zu empfangen. Das EOC hat seinen Platz in der Arktis gefunden.

Der Beitrag stammt aus der Ausgabe 165 des DLRmagazins

Inuvik Satellite Station Facility

Die DLR-Bodenstation in der Arktis wird vom Deutschen Fernerkundungsdatenzentrum des Earth Observation Centers betrieben. Sie ist
auf dem Gelände der Inuvik Satellite Station Facility (ISSF) beheimatet, die von der kanadischen Erdbeobachtungsorganisation CCMEO
(Canada Centre for Mapping and Earth Observation) geleitet wird. Auf der ISSF befinden sich vier weitere Antennenanlagen, die von der
schwedischen Raumfahrtagentur SSC (Swedish Space Corporation), vom Ministerium Natural Resources Canada und von der französischen Raumfahrtagentur CNES (Centre national d’études spatiales) betrieben werden.

ISSF
ISSF
Inuvik Satellite Station Facility (ISSF)
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Bernadette Jung

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