Rasende Feuerfüchse am Firmament

Getty Images/Svenn-Inge Sellesbakk
Grüne, rote oder violette Lichter flimmern am Himmel. Faszinierend schön, geheimnisvoll oder auch bedrohlich. In der Geschichte deuteten Völker die Polarlichter verschieden: ob Heldenerscheinungen, Seelen Verstorbener, im Himmel rasende Feuerfüchse, die mit ihren Schwänzen Berge streifen und so Funken erzeugen, oder auch ein schlechtes Omen für bevorstehende Ereignisse. Heute kennen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den Ursprung für die Entstehung der Polarlichter: Sie sind die sichtbaren Auswirkungen des Weltraumwetters auf unserer Erde. Dennoch gibt es auf dem Feld der Weltraumwetterforschung noch viele blinde Flecken und offene Fragen, mit denen sich das DLR-Institut für Solar-Terrestrische Physik in Neustrelitz befasst.
Die Sonne im Maximum
In den letzten Monaten waren Polarlichter vielerorts nicht nur wie üblich in den Polarregionen, sondern auch in Deutschland zu sehen. Grund dafür ist die derzeit erhöhte Sonnenaktivität. Aber warum ist das so? Bereits seit der Antike ist die Sonne Gegenstand von Beobachtungen, bei denen man dunklere Flecken auf ihrer Oberfläche erkannte. Mit dem Aufkommen der ersten Teleskope in der Neuzeit konnten die Astronomen diese Sonnenflecken auch zählen und dokumentieren. Dabei stellten sie fest, dass deren Anzahl einem elfjährigen Zyklus folgend regelmäßig zu- und abnahm. Ab 1755 begannen die Astronomen diese Zyklen zu zählen, weil sie festgestellt hatten, dass die Anzahl der Sonnenflecken als ein Maß für die Sonnenaktivität gelten konnte. Dieser Zählung folgend befindet sich die Sonne aktuell im Zyklus 25 und erreichte im Oktober 2024 wieder ihr Maximum an Aktivität.

ESA/NASA Solar Orbiter
Die Sonnenflecken erscheinen dunkler, da sie kühler sind als der Rest der Sonnenoberfläche und daher weniger sichtbares Licht abstrahlen. Wir wissen heute, dass Sonnenflecken durch Magnetfeldschleifen entstehen, die die Sonnenoberfläche durchstoßen. In Phasen mit vielen Sonnenflecken, also einer hohen Aktivität, gibt es auch mehr solare Ausbrüche, wie etwa koronale Massenauswürfe. Dabei werden plötzlich riesige Mengen geladener Teilchen, hauptsächlich Elektronen und Protonen, in den Weltraum geschleudert. Treffen diese Teilchen auf das Magnetfeld der Erde, werden sie zu den magnetischen Polen gelenkt, weil dort das Magnetfeld am stärksten ist. Hier können sie in die obere Atmosphäre, in etwa 80 bis 500 Kilometer Höhe, eindringen und kollidieren dort mit den Sauerstoff- und Stickstoffmolekülen. Dieser Aufprall regt die Moleküle an, was bedeutet, dass sie zusätzliche Energie aufnehmen. Kehren die angeregten Moleküle wieder in ihren normalen Zustand zurück, so geben sie die aufgenommene Energie in Form von Licht ab. Dieses Licht ist das, was wir als Polarlichter sehen.
Welche Farbe die Polarlichter annehmen, hängt von den Gasmolekülen ab, die bei diesem Prozess angeregt werden: Grüne Polarlichter entstehen durch Sauerstoffmoleküle in einer Höhe von etwa 100 Kilometern, rote in einer Höhe von über 200 Kilometern. Werden Stickstoffmoleküle angeregt, dann leuchten die Polarlichter in Blau und Violett.
Solare Ereignisse mit Folgen für die Erde
Neben den faszinierenden Lichterscheinungen können solare Ereignisse auch schwerwiegende Folgen für das Leben auf der Erde mit sich bringen. Bei dem Sonnenwind, einem kontinuierlichen Strom geladener solarer Teilchen, wirkt das Magnetfeld der Erde als Schutzschild. Größere Ereignisse wie Sonnenstürme können hingegen Auswirkungen auf die Funktionalität vieler technologischer Systeme haben, darunter Satelliten, Navigationssysteme wie GPS, Kommunikationseinrichtungen und Stromnetze.
Daten aus Millionen Kilometer Entfernung
Um verlässliche Voraussagen zu treffen, mögliche Risiken zu erkennen und vorzubeugen, erforschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des DLR-Instituts für Solar-Terrestrische Physik in Neustrelitz den Einfluss des Weltraumwetters auf technische Systeme und Dienste. Dabei beobachten sie zum einen kontinuierlich die Sonnenaktivitäten mit Satelliten wie dem Advanced Composition Explorer (ACE) und dem Deep Space Climate Observatory (DSCOVR). Empfangen werden diese Daten aus 1,5 Millionen Kilometer Entfernung, der Region des Lagrange-Punkts L1, unter anderem auch direkt in Neustrelitz im Deutschen Fernerkundungsdatenzentrum. Lagrange-Punkte sind Punkte zwischen Erde und Sonne, an denen die Gravitationskräfte der Erde und der Sonne sowie die Zentrifugalkraft eines Körpers miteinander im Gleichgewicht sind, sodass sich die Position dieses Körpers relativ zu den beiden Himmelskörpern nicht ändert. Zusätzlich nutzen die Forschenden Daten von Satelliten, die den Sonnenwind, also die Teilchenströme, die von der Sonne ausgehen, messen. Diese Messungen sind entscheidend für das Verständnis, wie der Sonnenwind die Erde beeinflusst.

