11. Juni 2020

Interaktion von Pilot und Hubschrauber: Erkennen, bewerten und vermeiden piloteninduzierter Schwingungen

  • DLR und NRC erproben Wirksamkeit neuer Methoden zu piloteninduzierten Schwingungen.
  • System kann identifizieren, wann der Hubschrauber droht, in kritische Schwingungen überzugehen.
  • Tests im Hubschraubersimulator AVES und in Flugversuchen
  • Schwerpunkte: Luftfahrt, Hubschrauberforschung

Hubschrauber haben eine sehr anspruchsvolle und komplexe Steuerung. Daraus ergeben sich besondere Anforderungen an das Zusammenwirken von Pilot und Hubschrauber. Besonders zu vermeiden sind sogenannte piloteninduzierte Schwingungen (englisch: pilot induced oscillations, PIO), bei denen der Hubschrauber nach bestimmten Steuereingaben des Piloten anfängt zu schwingen. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) hat gemeinsam mit dem kanadischen National Research Council (NRC) Flugversuche durchgeführt, um die Wirksamkeit neuer Methoden zur Detektion und Bewertung sogenannter piloteninduzierter Schwingungen (PIOs) bei Hubschraubern zu bestätigen.

Anspruchsvolle Hubschraubersteuerung

Gegenüber Flächenflugzeugen haben Hubschrauber einzigartige Fähigkeiten: sie können senkrecht starten und landen und über einem Punkt in der Luft schweben. Daher werden Hubschrauber grundsätzlich anders eingesetzt als Flächenflugzeuge. Typische Einsatzszenarien für diese anspruchsvollen Flugmanöver sind Such- und Rettungseinsätze an Land, im Gebirge und über Wasser sowie das Befördern von Personal zu Offshore-Windkraftanlagen oder Öl- und Gasplattformen. Auch der Transport und die hochgenaue Platzierung von Lasten in schwer zugänglichen Gebieten oder auf Hochhäusern sind Einsätze, bei denen Hubschrauber genutzt werden. "Diese Einsätze umfassen fast immer das Landen und Starten in unbekanntem Gelände und auf eng begrenzten Flächen, das Fliegen in Bodennähe und besonders das Schweben, Starten und Landen in unmittelbarer Nähe zu Hindernissen", sagt Marc Höfinger vom DLR-Institut für Flugsystemtechnik. Die Piloten müssen den Hubschrauber in diesen anspruchsvollen Situationen sehr präzise und zuverlässig steuern können.

Kommt es bei solchen Manövern zu piloteninduzierten Schwingungen, ist das immer irritierend für den Piloten. Gefährlich sind diese Schwingungen nicht zwangsläufig, können aber durch biodynamische Kopplung mit dem Arm des Piloten verstärkt werden. "Um die Schwingungen zu stoppen, müsste der Pilot das Steuer kurz loslassen, was angesichts der Nähe zum Boden oder zu umgebenden Hindernissen keine intuitive Handlung ist", erklärt Michael Jones vom DLR-Institut für Flugsystemtechnik. "Denn gerade in solch einer kritischen Situation ist die erste Reaktion des Piloten nicht, das Steuer kurz loszulassen, sondern die Kontrolle über den Hubschrauber durch einen noch stärkeren Griff vermeintlich zurückzugewinnen", so Jones. Dies führt jedoch nicht zum gewünschten abklingenden Effekt, sondern kann die Schwingungen im schlimmsten Fall verstärken.

Mit Algorithmus gegen Schwingungen

Um solche Szenarien zu verhindern, haben die Wissenschaftler des DLR eine Methode entwickelt, die Aufschluss über die Anfälligkeit eines Hubschraubers hinsichtlich dieser Schwingungseffekte gibt. Hierfür vergleicht ein Algorithmus die Steuereingaben des Piloten und die Reaktionen des Hubschraubers miteinander. Anhand bestimmter Merkmale und der Änderung dieser Merkmale im Verhältnis von Steuereingaben zu Reaktionen kann das System identifizieren, wann der Hubschrauber droht in den Bereich kritischer Schwingungen überzugehen.

Umfangreiche Tests in der Simulation und im realen Flug

Diese Methode wurde zunächst im Air Vehicle Simulator (AVES) des DLR und unter Beteiligung eines Testpiloten des NRC überprüft und die Grenzen der zugehörigen Kriterien definiert. Im nächsten Schritt wurde die Methode im Flugversuch auf einem Hubschrauber vom Typ Bell 205 des NRC Kanada erprobt, dessen Flugeigenschaften sich ändern lassen. So konnten die Wissenschaftler untersuchen, welchen Einfluss die Steuereingaben des Piloten auf einen Hubschrauber mit trägeren Flugeigenschaften im Vergleich zu einem agileren Hubschrauber haben. Die Piloten absolvierten unterschiedliche Flugmanöver. Dazu gehörten neben einer Vielzahl anderer Manöver, beispielsweise der möglichst schnelle Übergang vom Vorwärtsflug in den präzisen Schwebeflug, für den große Steuereingaben des Piloten erforderlich sind, sowie der „seitliche Versatz“, bei dem der Pilot durch sehr genaue Steuereingaben einen seitlichen Positionswechsel des Hubschraubers herbeiführt. Verschiedene Konfigurationen wurden im Flug eingestellt und die Methode sowie die zuvor definierten Grenzen der Kriterien gegen diese Konfigurationen erprobt. An den Flugversuchen beim NRC Kanada waren mehrere Wissenschaftler und ein Testpilot des DLR beteiligt.

Die entwickelten Kriterien haben gleich mehrere Vorteile: So kann beispielsweise das mögliche Auftreten potentiell gefährlicher Schwingungseffekte schon in der Entwicklungsphase eines Hubschraubers erkannt werden. Aber auch bereits bestehende Hubschrauber können hinsichtlich ihrer Anfälligkeit hierfür bewertet und selbst nur leichte Schwingungen dieser Art im Flug erkannt und rechtzeitig korrigiert werden.

Kontakt

Jasmin Begli

Kommunikation Braunschweig, Cochstedt, Stade, Trauen
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Kommunikation
Lilienthalplatz 7, 38108 Braunschweig
Tel: +49 531 295-2108

Dipl.-Ing. Marc Höfinger

Abteilungsleitung
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Institut für Flugsystemtechnik
Hubschrauber
Lilienthalplatz 7, 38108 Braunschweig

Anna Boos

Institutskommunikation
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Institut für Flugsystemtechnik
Lilienthalplatz 7, 38108 Braunschweig