29. November 2024 | Wasserstoff statt Erdgas

Retrofit für kommerzielle Mikrogasturbinen erfolgreich erprobt

  • Das DLR und die Firma PSC haben an einer kommerziellen Mikrogasturbine erstmals einen Retrofit durchgeführt.
  • Mit dem neuen Brenner und einer angepassten Steuerung lässt sich die Gasturbine mit reinem Wasserstoff sowie Mischungen mit Erdgas betreiben.
  • Die Emissionen von Stickoxiden liegen beim Einsatz von reinem Wasserstoff deutlich unter den Grenzwerten für den Betrieb mit Erdgas.
  • Ein Retrofit ermöglicht es, bestehende Gaskraftwerke kosteneffizient für den klimaverträglichen Betrieb mit Wasserstoff umzurüsten.
  • Schwerpunkte: Energie, Wasserstoff

Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und die Firma Power Service Consulting (PSC) haben erstmals eine kommerzielle Mikrogasturbine für den klimaverträglichen Betrieb mit reinem Wasserstoff umgebaut. Die Testläufe nach diesem sogenannten Retrofit haben herausragend niedrige Emissionen von Stickoxiden ergeben.

Da der Neubau von Kraftwerken zeitaufwändig und teuer ist, lohnt es sich, mit Erdgas betriebene Gasturbinen in Bestandsanlagen durch einen Retrofit wasserstofffähig umzurüsten.

Dunkelflauten und Lastspitzen ausgleichen

Für eine sichere und regelbare Versorgung mit erneuerbaren Energien braucht unser Energiesystem Kraftwerke, die das Netz stabilisieren. Bereits heute übernehmen Gaskraftwerke eine wichtige Rolle als Spitzenlastkraftwerke. Sie können ihre Leistung schnell und flexibel anpassen und so Lastspitzen oder sogenannte Dunkelflauten auszugleichen, wenn keine Sonne scheint und kein Wind weht.

Bisher verbrennen Gasturbinenkraftwerke meist Erdgas und stoßen daher Kohlendioxid aus. Grüner Wasserstoff aus erneuerbaren Energien ist eine klimaverträgliche Alternative und kann Erdgas ersetzen. Das DLR-Institut für Verbrennungstechnik in Stuttgart forscht daran, wie sich Gasturbinen möglichst emissionsarm mit Wasserstoff betreiben lassen.

Retrofit – Umrüsten statt neu bauen

Neue Kraftwerke zu bauen kostet jedoch Geld und Zeit. Daher kann es sich lohnen, bestehende Anlagen wasserstofffähig umzurüsten. Solche sogenannten Retrofit-Konzepte können den Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft erleichtern. „Ein neues Gasturbinenkraftwerk mit 15 Megawatt Leistung zu bauen, dauert etwa sechs Jahre und kostet rund 30 Millionen Euro. Eine Bestandsanlage durch einen Retrofit umzurüsten, dauert dagegen nur eineinhalb Jahre und kostet etwa ein Zehntel“, sagt Peter Kutne, Leiter der Abteilung Gasturbinen am DLR-Institut für Verbrennungstechnik. Mikrogasturbinen mit Leistungen von rund 100 Kilowatt werden häufig in Krankenhäusern, Hotels oder in Brauereien eingesetzt, um Strom und Wärme zu erzeugen.

Statt Erdgas bis zu 100 Prozent Wasserstoff

Im Projekt Retrofit H2 haben das DLR und PSC erstmals eine Pilotanlage komplett umgerüstet. Gemeinsam haben sie eine Mikrogasturbine der Firma Ansaldo Green Tech so umgebaut, dass sie sich sowohl mit reinem Wasserstoff als auch mit Mischungen von Erdgas und Wasserstoff betreiben lässt. Es ist das erste marktfähige Retrofit-Konzept für Mikrogasturbinen.

