2. März 2020 | Neue Technologien für mehr Flexibilität und Wettbewerbsfähigkeit in der Testinfrastruktur

8. Industrial Days beim DLR Lampoldshausen

  • Rund 100 internationale Experten diskutierten zwei Tage beim DLR in Lampoldshausen über die Anforderungen, die die zunehmende weltweite Kommerzialisierung der Raumfahrt an die europäischen Test- und Startanlagen stellen.
  • Nur eine enge Zusammenarbeit von Wissenschaft, etablierten Raumfahrtunternehmen sowie einer Dynamik durch Start-ups wird den europäischen Raumtransport und damit die europäische Raumfahrt wettbewerbsfähig halten.
  • Die Weiterentwicklung der Prüfstände des DLR in Lampoldshausen adressiert mit dem technischen Generationenwechsel Anforderungen und Bedürfnisse für die Entwicklung der nächsten Triebwerksgenerationen.
  • Schwerpunkte: Raumfahrt, Trägersysteme, New Space

Der Erststart der Ariane 6 rückt in greifbare Nähe. Über den Bau der neuen europäischen Trägerrakete war vor sechs Jahren entschieden worden. Sie wird in zwei Versionen auf den Markt kommen und flexibler sowie kostengünstiger sein als ihre Vorgängerin, die Ariane 5. Doch reicht das aus? Dynamische Märkte, Wandel der Rahmenbedingungen und Technologiesprünge markieren den Beginn einer Trendwende in der weltweiten Trägerentwicklung – mit gravierenden Auswirkungen für den kommerziellen Trägermarkt. Will sich Europa einen unabhängigen und bezahlbaren Zugang zum All sichern, müssen neue Technologien weiterentwickelt und getestet werden. Technologien wie wiederverwendbare Trägersysteme oder auch neue Antriebe mit Flüssigsauerstoff und Flüssigmethan bieten dafür große Chancen. Um die zu ergreifen, müssen auch die Test- und Startanlagen zukunftsfähig ausgerichtet werden. Sie sind integraler Bestandteil einer nachhaltigen und wirtschaftlichen europäischen Trägerstrategie. Das ist das zentrale Thema der achten Industrial Days, zu denen führende Entscheidungsträger aus Raumfahrtagenturen, Raumfahrtindustrie und -forschung am 2. und 3. März 2020 beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Lampoldshausen zusammengekommen sind.

Testanlagen im Wandel der Zeit

Um sich im globalen Wettbewerb der Raumfahrtnationen behaupten zu können, braucht Europa die besten Bedingungen für die Entwicklung von zukunftsweisenden und kostensenkenden Technologien, eine noch bessere Vernetzung und Kooperation von Raumfahrtunternehmen, Start-ups und Forschung sowie die Stärkung von Test- und Startinfrastrukturen. "Für die immer anspruchsvoller werdenden Testszenarien benötigen wir Anlagen, die flexibler werden und dabei die gewonnenen Daten der Antriebe schneller, effizienter und kostengünstiger erfassen", erläutert Prof. Pascale Ehrenfreund, Vorsitzende des DLR-Vorstands, die Herausforderungen in der Entwicklung wettbewerbsfähiger Trägersysteme. "Auf europaweit einmalige Weise bündelt das DLR an seinem Standort Lampoldshausen Großprüfstände mit der grundlagen- und anwendungsorientierten Forschung auf dem Gebiet der Raumfahrtantriebe."

Europas Raumtransport ordnet sich neu

Der globale Raumfahrtmarkt ist dynamischer und zugleich heterogener denn je. So stellen Micro-Launcher – also Kleinträger für Nutzlasten bis zu einer Tonne für den niedrigen Erdorbit – zunehmend eine Ergänzung zu der europäischen Trägerraketenfamilie Ariane dar und rücken von nun an verstärkt in den Fokus. Die steigende Vielfalt und eine signifikant verkürzte Entwicklungszeit prägen die heutige europäische Trägerstrategie. In großen Teilen hat das DLR mit dem Institut für Raumfahrtantriebe in Lampoldshausen bereits auf diese Entwicklung reagiert: Als europäisches Forschungs- und Testzentrum für Flüssigantriebe verfügt es über ideale Rahmenbedingungen und hochwertige Anlagen, die dem Industriestandard europäischer Raumfahrtunternehmen entsprechen. "Das Testzentrum Lampoldshausen ist schon seit vielen Jahrzehnten eine strategische Infrastruktur Europas und elementarer Baustein für unseren Zugang zum All. Mit den auf der ESA-Ministerratskonferenz Ende 2019 in Sevilla getroffenen Beschlüssen haben wir eine hervorragende Ausgangsbasis, um Lampoldshausen in Europa als die Anlaufstelle Nr. 1 für Triebwerkstests aller Größen und Arten zu etablieren", verdeutlicht Dr. Walther Pelzer, Vorstandsmitglied des DLR, zuständig für das Raumfahrtmanagement, das die deutschen Beiträge in der ESA verantwortet.

