11. November 2020 | 1. Lausitzer Fachkonferenz

Klimaneutrale Industrie - Technologische Innovationen und neue Energiekonzepte sorgen für weniger CO2

  • Industrieprozesse so zu gestalten, dass sie wenig Klimagase verursachen, steht im Zentrum des DLR-Instituts für CO2-arme Industrieprozesse.
  • Der Industriesektor verursacht rund 20 Prozent aller CO2-Emissionen in Deutschland.
  • Neue Technologien und Energiekonzepte spielen eine entscheidende Rolle, um den Sektor nachhaltiger zu machen.
  • Bei der 1. Lausitzer Fachkonferenz tauschen sind rund 200 Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Wirtschaft zu diesem Thema aus.
  • Schwerpunkte: Energie, Energiespeicher, Energieeffizienz, Wasserstoff

Wenn es um weniger CO2-Emissionen und Klimaneutralität geht, stehen oft die Bereiche Energieversorgung und Mobilität im Vordergrund der Diskussion. Das Institut für CO2-arme Industrieprozesse des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) untersucht, wie sich industrielle Prozesse so neugestalten und anpassen lassen, dass weniger schädliche Treibhausgase entstehen. Es wurde im Jahr 2019 gegründet und befindet sich im Aufbau. An den beiden Standorten Cottbus und Zittau arbeiten aktuell rund 40 Forscherinnen und Forscher.

Am 12. November 2020 veranstaltet das DLR-Institut gemeinsam mit dem Kompetenzzentrum Klimaschutz in energieintensiven Industrien (KEI) und der Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geothermie (IEG) zum ersten Mal die Lausitzer Fachkonferenz. Mehr als 200 Expertinnen und Experten aus Forschung und Industrie kommen zusammen und tauschen sich über technologische Lösungen aus, wie Industrieprozesse klimafreundlicher gestaltet werden können. Im Interview gibt Prof. Uwe Riedel, kommissarischer Direktor des DLR-Instituts, einen Einblick in das Thema.

Wie groß ist der Anteil der Industrie am CO2-Ausstoß?

Prof. Uwe Riedel: Nach der Energiewirtschaft ist der Industriebereich der zweitgrößte CO2-Verursacher in Deutschland – mit einem Anteil von rund 20 Prozent an den Gesamtemissionen. In der offiziellen CO2-Bilanz werden der Stromverbrauch der Industrie und die damit in Verbindung stehenden Treibhausgasemissionen der Energiewirtschaft zugerechnet. Der CO2-Ausstoß des Industriesektors ist also tendenziell noch größer.

Welche Industriezweige stehen dabei im Vordergrund?

Riedel: Zwei Drittel der Emissionen verursachen die energieintensiven Industrien. Dazu zählen vor allem die Branchen Stahl, Zement und Chemie. Das sind alles Branchen, die in Deutschland stark vertreten und für den Standort traditionell wichtig sind. Deshalb bilden sie auch die drei Schwerpunkte unserer Fachkonferenz.

Was sind die Ansatzpunkte und Möglichkeiten, um Industrieprozesse so zu gestalten, dass sie weniger CO2 ausstoßen?

Riedel: Es gibt zwei große Herausforderungen: Zum einen müssen wir die CO2-Emissionen verringern, die mit dem Strom- und Wärmebedarf dieser Branchen verknüpft sind. Die Lösung ist, auf Strom und Wärme aus erneuerbaren Ressourcen – hauptsächlich Sonne und Wind – zu setzen. Zum anderen gilt es, den CO2-Ausstoß der Industrieprozesse selbst zu senken. Ein klassisches Beispiel dafür ist die Stahlproduktion: Bei Temperaturen von mehr als tausend Grad Celsius wird im Hochofen mit Hilfe eines chemischen Prozesses Eisenoxid in Eisen umgewandelt. Dabei entsteht sehr viel CO2. Gestaltet man diesen Prozess mit Hilfe von Wasserstoff um, fällt nur noch Wassersdampf als Emission an.

Welche Themen stehen im Fokus des von Ihnen geleiteten DLR-Instituts ?

Riedel: Wir haben drei zentrale Themenbereiche. Das sind, erstens, Hochtemperaturwärmepumpen. Die benötigen wir, um unterschiedliche Industriebranchen mit „grüner“ Prozesswärme auf einem Temperaturniveau von über 200 Grad Celsius bis hin zu 550 Grad Celsius zu versorgen – auf Basis erneuerbarer Ressourcen. Damit wollen wir die „Wärmewende“ in der Industrie anstoßen. Zweitens arbeiten wir daran, neue und nachhaltigere Industrieprozesse zu entwickeln, beziehungsweise bestehende Prozesse entsprechend zu optimieren. Dazu simulieren wir diese Prozesse. Das heißt, wir bilden sie im Computer nach und erstellen sogenannte „digitale Zwillinge“. So können wir die Prozesse im Detail nachvollziehen und unsere Lösungsansätze testen. Die Herausforderung besteht darin, dass sich die Prozesse abhängig von Branche und Standort sehr unterscheiden und wir jeweils individuelle Lösungen entwickeln müssen. Unser dritter Forschungsschwerpunkt: Wir wollen überall, wo es möglich ist, Wasserstoff, synthetische Brennstoffe und Biomasse aus Abfällen einsetzen und so prozessbedingte Emissionen vermeiden, wie beim Beispiel mit der Stahlproduktion.

Wie reagieren Industrieunternehmen darauf? Trifft das Thema dort einen Nerv?

Riedel: Auf Unternehmensseite sehe ich viel Innovationsbereitschaft, aber auch große Unsicherheit. Aktuell sind CO2-arme oder CO2-freie Produktionsprozesse nicht konkurrenzfähig, weil sie einfach noch zu teuer sind. Wann und wie sich Investitionen in CO2-arme Technologien und der Um- oder Neubau von Anlagen auszahlen, ist noch nicht absehbar – ebenso wie die Rahmenbedingungen eines zukünftigen nachhaltigen Energiesystems. Für uns am DLR bedeutet das: Wir brauchen nicht nur neue technologische Ansätze, sondern müssen den Fokus vor allem auf deren Skalierbarkeit legen, um sie schnell und wirtschaftlich auf großtechnischer, industrieller Ebene einsetzen zu können.

Können Deutschland und Europa bei Technologien für CO2-arme Industrieprozesse eine Vorreiterrolle einnehmen?

Riedel: In Deutschland gibt es viele Aktivitäten von Wissenschaft und Industrie in diesem Bereich, ebenso in Japan, Australien und den USA. Ich bin mir sicher, dass wir mit vorne dabei sind. Denn wir verfügen über eine hohe Innovationsfähigkeit und gut ausgebildete Fachkräfte. Ich sehe allerdings die Gefahr, dass Industrieprozesse oder Teile davon in diejenigen Länder abwandern, die Strom und Wärme aus erneuerbaren Quellen besonders günstig produzieren können. Deshalb müssen wir unser Know-how und Ausbildungslevel weiter stärken. Übrigens könnte auch die Geschwindigkeit, mit der wir in neue Technologien einsteigen, entscheidend sein.

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Prof. Dr. Uwe Riedel

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