Sicher auf See

Doti/Matthias Ibeler
Sie heißen Alpha Ventus, Amrumbank West, Albatros oder Wikinger – weit weg von der nächsten Küste erzeugen die Offshore-Windparks im steifen Meereswind der Nord- und Ostsee zuverlässig Strom. Menschen kommen bei ihnen nur für Service, Wartung und Sicherheitschecks vorbei – per Schiff oder Helikopter. Ein Team des DLR-Instituts für den Schutz maritimer Infrastrukturen baut Wissen und Technologie auf, wie sich diese Anlagen besser gegen Bedrohungen wappnen können. Damit sind sie Vorreiter auf einem Feld, das aufgrund aktueller Ereignisse mehr in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit rückt.
Massiver Ausbau geplant
Im Sommer 2024 hatten die rund 30 deutschen Windparks eine Leistung von fast neun Gigawatt – so viel wie ein halbes Dutzend Kernkraftwerke mittlerer Größe. Sie produzieren zwischen vier und fünf Prozent der deutschen Energieleistung. In Deutschland und Europa ist ein ambitionierter Ausbau der Offshore-Windenergie geplant. Denn wir werden mehr Strom benötigen: für die Elektromobilität, den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft sowie den klimaverträglichen Umbau des Industrie- und Wärmesektors. Windkraft ist dafür eine vielversprechende Option: Denn sie nutzt erneuerbare Ressourcen und ermöglicht es, unabhängiger von Importen zu werden. Zudem zählt die Nordsee zu den windreichsten Gewässern der Welt. Folglich soll national die Leistung der Offshore-Windkraft bis 2030 verdreifacht und bis 2045 versiebenfacht werden. Dies würde dann mehr als 25 Prozent der deutschen Energieleistung entsprechen.
Kritische Infrastruktur und Sicherheitslage
Neben den mitunter milliardenschweren Investitionskosten zählen die Anlagen auch zur sogenannten kritischen Infrastruktur: „Offshore-Windparks sind weit weg. Man sieht sie nicht und hat sie deshalb weniger auf dem Schirm. Trotzdem produzieren sie bereits so viel Energie, dass sich ein größerer Ausfall auf unser Energiesystem auswirken kann“, beschreibt Dr. Frank Sill Torres die Hintergründe. Er ist kommissarischer Direktor des DLR-Instituts für den Schutz maritimer Infrastrukturen in Bremerhaven. „Kraftwerke oder Umspannstationen an Land schützen wir umfassend, zum Beispiel mit Sicherheitskonzepten, Zäunen, Zugangsbeschränkungen und Überwachungssystemen. Das müssen wir auch verstärkt für unsere maritime Infrastruktur wie Offshore-Windparks machen. Denn diese Anlagen sind zwar schwerer zu erreichen, aber nicht unzugänglich“, erklärt der DLR-Experte weiter.
Seit 2022 schreibt die Europäische Union vor, dass die Betreibenden kritischer Infrastruktur diese besser gegen Bedrohungen schützen und deren Resilienz stärken müssen. Darunter versteht man die Widerstandskraft gegen Vorkommnisse, zu denen auch Spionage, Sabotage und Anschläge gehören. In Deutschland soll das KRITIS-Dachgesetz die europäische Regelung zeitnah umsetzen. Damit sind Betreibende von Offshore-Windparks in Zukunft verpflichtet, sich mit der Sicherheit ihrer Anlagen auseinanderzusetzen, Risikoanalysen durchzuführen und entsprechende Vorkehrungen zu treffen. „Bisher gibt es für diesen Bereich allerdings keine Standards und Konzepte. Gleichzeitig ist der Handlungsdruck durch Ereignisse wie den Anschlag auf die North-Stream-Pipelines oder die Sabotageakte an Glasfaserkabeln in der Ostsee erheblich gestiegen“, fasst Frank Sill Torres die Situation zusammen.

