12. November 2025 | Mars Express

Coloe Fossae – Spuren einer marsianischen Eiszeit

  • Neue Bilder der HRSC-Stereokamera des DLR zeigen eine von Erdbeben, Einschlägen und klimatischen Extremen geprägte Marsregion.
  • Die Coloe Fossae-Gräben sind Teil der "planetarischen Dichotomie" zwischen der Hochlandregion Terra Sabaea und der Tieflandregion Utopia Planitia.
  • Die Böden der Senken geben wertvolle Einblicke in die Geschichte des Mars, insbesondere in seine klimatische Entwicklung.
  • Schwerpunkte: Raumfahrt, Exploration, Mars Express, HRSC-Stereokamera

Wer hier an eine Raubtierart aus Madagaskar denkt, ist ganz klar auf der falschen Fährte… bei den „Coloe Fossae“ handelt es sich um ausgedehnte Gräben auf dem Mars. Jüngst prozessierte Bilder aus Daten der hochauflösenden Stereokamera HRSC zeigen uns eine von Erdbeben, Einschlägen und klimatischen Extremen geprägte Region. HRSC ist ein vom DLR entwickeltes Kameraexperiment an Bord der ESA-Mission Mars Express, das schon seit Januar 2004 im Einsatz ist.

Die Coloe Fossae befinden sich in der nördlichen Hemisphäre des Mars und sind Teil der sogenannten planetarischen Dichotomie: Diese trennt die Hochlandregion Terra Sabaea von der Tieflandregion Utopia Planitia (siehe kommentiertes Bild). Kennzeichen für diese Grenze ist ein steiler Abhang mit einem Höhenunterschied von mehr als zwei Kilometern. Die Ursache für die Zweiteilung unseres Nachbarplaneten ist noch nicht geklärt. Denkbar ist, dass die Nordhalbkugel des Mars vor mehr als vier Milliarden Jahren von einem Kleinplaneten wie von einem Streifschuss getroffen wurde und dabei im Norden mehrere Kilometer Gesteinskruste weggerissen wurden.

Landschaftsmerkmale der Coloe Fossae-Grabenbrüche
Entlang von Bruchlinien sackten Krustenblöcke mehrere hundert Meter in die Tiefe. Die Gräben wurden später mit Eis verfüllt, das unter seinem eigenen Gewicht und der Form des Geländes folgend zu fließen begann. Auf diesen „Blockgletschern“ mitgeführte Geröllmassen wurden nach dem Schmelzen und Verdampfen des Eises ablagert („concentric crater fill“ bzw. „lineated valley fill“). Eine Häufung kleiner Krater auf einem Hochlandsporn rührt vom Auswurf eines größeren Einschlags her („secondary crater field“). Wind verfrachtete dunklen, vulkanischen Aschenstaub in die nördlich angrenzende Tiefebene („dark material“).
Credit:

ESA/DLR/FU Berlin (CC BY-SA3.0 IGO)

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Vom Norden (rechte Seite der Draufsichten) bis in den Süden (in den Bildern links) ist die Szenerie von Krustenblöcken durchzogen, die in der Geologie als „Horst- und Grabenstruktur“ bezeichnet werden. Auf dem Mars gibt es zahlreiche solche Strukturen, bei der die Gesteinskruste durch aufsteigende Magmakammern gedehnt und aufgewölbt wurde, wie beispielsweise im Norden des Riesenvulkans Olympus Mons. Das umliegende Terrain weist mehrere Einschlagskrater auf, darunter auch Gruppen von kleinen, unregelmäßig geformten Kratern. Solche sogenannten Sekundärkrater entstehen, wenn bei dem Einschlag eines Asteroiden Material herausgeschleudert wird und auf die Oberfläche zurückfällt und so weitere Krater erzeugt. Dabei kommt das Krater-erzeugende Projektil also vom getroffenen Objekt selbst.