ESA
Das Weltraumwetter hat Auswirkungen auf komplexe Prozesse in der oberen Atmosphäre – genauer in dem miteinander gekoppelten System aus Iono-, Thermo- und Magnetosphäre. Welche Eigenschaften diese Sphären besitzen und wie sie miteinander in Wechselwirkung stehen, untersuchen die Forschenden des in Mecklenburg-Vorpommern angesiedelten Instituts. Sie entwickeln physikalische Modellierungen, um die Bewegung, Verbreitung und die Auswirkungen der Teilchenströme zu simulieren. Mit diesen Modellen lassen sich schließlich die Bedingungen im erdnahen Weltraum sowie mögliche Auswirkungen auf die technische Infrastruktur vorhersagen. Obgleich das Institut mit seiner Gründung im Mai 2019 noch recht jung ist, nimmt es deutschlandweit bereits eine führende Rolle ein und richtet beispielsweise den nationalen Weltraumwetterworkshop aus, in dem sich regelmäßig Expertinnen und Experten austauschen sowie Behörden und Unternehmen informieren oder beraten lassen. Auch auf dem internationalen Parkett spielen die Neustrelitzer Weltraumwetterforschenden eine wichtige Rolle: Innerhalb der Internationalen Initiative für Weltraumwetter des Ausschusses der Vereinten Nationen für die friedliche Nutzung des Weltraums ist das Institut koordinierend für Deutschland tätig und liefert dem Netzwerk Daten für Weltraumwettervorhersagen.
Notwendigkeit präziser Vorhersagen
Wie wichtig wissenschaftliche Erkenntnisse über das Weltraumwetter und dessen zuverlässige und zeitnahe Vorhersagen für unser technologiegeprägtes Leben sind, zeigt ein Blick auf die etwaigen Auswirkungen. Risikobehaftet sind beispielsweise Kommunikationssysteme, die auf Funkverbindungen angewiesen sind wie die, die in Flugzeugen, auf Schiffen oder in militärischen Einrichtungen zum Einsatz kommen. In extremen Fällen können diese Störungen tagelang anhalten, was zu erheblichen Problemen führt. Neben den Funk- und Radiowellen breiten sich auch GPS-Signale in der Ionosphäre aus. Verändert sich nun die Dichte der Elektronen in diesem Bereich, können GPS-Systeme ungenaue Standortbestimmungen liefern oder sogar ganz ausfallen.

Ein intensiver Sonnensturm kann das Magnetfeld der Erde stören und zu einem geomagnetischen Sturm führen. Diese Stürme können in elektrischen Leitungen induzierte Ströme erzeugen, die Transformatoren und andere Teile von Stromnetzen beschädigen. In extremen Fällen kann dies zu großflächigen Stromausfällen führen, die mehrere Tage oder sogar Wochen andauern können. Ein Beispiel für einen solchen Vorfall war der Quebec-Sturm von 1989, bei dem ein Sonnensturm das Stromnetz in Kanada lahmlegte und Millionen von Menschen ohne Strom zurückließ.

NASA
In der Regel rechnen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit etwa einem Tag, bis ein Sonnensturm die Erde erreicht. Viel Zeit für Schutzmaßnahmen bleibt dann nicht. Umso wichtiger sind präzise und frühzeitige Vorhersagen zu Risiken, damit entsprechende Maßnahmen getroffen werden können. So kann die Information, dass ungenaue Messungen zu erwarten sind, an betroffene Unternehmen und Behörden weitergegeben werden. Auch das Abschalten von Satelliten kann eine vorbeugende Maßnahme sein.
Weltraumwettervorhersagen
Das vom DLR entwickelte und betriebene „Ionosphere Monitoring and Prediction Center“ (IMPC) liefert nahezu in Echtzeit Informationen und Daten über den aktuellen Zustand der Ionosphäre sowie entsprechende Vorhersagen und Warnungen. Als Nachfolger des etablierten „Space Weather Application Center – Ionosphere“ (SWACI) bietet das IMPC deutlich verbesserte Wetterinformationen und -vorhersagen zur Ionosphäre und stellt zusätzlich das SWACI-Langzeitdatenarchiv zur Verfügung.
Blinde Flecken in der Weltraumforschung
Die Vorhersagegenauigkeit hat sich in den letzten Jahren dank fortschrittlicher Technologien und Modelle deutlich verbessert, aber aufgrund der Komplexität der Wechselwirkungen im Weltraum bleibt es immer noch eine Herausforderung. Insbesondere die physikalischen Prozesse in der oberen Atmosphäre sind noch nicht vollständig verstanden. Ein Grund dafür liegt unter anderem an fehlenden Daten in der Thermosphäre zwischen 100 und 300 Kilometern.
Zudem ließe sich die Vorhersagengenauigkeit weiter verbessern, wenn die Forschenden Ankunftszeit und Stärke der Sonnenaktivität früher bestimmen könnten. Dazu müssten sie Parameter wie Geschwindigkeit, Protonendichte und interplanetares Magnetfeld bereits am Lagrange-Punkt L1 errechnen können. Weitere Beobachtungen von den Lagrange-Punkten L4 und L5 würden die Forschung ebenfalls voranbringen. Ein Lichtblick ist die Mission VIGIL, die die Europäische Weltraumorganisation ESA unter anderem in Zusammenarbeit mit der amerikanischen Luft- und Raumfahrtbehörde NASA plant. Dieses Weltraum-Observatorium soll zukünftig die Sonne vom Lagrange-Punkt L5 aus, der auf der Erdumlaufbahn hinter der Erde liegt, beobachten und Informationen über das Weltraumwetter sammeln. Der Start für das bislang erste Raumfahrzeug in dieser Region ist für 2031 avisiert.
Ein Beitrag von Melanie-Konstanze Wiese aus dem DLRmagazin 177