Artikel aus dem DLRmagazin 177: Wie Strömungsforschung zur Erfindung eines neuen Schiffsantriebs beitrug

Drehende Zylinder auf Reisen

Das Rotorschiff Buckau
Die Buckau wurde eine Zeit lang von großen, sich drehenden Zylindern angetrieben. Dieser Antrieb beruht auf dem sogenannten Magnus-Effekt.

Am 19. November 1924 manövrierte ein Schiff langsam durch den Kieler Hafen. An Bord befanden sich Ludwig Prandtl und Albert Betz aus der Aerodynamischen Versuchsanstalt (AVA) in Göttingen – einer Vorgängerorganisation des DLR – sowie der Ingenieur Anton Flettner. Das Schiff mit dem Namen Buckau war viele Jahre als Segelschiff im Einsatz gewesen, doch von den Segeln war inzwischen nichts mehr zu sehen. Stattdessen ragten zwei große, sich drehende Zylinder in den Himmel, die von zahlreichen Schaulustigen bestaunt wurden. Wie konnte es sein, dass ein Schiff ganz ohne Segel vorankommt, und wozu dienten die Zylinder?

Um diese Fragen zu beantworten, müssen wir ein wenig in der Geschichte zurückgehen, und zwar ins Jahr 1852. In jenem Jahr erbrachte der deutsche Physiker Heinrich Gustav Magnus den Nachweis, dass sich an einem drehenden Zylinder, der mit Luft angeblasen wird, eine Querkraft bildet. Diese sorgt zum Beispiel bei einem „geschnittenen Ball“ beim Tennis oder Tischtennis dafür, dass die Flugbahn nicht gerade verläuft, sondern der Ball abgelenkt wird. Magnus selbst konnte dieses Phänomen, das heute als Magnus-Effekt bezeichnet wird, jedoch noch nicht hinreichend erklären, da die Strömungsforschung zu jener Zeit noch in den Kinderschuhen steckte.

Untersuchung eines drehenden Zylinders im Windkanal der AVA, um 1923
In der Aerodynamischen Versuchsanstalt (AVA) in Göttingen fanden Untersuchungen zum Magnus-Effekt statt.

Der Magnus-Effekt in Theorie und Praxis

Etwas mehr als ein halbes Jahrhundert später untersuchte Ludwig Prandtl in Göttingen Strömungen an rotierenden Zylindern im Wasserkanal. Während die Untersuchungen zunächst keine große Beachtung fanden, holte Prandtl die Ergebnisse nach dem Ersten Weltkrieg wieder hervor. Ein Mitarbeiter Prandtls, Carl Wieselsberger, führte in dieser Zeit erneut Messungen an drehenden Zylindern durch, um den Geheimnissen des Magnus-Effekts auf die Spur zu kommen. Das gelang schließlich mit der Entwicklung kleiner schnelllaufender Drehstrommotoren durch Albert Betz, der damals stellvertretender Leiter der AVA war, sowie der Anbringung von Scheiben an den Enden des Zylinders.

Der Dreimastschoner Buckau vor der Umrüstung
Der Ingenieur Anton Flettner beauftragte die Germaniawerft in Kiel, das Segelschiff Buckau zum Rotorschiff umzurüsten.

Neue Antriebsquelle für Schiffe

Die Ergebnisse wurden durch die AVA publiziert und erregten die Aufmerksamkeit von Anton Flettner, einem umtriebigen Ingenieur, der bereits zahlreiche Erfindungen als Patent angemeldet hatte. Er kam auf den Gedanken, den Magnus-Effekt für den Antrieb von Schiffen zu nutzen, denn das bis dahin übliche Segelschiff war nicht nur personalintensiv, sondern auch vergleichsweise teuer, da die Takelage regelmäßig erneuert werden musste. Nachdem er ein kleines Schiffsmodell mit rotierenden Zylindern konstruiert und auf dem Wannsee erprobt hatte, wandte er sich an die AVA und bat um die Durchführung systematischer Untersuchungen im Windkanal.

Die Messungen in der AVA bestätigten das Potenzial der rotierenden Zylinder als Antriebsquelle, sodass Flettner in der Folgezeit die Germaniawerft in Kiel beauftragte, das Segelschiff Buckau gemäß seinen Wünschen umzurüsten: Anstelle der Segelmasten bekam es nun zwei Zylinder mit einem Durchmesser von 2,8 Metern, die rund 18 Meter über Deck in die Höhe ragten. Angetrieben wurde jeder Zylinder mit einem 7,5-Kilowatt-Elektromotor.

Das Rotorschiff Buckau im Kieler Hafen 1924
Bei den Probefahrten erregte das Schiff großes Aufsehen.

Buckau wird Baden-Baden

Die ersten Fahrten mit dem Rotorschiff erfolgten Mitte Oktober 1924. Am 12. November konnten sich dann auch Ludwig Prandtl und Albert Betz von der Funktionstüchtigkeit des Schiffs überzeugen. Die Presse verfolgte den Bau und die Versuchsfahrten der Buckau mit großem Interesse und schrieb die Erfindung Anton Flettner zu, ohne jedoch die maßgeblichen theoretischen Vorarbeiten der AVA in Sachen Magnus-Effekt zu erwähnen. Dies führte zu entsprechendem Missfallen der AVA, zumal Anton Flettner die Forschungsanstalt auch nicht darüber informiert hatte, dass er auf die Ausnutzung des Magnus-Effekts für Schiffe bereits ein Patent beantragt hatte. Aus diesem Grund veröffentlichte der AVA-Mitarbeiter Jakob Ackeret, der an den Windkanalversuchen in Göttingen beteiligt gewesen war, die Publikation „Das Rotorschiff und seine physikalischen Grundlagen“. Darin wurde Flettner die Entwicklung des Rotorschiffs explizit zugesprochen, die bereits genannten Vorarbeiten wurden jedoch als klare Leistung der AVA herausgearbeitet.

Das Rotorschiff Buckau ging 1926 in den Besitz der Flettner-Rotorschiff GmbH über und wurde in Baden-Baden umbenannt. Nach zwei Jahren wurde die Baden-Baden zum Dreimastschoner rückgebaut. Sie sank 1931 bei einem Sturm in der Karibik.

Probefahrt der Buckau
Bei der Probefahrt war Ludwig Prandtl (2. von links) mit an Bord.

Übrigens erlebt das Flettner-Rotorschiff seit mehr als zehn Jahren eine Renaissance: Der Antrieb der drehenden Zylinder wird heute zum Beispiel in modernen Containerschiffen und Fähren als Ergänzung zu den herkömmlichen Motoren eingesetzt, wodurch der Treibstoffverbrauch der Schiffe sinkt. Das Containerschiff E-Ship 1, das 2010 in Dienst gestellt wurde, verfügt beispielsweise über vier Flettner-Rotoren, die einen Durchmesser von vier Metern und eine Höhe von 27 Metern haben. Sie werden parallel zu den Schiffsdieselmotoren betrieben und sorgen so für eine Kraftstoffersparnis von bis zu 25 Prozent.

Ein Beitrag von Dr. Jessika Wichner aus dem DLRmagazin 177

Kontakt

Redaktion DLRmagazin

Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Kommunikation
Linder Höhe, 51147 Köln