Einschlagkrater als Indikator für das Alter der Oberfläche

Einschläge von Asteroiden und Meteoriten – Körper von Hunderten Kilometern Durchmesser bis zu mikrometerkleinen Staubkörnern als Überbleibsel der Planetenentstehung – sind der markanteste Prozess, der auf Himmelskörpern mit festen Oberflächen für Veränderungen der Landschaft von außen sorgt. Bei Körpern mit Atmosphäre werden die Staubteilchen-großen Mikrometeoriten durch Verglühen in der Gashülle „herausgefiltert“.

Auf dem Erdmond hingegen, einem Körper ohne Atmosphäre, treffen sie ungebremst mit Geschwindigkeiten von weit über 100.000 Kilometern pro Stunde auf und zermahlen seine Gesteine zu feinpulvrigem Staub, dem Regolith. Auf dem Mars mit seiner dünnen Atmosphäre kommen im Vergleich zum Mond zwar weniger Meteoriten am Boden an, aber doch deutlich mehr als auf der Erde. Die dabei entstehenden Impaktkrater sind für die Wissenschaft eine bedeutende „Messgröße“ zur Bestimmung des relativen Oberflächenalters:

Auf alten Oberflächen sind viele große Krater zu finden, die dem „Bombardement“ aus dem All über sehr lange Zeit ausgesetzt waren. Weniger und kleine Krater deuten in der Regel auf jüngere Oberflächen hin. Die Kratergrößen nahmen auch ab, weil mit fortschreitendem Alter des Sonnensystems die großen Projektile als erstes eingeschlagen sind und in jüngerer Zeit nur noch kleinere Einschlagskörper „übrig waren“. Die raren Einschlagskrater auf den Böden der Gräben deuten somit darauf hin, dass diese Ablagerungen im Vergleich zu dem kraterreichen umliegenden Terrain deutlich jünger sein dürften.

Lineare Talfüllungen und konzentrische Kraterfüllungen

Bei näherer Betrachtung zeigen die Materialien auf den Böden der Senken auch faszinierende Oberflächenmerkmale, die wertvolle Einblicke in die Geschichte des Mars geben, insbesondere in seine klimatische Entwicklung. An vielen Stellen ist ein stromlinienförmiges Muster zu erkennen, das charakteristisch für sogenannte lineare Talfüllungen ist.

Lineare Talfüllungen entstehen durch zähflüssige, eisreiche Ablagerungen. Das Material ähnelt irdischen Blockgletschern, die von einer Schicht aus Schutt oder Gestein bedeckt sind. Diese Ablagerungen bestehen wahrscheinlich zu mehr als 80 Prozent aus Eis, das unter einer dicken Schicht aus Gesteinsmaterial begraben und vor der Sublimation, dem Verdampfen, geschützt ist. Die linienförmigen Strukturen auf der Oberfläche entstehen durch das langsame Abfließen der Eismassen entlang der Talhänge. In der Talmitte stoßen diese zusammen und werden ineinander gepresst – vergleichbar mit dem Effekt, wenn man eine Tischdecke von beiden Seiten zusammenschiebt.

Als Pendant zur linearen Talfüllung werden ähnliche Merkmale innerhalb von Einschlagskratern als konzentrische Kraterfüllung bezeichnet. Letztere sind in einigen Kratern auf dem Bild zu erkennen. Beide Oberflächenstrukturen sind also ein eindeutiger Hinweis auf die ehemalige Aktivität von Gletschern innerhalb der Gräben und Senken. Aber wie konnte sich diese Vergletscherung so weit von den Marspolen entfernt ereignen?

Dass es Gletscher in den mittleren Breitengraden des Mars gab, ist ein Anzeichen dafür, dass der heute trockene Planet im Laufe seiner Entwicklung abwechselnd kalte und warme Perioden erlebte. Wiederholte Frost-Tau-Zyklen trieben diesen Prozess an. Diese Klimaschwankungen werden durch Veränderungen der Orbitalparameter des Mars verursacht, also der schwankenden Entfernung des Mars auf seiner elliptischen Bahn um die Sonne, aber insbesondere auch durch die Neigung seiner Rotationsachse, die starken Schwankungen unterworfen ist.