Die DLR-Forscherin Dr. Martina Hohloch und ihr Team haben zunächst die Brennkammer der Turbine durch eine wasserstofffähige Version ersetzt, die am Institut entwickelt worden ist. „Besonders herausfordernd ist die hohe chemische Reaktionsfreudigkeit von Wasserstoff. Er hat eine rund zehnfach größere Flammengeschwindigkeit als Erdgas und die Zündenergie ist um den gleichen Faktor geringer. Das macht eine sichere Verbrennung schwierig“, erklärt Hohloch, die das Projekt leitet, und ergänzt: „Wir mussten bei der Entwicklung des Brenners darauf achten, dass die Flamme nicht in die Düsen des Brenners zurückschlägt und ihn beschädigt.“

Premiere mit reinem Wasserstoff

Im H2-Container Technikum am DLR-Standort in Lampoldshausen hat das Retrofit-Team die ersten Testläufe der Mikrogasturbine mit reinem Wasserstoff durchgeführt. „Wir waren sehr gespannt, wie die Turbine mit dem neuen Brennkammersystem außerhalb der Laborumgebung hochläuft“, sagt Dr. Martina Hohloch. „Die Versuche haben gezeigt, dass wir problemlos mit reinem Wasserstoff starten können und die Anlage den vollen Betriebsbereich von Teillast bis Volllast erreicht. Unsere Pilotanlage hat über mehrere Stunden die volle elektrische Leistung von 100 Kilowatt geliefert.“ Inzwischen lief die Anlage fast 100 Stunden mit reinem Wasserstoff.

Video: Retrofit H2 – Mikrogasturbinen für Wasserstoff
Das DLR und die Firma PSC haben eine kommerzielle Mikrogasturbine für den Betrieb mit reinem Wasserstoff sowie Gemischen mit Erdgas umgebaut. Mithilfe solcher Retrofits lassen sich Gasturbinen in bestehenden Anlagen kosteneffizient für den klimaverträglichen Betrieb mit Wasserstoff umrüsten.

Das H2-Container Technikum ist eine ideale Testumgebung für die Retrofit-Anlage. Zwei Elektrolyseure erzeugen grünen Wasserstoff mit Strom aus dem benachbarten Windpark Hardthäuser Wald der ZEAG Energie AG. Die Anlage bietet Unternehmen und Forschenden ideale Bedingungen. Das DLR in Lampoldshausen hat mit seinen zahlreichen Triebwerksprüfständen für Raumfahrtantriebe jahrzehntelange Erfahrung im Umgang mit hochreaktivem Wasserstoff und Sauerstoff.

H2-Container Technikum des DLR in Lampoldshausen
Elektrolyseure erzeugen mit Strom aus dem benachbarten Windpark grünen Wasserstoff vor Ort.

Flexibel bei der Auswahl der Brennstoffe

Ein weiterer Vorteil des Retrofit-Konzepts ist die hohe Brennstoffflexibilität der Turbinen. Bis ausreichend grüner Wasserstoff verfügbar ist, müssen Kraftwerke mit Gemischen aus Erdgas und Wasserstoff betrieben werden. Dabei sollen die Gasturbinen mit allen Mischungsverhältnissen effizient laufen. Die unterschiedlichen Verbrennungseigenschaften sind jedoch herausfordernd. Daher hat Power Service Consulting ein flexibles Misch- und Verteilsystem entworfen, das die Mikrogasturbine auf das jeweilige Brennstoffgemisch einstellt. Damit lässt sich die Anlage sowohl mit reinem Wasserstoff als auch mit Erdgasgemischen betreiben. Dazu waren Anpassungen in der Steuerung und in der Sicherheitstechnik notwendig.

In der Pilotanlage in Lampoldshausen hat das Forschungsteam die umgerüstete Mikrogasturbine in Langzeittests erprobt. Das Ziel, Wasserstoff und alle Gemische möglichst emissionsarm zu verbrennen, wurde erreicht.

