„Die europäische Luftfahrt muss wettbewerbsfähig bleiben“

DLR/Zana Jozeljic
Clean Sky 2 war das größte europäische Luftfahrtforschungsprogramm. Zehn Jahre forschte das DLR an möglichen Lösungen für eine klimaneutrale Luftfahrt. Worum ging es?
Clean Sky 2, dessen Vorgänger Clean Sky sowie das Folgeprogramm Clean Aviation, das 2023 gestartet ist, sind große Initiativen der Europäischen Kommission. Die Grundgedanken dieser Programme sind, dass die europäische Luftfahrt wettbewerbsfähig bleiben und bis 2050 klimaneutral sein soll. Zu Beginn von Clean Sky, also vor 20 Jahren, stellten wir fest, dass wir zwar eine Menge Forschung betreiben, uns aber große Flugexperimente oder integrierte Prototypen, sogenannte Demonstratoren, fehlten. Deshalb schlossen sich für diese Forschungsprogramme mehr als 800 europäische Luftfahrt-Organisationen zusammen: von großen Industrieunternehmen über kleine und mittlere Unternehmen bis zu Universitäten und Forschungsorganisationen wie dem DLR. Clean Sky 2 wurde mit 1,7 Milliarden Euro gefördert, dabei erhielt das DLR als fünftgrößter Empfänger über 80 Millionen Euro. Mit dem Geld wurden in neun Hauptprojekten mehr als 100 Demonstratoren und 1.000 Technologien entwickelt. Insgesamt engagierte sich das DLR in 27 Projekten.
Können Sie dafür Beispiele nennen?
Geforscht haben wir an Lösungen für Verkehrsflugzeuge, Businessjets, aber auch an Hubschraubern. Einerseits ging es um die Fluggeräte, aber auch um ihre Komponenten, also Flügel, Rumpf, Leitwerke, Antriebe und Kabinen. Im Programm wurde darüber hinaus an Produktionstechnik, Simulationsverfahren sowie an der Verbesserung von Messverfahren gearbeitet. Besonders interessant war die Erforschung von laminarer Strömung im Reiseflug. Beim Fliegen möchten wir am Flügel oder am Triebwerk idealerweise viel laminare Strömung, also geringen Reibungswiderstand. Wenn es gelingt, diese Bauteile so zu entwerfen, dass sie möglichst laminar und nicht turbulent umströmt werden, sinken Widerstand und Treibstoffverbrauch. Außerdem wurde im Projekt Multi-Functional Fuselage Demonstrator, MFFD, daran gearbeitet, das Gewicht des Rumpfes zu reduzieren und diesen automatisiert produzieren zu lassen. Bei MFFD war das DLR prominent beteiligt. Der Rumpfdemonstrator wurde übrigens Anfang 2025 mit dem renommierten Innovationspreis der Verbundwerkstoffindustrie ausgezeichnet. Übergeordnet kam dem DLR die Aufgabe zu, alle Technologiebeiträge von Clean Sky 2 zu analysieren und bewerten. Diese Betrachtungen sind im sogenannten Technology Evaluator gesammelt.
Das ist ja eine ganze Menge. Was würden Sie noch hervorheben?
Neben dem RACER-Hubschrauber und dem MFFD war für mich persönlich die Installation und Inbetriebnahme des Verdichterprüfstands im Projekt 2ShaftCompressor herausragend: Mit der Hardware im DLR in Köln ist ein für die deutsche Industrie essenzieller Prüfstand entstanden, ebenso wie der neue Turbinenprüfstand in Göttingen. Das alles innerhalb der Laufzeit des Programms hinzubekommen, war eine Mammutaufgabe, die wir gut gemeistert haben.
Ein weiteres Beispiel sind die Arbeiten, die wir zur Laminarisierung von Verkehrsflugzeugen zusammen mit Airbus und Dassault gemacht haben. Dieser Technologie fehlte noch, sie so weiterzuentwickeln, dass sie einen Business-Case, also eine lohnende Investition, darstellt und dass sie in Serienflugzeuge integriert werden kann. Da sind wir wirklich weit gekommen.
Besonders beeindruckend war für mich, dass in Zusammenarbeit mit Dassault unser Forschungsflugzeug ISTAR mit künstlicher Vereisung geflogen ist. Eisansätze an den Flügelvorderkanten sind gefährlich und können dazu führen, dass das Flugzeug manövrierunfähig wird. Dementsprechend wurden strenge Zulassungsregularien eingeführt. Mit dem ISTAR haben wir im Flug vermessen, wie sich die Flugeigenschaften und die Flugleistung durch „simulierte“, künstliche Vereisung verändern. Flüge mit diesen Eisansätzen gab es bei der Zulassung dieses Flugzeugtyps, jedoch hat Dassault nicht die Steuerbarkeits- oder Leistungsänderungen erfasst. Unsere neuen Daten bilden die Grundlage, um das reale Verhalten des Flugzeugs mit Eisansätzen mit digital simulierten abzugleichen. Danach können Zulassungen neuer Flugzeuge teilweise am Computer erfolgen. Das wird viele teure und gefährliche Erprobungsflugstunden ersparen.
Bei welchen Ergebnissen sehen Sie die bedeutendsten Anknüpfungspunkte für die Luftfahrt?
Im Luftfahrzeug-Markt ist beispielsweise eine A320 durchaus 40 Jahre im Einsatz. Dementsprechend lang sind auch die Produkt- und Innovationszyklen. So werden mit jeder Generation größere technische Fortschritte umgesetzt. Besonders vielversprechend sind Gewichtsreduktion, Widerstandsreduktion und Kraftstoffeinsparung. Auch die Produktionskosten spielen eine Rolle. Eine neue Klappenauslegung am Flügel kann relativ schnell eingepflegt werden. Ein hybrid-laminares System hingegen muss in einen völlig neuen Flügelentwurf integriert werden. Für die Hersteller ist das ein hohes finanzielles Risiko. Mit unseren Arbeiten und Entwicklungen konnten wir zeigen, unter welchen Bedingungen ein solches System wirtschaftlich betrieben werden kann.

