Zwei RED KITE-Motoren bringen 500 Kilogramm Experimente in Schwerelosigkeit



- Am 12. November 2025 ist die Höhenforschungsrakete MAPHEUS-16 des DLR erfolgreich vom schwedischen Startplatz Esrange abgehoben.
- Sie brachte 21 Experimente für etwas mehr als sechs Minuten in die Schwerelosigkeit und ermöglichte damit einmalige Forschung.
- Angetrieben wurde die Rakete erstmals von zwei RED KITE-Motoren. Sie sind eine gemeinsame Entwicklung von DLR und Bayern-Chemie.
- Schwerpunkte: Raumfahrt, Höhenforschungsraketen
Das Experimentieren in Schwerelosigkeit ist für viele Zukunftstechnologien – zum Beispiel in den Ingenieurwissenschaften, der Materialforschung oder Medizin – ein wichtiger Bestandteil und ermöglicht neuartige Erkenntnisse. Denn in Mikrogravitation, also wenn die Schwerkraft extrem reduziert ist, laufen physikalische, chemische und biologische Prozesse anders und teils schneller ab als auf der Erde. Deshalb führt das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) im MAPHEUS-Programm seit mehr als 15 Jahren regelmäßig Flüge mit Höhenforschungsraketen durch. Am 12. November 2025 um 5:05 Uhr machte sich die Mission MAPHEUS-16 vom Raketenstartplatz der Swedish Space Corporation (SSC) in Esrange auf ihre Reise in die Schwerelosigkeit. Erstmals kombinierte das DLR dafür zwei RED KITE-Raketenmotoren. Das ermöglichte einen neuen Rekord bei der Nutzlast: Rund 500 Kilogramm wissenschaftliche Fracht brachte die Rakete für etwas mehr als sechs Minuten in Schwerelosigkeit. Der RED KITE-Motor ist eine deutsche Entwicklung des DLR mit dem Unternehmen Bayern-Chemie.

Wir verfolgen konsequent den Weg, das Leistungsspektrum unserer Höhenforschungsraketen zu erweitern. Ich freue mich daher sehr, dass wir nun erstmals mit einem Start eine halbe Tonne Experimente ins All und zurück befördern konnten“, sagt Dr. Anke Pagels-Kerp, DLR-Bereichsvorständin Raumfahrt. „Mit diesem Ansatz machen wir Höhenforschungsraketen noch vielfältiger und flexibler als Forschungs- und Erprobungsplattformen nutzbar – für DLR-eigene Projekte und zukünftig als Angebot für Partner in Forschung und Wirtschaft.
Die mehr als 13 Meter lange Forschungsrakete mit einem Startgewicht von drei Tonnen erreichte während der Gesamtflugzeit von rund 14 Minuten eine maximale Höhe von fast 270 Kilometern. Die Nutzlast an der Spitze der Rakete flog nach dem Abtrennen der Raketenmotoren eine Höhenparabel. Im freien Fall zurück zur Erde entstanden so für mehrere Minuten Bedingungen wie in Schwerelosigkeit. 21 wissenschaftliche Experimente landeten dann gebremst von zwei Fallschirmen in einem dafür vorgesehenen Gebiet und wurden per Hubschrauber geborgen.
RED KITE-Motoren aus Deutschland: hohe Leistung für mehr Zeit in Schwerelosigkeit
Hinter der roten Verkleidung verbirgt sich ein besonders leistungsstarker Feststoffantrieb: Rund eine Tonne Treibstoff brennen innerhalb von 13 Sekunden ab und liefern den hohen Schub, um sehr anspruchsvolle Flugprofile und ein großes Spektrum an Missionen zu meistern. Der „rote Milan“ absolvierte seinen Erstflug im November 2023. „Der RED KITE-Motor setzt im Bereich der Höhenforschungsraketen neue Maßstäbe hinsichtlich Leistung und Handling. Je nach Missionsprofil lassen sich zwei dieser Antriebstufen kombinieren und so die Leistung und damit die beförderte Nutzlast entsprechend vergrößern“, beschreibt Indira Keserovic, Ingenieurin und Projektmanagerin von MAPHEUS-16 bei der Mobilen Raketenbasis (MORABA) des DLR. Das dortige Team plant, betreut und startet suborbitale Höhenforschungsraketen und kann auf mehrere Jahrzehnte Erfahrung zurückgreifen.
Höhenforschungsraketen: kostengünstiger Zugang zu Forschung in Schwerelosigkeit
Durch die gemeinsame Entwicklung mit Bayern-Chemie und die Herstellung in Deutschland kennt das DLR-Team die Charakteristika „seines“ Motors bis ins kleinste Detail und hat den Einsatz sowie das Handling speziell für Höhenforschungsraketen optimiert. Das beschleunigt die Planung und Durchführung solcher Missionen, macht sie also insgesamt effizienter. „Unser Ziel für die nächsten Jahre ist es, bis zu zehn Minuten Mikrogravitation zu erreichen“, blickt DLR-Expertin Keserovic voraus.