DLR als internationaler Vorreiter
Mit dem Institut für den Schutz maritimer Infrastrukturen forscht das DLR seit 2017 auf diesem Gebiet. Politik, Sicherheitsbehörden und Unternehmen fragen die Expertise des DLR an und arbeiten mit ihm zusammen. „Maritime Infrastrukturen sind komplexe Systeme. Am DLR untersuchen wir die Fähigkeiten dieser Systeme, auf kritische Ereignisse vorbereitet zu sein, sie zu überstehen und aus ihnen zu lernen“, erläutert Sill Torres den Ansatz seines Instituts. „Um diese Fähigkeiten zu messen, zu bewerten und zu verbessern, entwickeln wir computerbasierte Methoden und erstellen umfassende, generalisierte Modelle von kritischen Infrastrukturen. So können wir simulieren, wie gefährliche Situationen entstehen, ablaufen und welche Auswirkungen sie haben können. Daraus lassen sich dann Empfehlungen ableiten, wie man am besten handeln und reagieren kann.“

Stiftung Offshore Windenergie
Das Team von Frank Sill Torres interessiert vor allem, was bei größeren Ereignissen und Ausfällen kritischer Infrastruktur passiert. Bei Offshore-Windparks wäre das zum Beispiel, wenn eine Konverter-Plattform ausfallen würde. Konverter-Plattformen haben eine zentrale Funktion: Sie minimieren Verluste und vereinfachen die Übertragung elektrischer Energie von den Windparks zum Festland. „Mit unseren Simulationen und Modellen können wir herausfinden, welche Auswirkungen ein größeres Schadensereignis auf die Energieproduktion hat oder wie lange es dauert, bis eine Störung behoben ist. Auch die Wahrscheinlichkeit für bestimmte Szenarien lässt sich so ermitteln“, beschreibt der DLR-Forscher. Um die Auswirkungen solcher Ereignisse auf das Stromnetz zu untersuchen, arbeiten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit der Abteilung Energiesystemanalyse des DLR-Instituts für Vernetzte Energiesysteme in Oldenburg zusammen.
Drohnen für den Transport von Gütern
Bei Inspektionen in On- und Offshore-Windparks haben sich Drohnen als wichtige Helfer erwiesen. Zukünftig könnten sie auch Werkzeuge, Material und möglicherweise sogar Personal transportieren – bislang übernehmen dies ausschließlich Schiffe und bemannte Hubschrauber. Das erfordert modernste Technologie sowie eine hohe Automatisierung und eine nahtlose operationelle Integration. Im Forschungsprojekt Upcoming Drones Windfarm des DLR-Instituts für Flugsystemtechnik und des Energieversorgers EnBW geht es um Lösungen für den Transport mit Drohnen. Sie sollen Lasten bis zu 200 Kilogramm über 100 Kilometer zu Offshore-Windparks bringen. Ein Highlight des Forschungsprojekts war die Offshore Drone Challenge im Juni 2024 am Nationalen Erprobungszentrum für unbemannte Luftfahrtsysteme des DLR in Cochstedt. Internationale Drohnenhersteller und -betreiber präsentierten ihre technischen Lösungen in einer exemplarischen Mission. Die Drohnen wurden in Flugmanövern getestet, wie beim Aufnehmen und Absetzen von Lasten sowie bei Flügen außerhalb der Sichtweite, bei denen die Drohne vollständig automatisch agieren muss. Dazu richteten die DLR-Fachleute eine temporäre Geozone zur Erweiterung des Drohnenbetriebs ein.
Offshore-Windparks als erstes Praxisbeispiel
Für das noch junge DLR-Institut in Bremerhaven mit mehr als 60 Mitarbeitenden sind Offshore-Windparks ein erster konkreter Anwendungsfall für ihre Forschungsarbeiten. Sie weisen viele Eigenschaften anderer maritimer Infrastrukturen auf, sind aber nicht so groß und komplex wie ein Hafen.

