Artikel aus dem DLRmagazin 177: Dr. Sarah Barnes ist Expertin für Myonen-Tomografie

Verborgenes sichtbar machen

Sarah Barnes vom DLR-Institut für den Schutz maritimer Infrastrukturen
Dr. Sarah Barnes vom DLR-Institut für den Schutz maritimer Infrastrukturen untersucht die Einsatzmöglichkeiten von Myonen. Das sind Elementarteilchen, die Bestandteil der kosmischen Strahlung sind und überall vorkommen.

„Während wir hier stehen und reden, durchdringen uns Tausende von Myonen“, erklärt Dr. Sarah Barnes, Forscherin vom DLR-Institut für den Schutz maritimer Infrastrukturen, in aller Ruhe und zeigt in ihr Büro – eine Mischung aus Labor und Lagerhalle. Links ragen bunte Kabel aus Regalen und Wänden, rechts stehen ein paar Schreibtische mit Computern. „Das kam erst gestern rein“, sagt die gebürtige Britin und meint damit zwei schwarze Boxen, die mitten im Raum lagern, „Detektorplatten für die Myonen-Tomografie“.

Barnes ist Myonen-Forscherin. Für das DLR untersucht sie die Elementarteilchen, die überall um uns herum vorhanden sind und einen Teil der sogenannten kosmischen Strahlung bilden. Diese hochenergetische Teilchenstrahlung stammt aus den Weiten des Weltraums, zum Beispiel von Schwarzen Löchern, Supernovae oder unserer Sonne. Sie trifft als Protonen auf die Erdatmosphäre, woraufhin viele weitere Teilchen entstehen: Elektronen, Protonen, Neutronen und eben auch Myonen. Dieser Teilchenschauer prasselt auf die Erde herab. Sarah Barnes hat sich zum Ziel gesetzt, mit Myonen Objekte tomografisch zu untersuchen, um Verborgenes sichtbar zu machen. Solche Verfahren kennt man normalerweise aus der Radiologie – nur, dass die natürlich vorkommenden Myonen in der kosmischen Strahlung im Gegensatz zu künstlich erzeugten Röntgenstrahlen keine zusätzlichen negativen gesundheitlichen Auswirkungen haben.

Jenseits der Röntgengrenzen

Diese neue Technologie eröffnet vielfältige Einsatzmöglichkeiten. Beispielsweise könnte man mit einem Myonen-Scanner die Integrität von Brücken überprüfen, ohne sie für den Verkehr sperren zu müssen. In der Industrie könnten Prototypen aus besonders dichten Materialien inspiziert werden, ohne dass diese in ihre Bestandteile zerlegt werden müssten. Außerdem könnte die Myonen-Tomografie auch genutzt werden, um den Zustand von Atommüll-Containern zu überprüfen. So ließe sich feststellen, ob Container und Inhalt noch intakt sind – wichtige Informationen für die verlängerte Zwischen- und die notwendige Endlagerung.

In der Archäologie wird diese Technik aktuell angewendet, um beispielsweise Pyramiden auf versteckte Hohlräume zu untersuchen oder um alte Urnen zu durchleuchten, die zu zerbrechlich sind, um sie zu öffnen. In der Geologie nutzt man die Myonen-Tomografie, um Vulkankammern zu beobachten und potenzielle Ausbrüche einzuschätzen. Für das DLR steht eine weitere Anwendung im Fokus: Um die Sicherheit an Häfen und Grenzübergängen zu erhöhen, arbeiten Forschende in dem EU-finanzierten Projekt SilentBorder an einem Myonen-Tomografen, mit dem Schiffscontainer gescannt werden sollen.

Eine Reise fast in Lichtgeschwindigkeit

Für die Tomografie nutzt Sarah Barnes zwei sich gegenüberliegende Detektorplatten, auch Hodoskope genannt. Die Platten bestehen jeweils aus drei Doppelschichten Fasern, die senkrecht zueinander verlaufen. Wenn ein Myon solch eine Faser durchdringt, wird ein Lichtblitz erzeugt, der vom Computer aufgezeichnet wird. Dadurch kann die Position des Myons in den Detektoren bestimmt werden. Bei seiner Reise durch die Materie zwischen den Scannerplatten wird das Myon minimal von seinem Weg abgelenkt. „Das passiert fast in Lichtgeschwindigkeit“, erklärt die DLR-Forscherin. Der Scanner misst die winzige Varianz zwischen Ein- und Austrittswinkel des Elementarteilchens. Komplexe Algorithmen und maschinelles Lernen verarbeiten die gesammelten Daten so, dass sich ein genaues dreidimensionales Bild von dem zeichnen lässt, was sich zwischen den Hodoskopen befindet. Abhängig von der Streuung der Myonen lassen sich auch Aussagen darüber treffen, welches Material sich an welcher Stelle befindet.