Quadratisch und praktisch: Mikro-Experimente in Würfelform
Bei MAPHEUS-16 waren auch drei Raketensegmente namens MOSAIC (Micro-Experiments on Sounding Rockets As Insert Cubes) mit dabei. In jedes dieser Segmente passen acht kompakte Würfel. Sie haben eine Kantenlänge von zehn Zentimetern und beherbergen einzelne Experimente. Das Besondere dabei: „Das MOSAIC-System hat einheitliche Schnittstellen für die Stromversorgung, Kommunikation und Befestigung der Experimente. Nach dem Prinzip „Plug-and-Play“ können so mehr Experimente einfacher in die Schwerelosigkeit starten“, erklärt Prof. Thomas Voigtmann, Projektleiter des MAPHEUS-Programms am DLR-Institut für Frontier Materials auf der Erde und im All. „Gleichzeitig ermöglicht das Würfel-basierte und modulare erweiterbare Konzept von MOSAIC, den ohnehin sehr begrenzten Raum an Bord von Höhenforschungsraketen und die für den Flug notwendigen Ressourcen optimal zu nutzen.“ Auch Unternehmen – wie adesso SE, igus und Lamb Space Tec aus Nordrhein-Westfalen – waren an der Entwicklung des MOSAIC-Systems beteiligt und bereits bei vorherigen MAPHEUS-Missionen mit Experimenten vertreten.
3D-Druck und Organoide in Schwerelosigkeit
Unter 3D-Druck – auch als additive Fertigung bezeichnet – versteht man Herstellungsverfahren, bei denen ein Material Schicht für Schicht aufgetragen wird. So entsteht eine dreidimensionale Struktur. Dieses Fertigungsverfahren wird nicht nur auf der Erde immer mehr genutzt, auch bei längeren Flügen ins All wird diese Technologie eine wichtige Rolle spielen: Denn mit ihr lassen sich zum Beispiel Ersatzteile im Flug oder auf der Oberfläche von Mond und Mars herstellen. Bei MAPHEUS-16 untersuchte ein DLR-Experiment eine spezielle Art des 3D-Drucks und stellte in Mikrogravitation eine Probe her. Die Forschenden interessierten sich vor allem für die Mikrostruktur und die mechanischen Eigenschaften dieser Probe. Nach dem Flug vergleichen sie die Probe mit einem auf der Erde hergestellten Exemplar. So wollen sie die Machbarkeit und Robustheit von additiven Fertigungsverfahren im Weltraum besser verstehen.
In biomedizinischen Experimenten wurde auf dem MAPHEUS-Flug außerdem der Einfluss reduzierter Schwerkraft auf „Organoide“, Zellen und biologische Membranen untersucht. Organoide sind kleine, im Labor gezüchtete Strukturen, die Organen ähnlich und wesentlich komplexer als die bisher verwendete Zellkulturen sind. Die Ergebnisse dieser Experimente können wichtige Hinweise liefern, welchen Einfluss die Schwerelosigkeit auf den Körper und seine Organe hat. „MAPHEUS ist für die biomedizinische Forschung eine ideale Plattform: Denn wir haben die Möglichkeit, bis kurz vor dem Start lebendige Proben in die Rakete einzusetzen. Nach dem Flug bekommen wir diese Proben schnell wieder zurück und können dann im Labor direkt untersuchen, welche Auswirkungen die Zeit in Schwerelosigkeit hatte“, erläutert Dr. Jens Hauslage vom DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin. Die biomedizinischen Experimente finden in Zusammenarbeit mit dem Uniklinikum Bonn, dem GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung in Darmstadt, der Universität Bordeaux und der La Trobe Universität Melbourne statt.
Weiterführende Links
MAPHEUS-Programm:
Mit dem MAPHEUS-Programm verfügt das DLR über eine flexible Möglichkeit, Experimente auf Höhenforschungsraketen unter den Bedingungen von Mikrogravitation durchzuführen, wie sie sonst nur an Bord von Raumstationen möglich wären. Das ermöglicht den Forschenden einen unabhängigen und regelmäßigen Zugang zu Experimenten in Schwerelosigkeit. Technologien können so schrittweise und zeitnah erprobt und Computermodelle bestätigt sowie weiter verbessert werden. Diese Kombination aus Simulation und Experiment in Schwerelosigkeit zeichnet die Forschung des DLR aus. Seit 2009 finden regelmäßig Flüge statt.