Ein außergewöhnlicher Versuch in der TITAN-Druckkammer

615 Meter. Die drei jungen Taucher, die diese Tiefe erreicht haben, halten am 1. Mai 1990 für den Fotografen ein Schild hoch. Jetzt dauert es noch vier Wochen, bis sie wieder Sonnenlicht sehen und frische Luft atmen. Dieser Rekord-Tauchgang wurde vor mehr als 30 Jahren in der DLR-Druckkammer TITAN durchgeführt. Wasser war dafür nicht notwendig, nur die Technik und die Stahlwände des baromedizinischen Labors.

In ihm können extreme Druck- und Atemgasbedingungen erzeugt werden, wie sie zum Beispiel in mehr als 600 Meter Tiefe in der Nordsee herrschen. Der Einsatz von Berufstauchern für die Erdgas- und Ölförderung im offenen Meer war ein wichtiges Thema für die Forschung. Könnten Menschen am Meeresboden arbeiten? Wie kommen sie mit den Druckverhältnissen zurecht? Die TITAN-Kammer sowie die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im damaligen DLR-Institut für Flugmedizin boten eine sichere, kontrollierte Umgebung für die Beantwortung dieser Fragen.

Rekord-Tauchgang in der TITAN-Kammer
Es ist geschafft: Frank Weist (vorne rechts) und die beiden anderen Probanden sind in der TITAN-Kammer auf 615 Metern angekommen. Das Foto wurde durch eines der kleinen Fenster von außen aufgenommen.

„Wir hatten rund um die Uhr alles im Blick. Es war jedem klar, welche Verantwortung wir tragen“, sagt Manfred Schulze (57), einer der Techniker. 40 Tage und Nächte saßen die „Kammerfahrer“ am meterlangen Fahr- und Messstand. Im heutigen Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin gibt es die großen Regler, Knöpfe und Bildschirme immer noch. Über eigene Sprechverbindungen konnte das Team die Tests oder Ergebnisse mit den drei Tauchern bereden und manchmal auch über Alltägliches plaudern.

Mit zunehmender Tiefe wurde das allerdings schwieriger. Die Atemluft bestand aus Heliox, einem Gemisch aus Sauerstoff und Helium. Das DLR-Team passte das Mischungsverhältnis laufend an die sich ändern den Druckverhältnisse an. Helium dient beim Tauchen als Ersatz für Stickstoff, der den gefährlichen Tiefenrausch auslöst. Aber Helium verändert auch die Stimme bis zu einem unverständlichen Fiepsen. „Ab einem Druck von etwa zehn Bar in 100 Meter Tiefe ist diese Verzerrung so stark, dass Taucher untereinander nicht mehr mit Worten kommunizieren können“, sagt Frank Weist (60). Er war der junge Taucher, der am zwölften Tag in der Kammer das Schild hielt. Der Austausch mit dem DLR-Team lief über einen elektronischen Entzerrer. Ein Blick in die Kammer oder heraus war zusätzlich durch die kleinen runden Fenster möglich. Also einfach einen Zettel mit Informationen hochhalten? „Jenseits von 500 Metern zitterten die Hände doch etwas“, erinnert sich Frank Weist an den Tauchgang. Papier und Stift zu holen, bedeutete eine enorme Anstrengung. Bei mehr als 600 Metern wollte Frank Weist vor allem „sitzen und atmen und nichts anderes machen.“

„Anpassungsfähigkeit des Menschen ist beträchtlich“

Steigen Taucherinnen und Taucher zu schnell auf, bilden sich wegen des geringer werdenden Drucks Blasen in ihren Blutgefäßen und Geweben. Deswegen ist eine angepasste Dekompressionsgeschwindigkeit lebenswichtig. Für diesen TITAN-Tauchgang in 615 Meter Tiefe berechnete das DLR-Team 28 Tage.Die drei Probanden hatten jede Menge Aufgaben zu erledigen. Konzentrationstests, Leistungstests, Übungen zu Geschicklichkeit und Gleichgewicht standen auf dem Programm. Auch Putzen. Hygiene war extrem wichtig in dieser Umgebung mit Wärme, Druck und hoher Luftfeuchtigkeit. Jede Infektion oder Verletzung wäre eine Katastrophe gewesen. „Wir hätten die drei ja nicht einfach rausholen können“, sagt Tauchermeister Harry Hebborn (83), der zum DLR-Team gehörte. „Einen Arzt reinzubringen, hätte ebenfalls Tage gedauert.“

Die TITAN-Druckkammer hat einen Durchmesser von 2,20 Metern und eine Gesamtlänge von 6,60 Metern, inklusive Waschbecken, Dusche und WC. Von außen wirkt sie wie ein Raumschiff, das von Messgeräten, Rohren und Kabeln umgeben ist. Im Innern ist Platz für vier Personen. Harry Hebborn und Projektleiter Norbert Luks (69) wählten die Probanden mit aus. Wichtigste Voraussetzungen neben der Taucherfahrung: Sie mussten der psychischen Belastung standhalten können und gut miteinander auskommen. Die gemeinsamen Mahlzeiten wurden über eine Schleuse in die Kammer gereicht. Unter hohem Druck bildeten sich in Sekunden große Fettaugen auf Wurst oder Käse. Fleisch wurde hart und luftiger Nachtisch kam als Brei an. „Gleichzeitig ließ bei den Probanden der Geschmackssinn nach“, erklärt Norbert Luks.

Der Tauchgang brachte viele wissenschaftliche Erkenntnisse. „Es wurde nachgewiesen, dass die Anpassungsfähigkeit des Menschen an die extremen Umweltbedingungen beträchtlich ist“, hieß es in einer DLRMitteilung. Für Bohrinseln ist das eher kein Thema mehr: „Inzwischen arbeiten Roboter in diesen Tiefen. Die Möglichkeit gab es damals noch nicht so wie heute“, sagt Norbert Luks. Die TITAN-Druckkammer wurde seit 1991 mit dem Ende einer Forschungsförderung allerdings nicht mehr für Tieftauchgänge eingesetzt. Seitdem konzentrieren sich die Arbeiten auf die Auswirkungen von Druck- und Atmosphärenveränderungen zum Beispiel in der Luft- und Raumfahrt, beim Bergsteigen oder auf Zugfahrten.

Der Beitrag stammt aus der Ausgabe 169 des DLRmagazins

Die Barokammer

Die Tieftauchsimulationsanlage TITAN wurde 1984 in Betrieb genommen. Sie steht als Teil des Baromedizinischen Labors im heutigen Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin in Köln. Theoretisch waren mit der Kammer Tauchversuche bis in 1.000 Meter Tiefe möglich. Mittlerweile können in ihr Druckbereiche zwischen 5 Millibar und 70 Bar erzeugt werden. Das entspricht dem Bereich zwischen einem leichten Vakuum und 700 Meter Meerestiefe.

Katja Lenz

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