Innovation durch Kooperation fördern

Impulse für diesen Wandel kommen nicht nur von neuen Raumfahrtmärkten, sondern auch durch die Entwicklung disruptiver Technologien wie beispielsweise batteriegetriebener Pumpen, neue Faserverbundwerkstoffe oder auch durch Additive Layer Manufacturing (ALM) gefertigte Motorkomponenten. Darum ist es für Europa bedeutsam, technologische Innovationen zu schaffen, die die Raumfahrt fit für die zukünftigen Herausforderungen in einem sich schnell verändernden Umfeld machen. Kooperationen spielen dabei eine große Rolle. Prof. Hansjörg Dittus, Mitglied des DLR-Vorstands für Raumfahrtforschung und -technologie, betont: "Wir sehen in den Forschungspartnerschaften mit Universitäten ein strategisch relevantes Handlungsfeld, das wir weiter ausbauen werden. Durch diese Kooperationen geben wir wichtige Impulse für eine neue Dynamik in der Entwicklung innovativer Technologien in der Raumfahrt. Ebenso verfolgen wir das Ziel, die technologischen Zukunftsvisionen der europäischen Raumfahrtunternehmen im Bereich der Trägersysteme bestmöglich umzusetzen – gemeinsam mit etablierten KMU, also kleinen und mittelständischen Unternehmen , aber auch mit Start-ups."

Zwei Fragen, zwei Antworten –  DLR-Raumfahrtvorstand Prof. Hansjörg Dittus zur Zukunft des DLR-Standorts Lampoldshausen anlässlich der Industrial Days 2020
Prof. Hansjörg Dittus ist DLR-Vorstand für Raumfahrtforschung und -technologie und spricht im Kurzinterview über die Herausforderungen für den DLR-Standort Lampoldshausen : neue Antriebstechniken, Trends im Bereich der Trägersysteme und die Bedeutung von Kooperationen mit Universitäten und kleinen, mittelständischen Unternehmen.

Technischer Generationenwechsel für mehr Effizienz bei den Prüfständen

Mit dem Projekt FLAME (Future Lampoldshausen Exploitation) erarbeitet das DLR im Rahmen eines ESA-Programms die Grundlagen für eine umfassende Modernisierung und Digitalisierung der Triebwerksprüfstände und baut dadurch die strategische Bedeutung des DLR Lampoldshausen für den europäischen Raumtransport weiter aus. Für die Zukunft hat Anja Frank, Leiterin der Versuchsanlagen im Institut für Raumfahrtantriebe, einige Pläne, was die Optimierung von bestehenden Testanlagen betrifft. Unter anderem denkt sie an die verstärkte Standardisierung von Schnittstellen, den Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) für Prüfstandsanwendungen und digital adaptierter Strukturen und Prozesse. Die Voraussetzungen für den Einsatz datenbasierter Verfahren sind am DLR Lampoldshausen national und zu einem gewissen Grad auch international einzigartig. "Wir greifen auf eine umfangreiche und qualitativ hochwertige Datenbasis aus jahrzehntelangem Prüfstandsbetrieb zurück. Dies wiederum stellt eine einmalige Grundlage für den Einsatz datenbasierter Verfahren dar", fasst Anja Frank das Potenzial der DLR-Infrastruktur in Lampoldshausen zusammen.

Prüfstand reloaded: neue Technik in bewährter Hülle

Für die Zukunft des DLR Lampoldshausen sind die aus den Jahren 1960 bis 1990 errichteten und seitdem immer wieder modernisierten Großprüfstände wegweisend. Ein gutes Beispiel dafür ist der Prüfstand P5 – von außen grauer, in die Jahre gekommener Beton und innen die modernste Technik. Er wurde mit der Entwicklung des Hauptstufentriebwerks Vulcain der Ariane 5 errichtet und 1990 in Betrieb genommen. Um den Prüfstand P5 für zukünftige Entwicklungen auf dem Gebiet der LOX/Methan-Technologie vorzubereiten, investiert das DLR am Standort Lampoldshausen rund 30 Millionen Euro. Mit der Erforschung von Methan als Brennstoff trägt das DLR damit zu aktuellen Neuentwicklungen wie dem europäischen Technologiedemonstrator "Prometheus" bei – einem schubstarken und wiederverwendbaren Raketentriebwerk, das mit Flüssigsauerstoff (LOX) und Flüssigmethan (LCH4) angetrieben werden soll.

Herausforderungen in den 2020ern

Auf der Agenda der standortstrategischen Ausrichtung rangieren innovative Prüfstandstechnologie und nachhaltige Energieversorgung ganz oben. Mit wissenschaftlicher Expertise, einzigartiger Infrastruktur und der Offenheit für den Einsatz neuer Technologien aus den Bereichen Digitalisierung und künstliche Intelligenz hat sich Lampoldshausen zum europäischen Forschungs- und Technologiestandort für flüssig-chemische Raumfahrtantriebe entwickelt. "Wir haben mit der Strategie 'Lampoldshausen 2030' ein klares Bild von der Zukunft. Dass wir dabei auf ein stabiles Fundament aufbauen können – sowohl technologisch als auch in strategischen Partnerschaften – hilft ungemein", beschreibt Prof. Stefan Schlechtriem, Direktor des DLR-Instituts für Raumfahrtantriebe, die derzeitigen Pläne für die Standortentwicklung. "Aber darauf können wir uns nicht ausruhen. Wir müssen unsere Prozesse den zukünftigen Anforderungen anpassen. Das Umfeld, in dem wir uns bewegen, bleibt weiterhin enorm agil. Ziel ist es, in Lampoldshausen wettbewerbsfähige Prüfstände zu schaffen. Sie sichern uns enorme Vorteile in punkto Flexibilität, Zeit- und Kostenaufwand."

Kontakt

Anja Kaboth

Kommunikation Lampoldshausen
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Kommunikation
Im Langen Grund, 74239 Hardthausen
Tel: +49 6298 28-201

Andreas Schütz

Leitung Kommunikation, Pressesprecher
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Kommunikation
Linder Höhe, 51147 Köln
Tel: +49 2203 601-2474

Prof. Dr.-Ing. Stefan Schlechtriem

Direktor
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Institut für Raumfahrtantriebe
Im Langen Grund, 74239 Hardthausen