Drei Faktoren beeinflussen die Ausgangslage bei Offshore-Windparks maßgeblich. Erstens: Potenzielle Gefahren können aus vielen Richtungen kommen: von See, unter Wasser und aus der Luft. Sicherungsmaßnahmen wie Absperrungen oder Zäune sind auf dem Meer deshalb schwierig umzusetzen. Zweitens: Aufgrund von Lage und Witterung ist die konstante, umfassende Überwachung von Windparks eine Herausforderung. Zudem dauert es länger als an Land, bis Einsatz- oder Sicherheitskräfte im Notfall vor Ort sind – selbst mit Helikopter. Und drittens: Am Aufbau, Betrieb und an der Wartung sind viele Akteure beteiligt. Dazu zählen Eigner, Hersteller- und Montagefirmen für Windenergieanlagen, Konverter-Plattformen und Leitungen sowie Unternehmen für Betrieb, Steuerung, Wartung und Sicherheit.
Neuer Algorithmus erfasst den Seegang
An der Forschungsstelle für Maritime Sicherheit des DLR in Bremen entwickeln Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Algorithmen, die die Wellenhöhe und -periode mit einer Genauigkeit von etwa 25 Zentimetern messen können. Das sind weltweit die präzisesten Messungen. Aktuelle Informationen und Prognosen zum Seegang sind essenziell für den Küstenschutz, die Schifffahrt und die Konstruktion von Offshore-Windparks. Die Algorithmen nutzen die Aufnahmen von Radarsatelliten. Im Rahmen des ESA-geförderten Projekts CCI Sea State wurde das gesamte Archiv des Copernicus-Sentinel-1-Satelliten verarbeitet, mit Bojen und Modelldaten abgeglichen und mit Algorithmen anderer weltweit führender Institutionen verglichen. Die Erkenntnisse sind besonders wichtig für Gebiete, in denen keine Daten von Vor-Ort-Messungen vorliegen.

Risiken früh erkennen, Handlungsräume schaffen
Potenzielle Gefahrensituationen einzuschätzen und frühzeitig zu erkennen, hat eine große Bedeutung für den Schutz maritimer Infrastrukturen. Welche Verfahren sich für die sogenannte Detektion von Anomalien und Gefahren am besten eignen – bei diesem Thema kann das Team um Sill Torres aus dem Vollen schöpfen und auf Technologien und Know-how vor allem aus den Forschungsbereichen Luftfahrt und Raumfahrt des DLR zurückgreifen.
Große Gebiete lassen sich zum Beispiel mit hoch spezialisierten Kamera-, Radar- oder Laser-Sensoren überwachen. Das ist aus der Luft per Flugzeug oder Drohne möglich oder mit Satelliten im Weltraum. „Das Wissen, das unsere Kolleginnen und Kollegen im DLR in diesen Bereichen haben, können wir für den Schutz maritimer Infrastrukturen sehr gut nutzen. Außerdem kennen wir uns im DLR damit aus, die mit diesen Sensoren gesammelten großen Datenmengen zusammenzuführen und mit modernster IT-Technik und Methoden der künstlichen Intelligenz auszuwerten“, erklärt er die vielfältigen Synergieeffekte innerhalb des DLR. Für den maritimen Bereich wie hier bei Offshore-Windparks wären auch Sensor-Systeme denkbar, die direkt an den Plattformen des Windparks angebracht sind. Oder solche, die an Bord kleiner, autonom oder ferngesteuerter U-Boote das Gebiet überwachen. Zu diesen Ideen ist das DLR mit Firmen im Austausch, die Sensoren herstellen. Wenn diese ihre vorhandenen Systeme für den speziellen maritimen Anwendungsfall anpassen können, erschließen sie damit einen weiteren Markt.

BWE/Christian Hinsch
„Unser übergeordnetes Ziel ist es, Technologien zu entwickeln, mit denen wir die Lage effizient beobachten und bewerten können, um dann die Verantwortlichen mit diesen Informationen bei wichtigen Entscheidungen zu unterstützen“, bilanziert der Wissenschaftler. Die Ergebnisse der Forschungsarbeiten können zudem für die Entwicklung von Sicherheitskonzepten und -architekturen sowie für das Training von Sicherheitskräften genutzt werden. „Damit baut das DLR wissenschaftlich basiertes und verlässliches Wissen auf und gestaltet den technologisch, politisch wie wirtschaftlich extrem wichtigen Bereich des Schutzes der maritimen Infrastrukturen entscheidend mit.“
Ein Beitrag von Denise Nüssle aus dem DLRmagazin 177