SilentBorder

SilentBorder ist ein von der EU finanziertes Projekt, in dem DLR-Forschende zusammen mit neun europäischen Universitäten, Firmen und Behörden den Prototyp eines intelligenten und kostengünstigen Scanners entwickeln. Innerhalb von zwei bis fünf Minuten soll ein Container durch den Scanner fahren können, ähnlich der Gepäckkontrolle am Flughafen. Da die natürlich vorkommende Myonen-Strahlung kein zusätzliches Gesundheitsrisiko darstellt, erhoffen sich die Forschenden ein flexibleres und weniger bürokratisches Verfahren ohne die Einschränkungen der Strahlenschutzbestimmungen.

Aktive und passive Verfahren

Bei bildgebenden Verfahren unterscheidet man zwischen aktiven und passiven Verfahren. Bei aktiven Verfahren wird Strahlung emittiert, die gemessen wird. Beispiele sind Ultraschall oder Röntgen. Passive Methoden nutzen entweder Strahlung, die vom Objekt selbst emittiert wird, wie die Temperaturverteilung auf einer Wärmebildkamera, oder Strahlung, die ohnehin vorhanden ist, wie die kosmische Strahlung. Ein Vorteil passiver Verfahren ist ihr geringer Energiebedarf. Ein Myonen-Scanner-Panel verbraucht nur etwa 100 Watt, so viel wie ein leistungsstarker Laptop. Außerdem ermöglicht die Myonen-Tomografie eine dreidimensionale Bildgebung der untersuchten Objekte, was ansonsten nur mithilfe von komplexen und teuren Techniken, wie der Computertomografie, möglich ist. Der Nachteil ist der Zeitaufwand bei der Untersuchung sehr großer Objekte, da die Anzahl der Myonen in der kosmischen Strahlung begrenzt ist. Es gilt: Je besser die Auflösung des Bildes sein soll, desto mehr Myonen müssen getrackt werden.

Weniger Bürokratie, mehr Sicherheit

Möglicherweise ließe sich beim Einsatz von Myonen-Scannern auch der Bürokratie-Aufwand reduzieren, da die Strahlenschutzvorgaben beim Umgang mit künstlichen Strahlungsquellen wegfallen. Weil keine speziellen Sicherheitsvorkehrungen getroffen und dokumentiert werden müssen, kann die Technologie einfacher vom Personal genutzt werden.

Ausleseelektronik eines Myonendetektors
Sarah Barnes und ihr Kollege Maximilian Pérez Prada untersuchen die Ausleseelektronik eines Myonendetektors.

An Containerhäfen werden derzeit nur zwei bis zehn Prozent aller Container stichprobenartig auf illegale Güter geprüft. Dafür werden verschiedene Methoden angewendet. Am weitesten verbreitet sind Röntgen-Scans und die menschliche Kontrolle durch Öffnen des Containers. In einigen Fällen werden auch Spürhunde eingesetzt, um Drogen oder Menschen zu finden. Diese Methoden sind zeitaufwändig und kostenintensiv.

Am Ende unseres Gesprächs wirft Sarah Barnes einen Blick in die Zukunft: „Wir hoffen, dass durch unsere Arbeit die ersten Myonen-Scanner in den nächsten fünf bis zehn Jahren in den Häfen stehen werden. Der Traum für die ferne Zukunft wäre ein großes Myonen-Scan-System, durch das die Schiffscontainer direkt nach dem Entladen fahren und innerhalb von wenigen Minuten gescannt werden, ähnlich wie Gepäck auf dem Flughafen – alles automatisch und ohne Strahlungsbelastung.“

Ein Beitrag von Lukas Lenz aus dem DLRmagazin 177

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