DLR/Zana Joseljic
Welche Bilanz ziehen Sie aus Clean Sky 2?
Ich würde sagen, dass wir – und das meint alle DLR-Mitarbeitende, die an Clean Sky 2 beteiligt waren – unseren Job zu 110 Prozent erfüllt haben: Wir haben Probleme gelöst und Technologien erheblich reifer gemacht, sodass sie von den Herstellern in ihre Flugzeuge integriert werden können. Ob das tatsächlich geschieht, ist allerdings von Faktoren wie der weltweiten Wettbewerbssituation abhängig, die wir als DLR nicht beeinflussen können.
Unsere Herausforderung in Europa wird sein, unsere neuen, umweltfreundlichen Flugzeuge, die weniger verbrauchen, konkurrenzfähig günstig anbieten zu können. Was ich feststelle, ist, dass die Hersteller beginnen, die Umweltbelastung mit zu bedenken, denn sie haben jetzt eine Menge neuer, vielversprechender Technologien in der Schublade, mit denen sie diesen Schritt wirtschaftlich umsetzen können. Und wir als Aeronautics-Community haben erneut gezeigt, dass wir in Europa eine Menge erreichen können, wenn wir gemeinsam an einem Strang ziehen.
Und welchen Nutzen haben die Bürgerinnen und Bürger von dem Programm?
Sobald die nächste Generation von Verkehrsflugzeugen auf den Markt kommt, also ab etwa 2035, werden in ihnen viele Technologien zu finden sein, die in Clean Sky und Clean Sky 2 erarbeitet worden sind. Dessen bin ich mir sicher. Konkret könnte es sein, dass der Außenflügel eines neuen Verkehrsflugzeugs, das die A320 ersetzt, laminar betrieben wird, um Widerstand zu sparen. Das werden neue Arten von Triebwerken sein, die größer und effizienter sind. Das wird bedeuten, dass die Kabinen leiser werden. Einerseits durch Maßnahmen wie aktiven Gegenschall, also Active Noise Cancelling, eine Technik, die Sie vielleicht von Ihren Kopfhörern kennen, andererseits durch bauliche Veränderungen, durch die der Schall sich gar nicht so weit vom Ort des Entstehens bis in die Kabine ausbreiten kann. Das DLR hat auch an neuen Materialien, Produktionstechniken und Methoden gearbeitet, die in der Umsetzung die Kosten senken können. Letztendlich forschen wir daran, dass Flugzeuge so umweltfreundlich werden, dass es auch in Zukunft und unter schärferen Umweltrandbedingungen möglich sein wird, mit dem Flugzeug zu reisen.
Clean Aviation, das Nachfolgeprogramm, ist schon gestartet ...
Wenn die Luftfahrt bis 2050 klimaneutral sein soll, müssen die relevanten Entscheidungen und Entwürfe 2035 fertig sein. Das ist schon recht bald. Und darauf konzentriert sich Clean Aviation. Es gibt daher keine Forschungsaktivitäten mehr zu Hubschraubern oder Businessjets, der Fokus liegt auf Verkehrsflugzeugen und deren Antrieben. Wir forschen weniger an Kabine und Flügel, sondern zusätzlich an Systemen. Damit das neue Flugzeug schneller kommt, wird in Clean Aviation außerdem die Zulassung neuer Technologien von Anfang an intensiv mit bearbeitet.
Und sind Sie wieder Koordinator des Projekts im DLR?
Ja, ich sehe meine Aufgabe ein bisschen wie die eines Pfadfinders durch den EU-Dschungel. Es ist toll, mit so vielen motivierten Leuten zusammenzuarbeiten, und ich möchte dafür sorgen, dass diese auch die entsprechenden Mittel erhalten, um ihre konstruktiven Ideen zusammen mit den europäischen Beteiligten in umweltfreundliche und anwendbare Technologien umsetzen zu können.
Technology Evaluator


Ein Beitrag von Julia Heil aus dem DLRmagazin 177