Da Luft zu 78 Prozent aus Stickstoff und zu 21 Prozent aus Sauerstoff besteht, entstehen bei der Verbrennung von Wasserstoff mit Luft auch unerwünschte Stickoxide. Grund hierfür sind die hohen Verbrennungstemperaturen von Wasserstoff. „Der Anteil von Stickoxiden lag im gesamten Betriebsbereich der Mikrogasturbine bei weniger als 15 parts per million (ppm). Dies unterschreitet deutlich den Grenzwert für Erdgas“, betont Dr. Martina Hohloch. „Dieses herausragende Ergebnis bestätigt, dass sich die jetstabilisierte Verbrennung sehr gut für Wasserstoff eignet.“

Mikrogasturbinen für dezentrale Kraftwerke

Bereits heute kommen Mikrogasturbinen in der Kraft-Wärme-Kopplung zum Einsatz. Sie liefern dort Strom, wo gleichzeitig ein hoher Wärmebedarf besteht, beispielsweise in Hotels, Schwimmbädern oder Krankenhäusern. Die Technologie eignet sich vor allem für Bereiche, in denen die Versorgung mit erneuerbaren Energien künftig komplexer wird.

Die Brennstoffflexibilität von Gasturbinen bringt noch einen zusätzlichen Geschäftsvorteil. Überall dort, wo in Industrieprozessen geeignete Gase als Abfallprodukt entstehen, beispielsweise in Kläranlagen oder Mülldeponien, lassen sich diese als Brennstoff für die Energieversorgung nutzen.

Zusammen mit Speichern lassen sich dezentrale Energiesysteme aufbauen, die gegen einen Gesamtausfall sehr resilient sind. Die Größe solcher Energiesysteme reicht von einigen Kilowatt auf Gebäudeebene bis zu mehreren Dutzend Megawatt für Stadtquartiere oder kleineren Gemeinden.

Ein neues Konzept für Gasturbinen: Ein „Jet“ stabilisiert die Verbrennung

Gläserne Brennkammer mit jetstabilisierter Wasserstoffflamme
Auf einem Prüfstand lässt sich sie Strömung in der Brennkammer beim Verbrennen des Wasserstoffs beobachten und analysieren.

Bei hochreaktiven Brennstoffen wie Wasserstoff besteht die Gefahr, dass die Flamme von der Brennkammer in den Brenner zurückschlägt und Bauteile zerstört. Deshalb hat das DLR-Institut für Verbrennungstechnik einen sogenannten jetstabilisierten Brenner entwickelt und für Wasserstoff optimiert.

Bei der jetstabilisierten Verbrennung bildet sich eine Rückströmung aus Brennstoff und Abgas
Die Zirkulation der Gase in der Brennkammer sorgt für eine besonders effektive und stabile Verbrennung des Wasserstoffs.

Anders als in den üblichen Industriebrennern werden hier Brennstoff und Luft durch ringförmig angeordnete Düsen in die Brennkammer eingeblasen. Dadurch entsteht in der Brennkammer eine Rückströmung. Diese transportiert die heißen Abgase wieder zurück zu den Brennerdüsen und vermengt sie mit frischem Brennstoffgemisch.
Dadurch sinkt die Temperatur in der Brennkammer und es entstehen weniger Stickoxide. Die Rezirkulation der Abgase stabilisiert die Flamme außerdem sehr effektiv. Das Konzept ist skalierbar und eignet sich auch für andere Turbinenarten und -größen.

Weiterführende Links

Über das Projekt Retrofit H2

Im Forschungsprojekt Retrofit H2 haben das DLR-Institut für Verbrennungstechnik und die Firma Power Service Consulting (PSC) gemeinsam mehrere Retrofitkonzepte für Bestandskraftwerke untersucht. Das Ziel des gerade abgeschlossenen, dreijährigen Projekts ist, energietechnische Einstiege in die Wasserstoffnutzung zu analysieren.

Das Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg unterstützte das Projekt im Förderprogramm ZPH2 Zukunftsprogramm Wasserstoff mit mehr als 900.000 Euro.

Kontakt

Dr. Jens Mende

Kommunikation Stuttgart und Ulm
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Kommunikation
Pfaffenwaldring 38-40, 70569 Stuttgart
Tel: +49 711 6862-229

Dr. Martina Hohloch

Projektleiterin
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Institut für Verbrennungstechnik
Mikrogasturbinen
Pfaffenwaldring 38-40, 70569 Stuttgart