Stärkere Achsneigung – mehr Eis in mittleren Breiten

Im Gegensatz zur Erdachse, deren Neigung von etwa 23,5 Grad über mehr als vier Milliarden Jahre hinweg dank der stabilisierenden Wirkung des Mondes weitgehend konstant geblieben ist, schwankt die Achsneigung des Mars stärker und häufiger. Hierfür sind die schwerkraftbedingten Einflüsse anderer Planeten verantwortlich. Diese Zyklen der Achsneigung bewirken regelmäßige Klimaschwankungen auf dem Mars – und verändern dabei auch die Verteilung des Eises.

Einfach ausgedrückt: In Zeiten hoher Achsneigung breitet sich das Eis von den Polen in Richtung der mittleren Breiten aus. Ist die Neigung hingegen geringer – wie es heute der Fall ist –, zieht sich das Eis wieder zu den Polen zurück und hinterlässt dabei sichtbare Spuren in der Landschaft. Das regelmäßige Auftreten solcher Formen entlang der Dichotomie in vergleichbaren Breiten deutet darauf hin, dass globale klimatische Prozesse dafür verantwortlich sind – und nicht lediglich lokale Umweltveränderungen.

(3D-) Anaglyphenbild der Coloe Fossae-Grabenbrüche
Aus dem senkrecht auf die Marsoberfläche gerichteten Nadirkanal und einem der schräg blickenden Stereokanäle der HRSC-Kamera lassen sich sogenannte Anaglyphenbilder erzeugen. Sie liefern eine dreidimensionale Ansicht der Landschaft. Besonders gut lassen sich hier durch tektonische Dehnungsbrüche entstandene, lineare Gräben untersuchen, aber auch subtile Details wie schlierenartige Fließstrukturen, die von schuttbeladenen Gletschern herrühren.
Credit:

ESA/DLR/FU Berlin (CC BY-SA3.0 IGO)

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Bildbearbeitung

Die Bilder wurden von der Stereokamera HRSC während Mars Express Orbit 26257 aufgenommen. Die Bodenauflösung beträgt etwa 16 Meter pro Pixel und das Bild ist auf etwa 39 Grad Nord und 54 Grad Ost zentriert. Das Farbbild wurde aus den Daten des Nadirkanals, der senkrecht zur Marsoberfläche ausgerichtet ist, und den Farbkanälen der HRSC erstellt. Die schräge perspektivische Ansicht wurde aus dem digitalen Geländemodell, dem Nadirkanal und den Farbkanälen der HRSC erstellt. Das Anaglyphenbild, das bei Betrachtung mit einer Rot/Blau- oder Rot/Grün-Brille einen dreidimensionalen Eindruck von der Landschaft vermittelt, wurde aus dem Nadirkanal und einem Stereokanal abgeleitet. Die farbkodierte topografische Ansicht basiert auf einem digitalen Geländemodell (DGM) der Region, aus dem sich die Topografie der Landschaft ableiten lässt.

Weiterführende Links

Das HRSC-Experiment auf Mars Express

Die hochauflösende Stereokamera wurde am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) entwickelt und in Zusammenarbeit mit Partnern aus der Industrie gebaut (EADS Astrium, Lewicki Microelectronic GmbH und Jena-Optronik GmbH). Das Wissenschaftsteam unter der Leitung von Dr. Daniela Tirsch, Principal Investigator (PI), besteht aus 50 Co-Investigatoren aus 35 Institutionen und elf Ländern. Die Kamera wird vom DLR-Institut für Weltraumforschung (ehemals DLR-Institut für Planetenforschung) in Berlin-Adlershof betrieben.

Kontakt

Michael Müller

Redakteur
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Kommunikation
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Tel: +49 2203 601-3717

Ulrich Köhler

Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Institut für Weltraumforschung
Öffentlichkeitsarbeit
Rutherfordstraße 2, 12489 Berlin

Dr. Daniela Tirsch

Leitende Wissenschaftlerin HRSC
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Institut für Weltraumforschung
Rutherfordstraße 2, 12489 Berlin