29. November 2023 | Ungewöhnliche harmonische Verhältnisse bei den Umlaufzeiten von sechs „Sub-Neptunen“

Sechs Planeten in Resonanz im Haar der Berenike

  • Der Stern HD 110067 wird von sechs Planeten umkreist, deren Umlaufzeiten alle in ganzzahligen Resonanzverhältnissen stehen.
  • Harmonische Resonanzen deuten darauf hin, dass dieses Planetensystem seit seiner Entstehung unverändert ist.
  • Entdeckung erfolgte mit der Transitmethode aus der Kombination von Lichtkurvenmessungen der beiden Weltraumteleskope TESS und CHEOPS.
  • Schwerpunkte: Raumfahrt, Exoplaneten, Astronomie, Weltraumteleskope

Mit Oktave, Quinte und Quarte verbinden wohl die meisten harmonische Klänge, deren Frequenzen in einem wohldefinierten, ganzzahligen Verhältnis stehen, 2:1 bei der Oktave, bei der Quinte 3:2 und der Quarte 4:3. Schon Johannes Kepler beschrieb die harmonischen Verhältnisse der Bahnen und Sonnenumlaufzeiten unserer Planeten 1609 in seinem Werk „Harmonices mundi libri V“ (Fünf Bücher zur Harmonik der Welt). Auch in dem neu entdeckten Exoplanetensystem um den Stern HD 110067 findet man bei den Umlaufzeiten von gleich sechs entdeckten Planeten solche harmonischen Verhältnisse. Das deutet darauf hin, dass dieses System seit seiner Entstehung vor mehr als fünf Milliarden Jahren unverändert geblieben ist. Entdeckt wurden diese Planeten nicht mit einer einzigen Beobachtung, sondern in der Kombination verschiedener Teleskope. Die Geschichte von der Entdeckung bis zur umfassenden Charakterisierung des Planeten-Sextetts liest sich wie eine Detektivgeschichte. Nun ist diese im Wissenschaftsmagazin Nature erschienen. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) ist beteiligt.

Mehrplanetensysteme sind ideal, um Modelle zur Entstehung von Planeten und ihrer Entwicklung zu testen. Die nun entdeckten und charakterisierten sechs Planeten haben Durchmesser zwischen denen von Erde (rund 12.750 Kilometer) und Neptun (knapp 50.000 Kilometer oder vier Erddurchmesser) – daher auch Sub-Neptune genannt – und kreisen um einen Stern, der etwa 80 Prozent des Sonnendurchmessers und vier Fünftel der Sonnenmasse aufweist. Er ist 104 Lichtjahre von der Sonne entfernt. An der Studie waren 140 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beteiligt, darunter auch fünf vom DLR-Institut für Planetenforschung und zwei vom DLR-Institut für Optische Sensorsysteme in Berlin-Adlershof. Erstautor ist der Astrophysiker Dr. Rafael Luque von der Universität Chicago.

Animation: Harmonische Verhältnisse im Planetensystem HD 110067
Alle sechs entdeckten Planeten, die den Stern HD 110067 umkreisen, haben Umlaufzeiten, die in ganzzahligen Verhältnissen zueinander stehen. Dadurch sind Resonanzen gegeben, wie sie auch in der Musik als Quinte (3:2) und Quarte (5:4) bekannt sind. So sind die Bahnresonanzen zwischen den Planeten HD 110067 b und c, c und d und d und e jeweils 3:2, also eine Quinte, sowie zwischen den Planeten e und f bzw. f und g jeweils 4:3, was einer Quarte entspricht. In dieser Animation sind die Bahnen und Planetengrößen relativ zueinander maßstabsgetreu dargestellt (allerdings nicht relativ zur Größe des Sterns). Das gelbe Band zeigt die Transitregion an, in der die Planeten von der Erde beobachtet werden können, die an HD 110067 vorbeiziehen. Die Tonhöhe der Noten, die beim Transit der einzelnen Planeten gespielt werden, entspricht der resonanten Änderung der Umlauffrequenzen zwischen den einzelnen Planeten.
Credit:

Hugh Osborne (University of Bern)

Weltraumteleskope TESS und CHEOPS lieferten die Messungen

Zunächst wurde das NASA-Weltraumteleskops TESS (Transiting Exoplanet Survey Satellite,) im Frühjahr 2020 auf Helligkeitsschwankungen um den Stern HD 110067 im Mess-Sektor 23 aufmerksam, die zwei Planetenkandidaten, sogenannten TESS Objects of Interest, TOI, zugeordnet wurden. Zwei Jahre später, im Februar und März 2022, beobachtete TESS ein anderes Himmelsfeld, Sektor 49 das sich mit Sektor 23 überschnitt und in dem sich der Stern HD 110067 befand. Aus den kombinierten Daten schlossen die Forschenden auf zwei Planeten. Der erste Planet HD 110067 b (der erste entdeckte Planet an einem anderen Stern bekommt immer den Buchstaben „b“), zeigte eine Umlaufzeit von 9,114 Tagen. Der zweite Planet HD 110067 c benötigt 13,673 Tage für seinen Sternumlauf. Aber es blieben Transitereignisse, die vorerst nicht gedeutet werden konnten.

In dieses Rätsel konnten Beobachtungen des 2019 ins All gebrachte ESA-Weltraumteleskops CHEOPS (Characterising Exoplanet Satellites) mehr Licht bringen. „Mit CHEOPS konnten wir den Stern ganz gezielt zu den Zeiten beobachten, in denen Transitereignisse erwartet wurden“ erklärt Dr. Alexis M. S. Smith, einer der DLR-Autoren und Wissenschaftler im CHEOPS Science Team „Das war dann der Schlüssel zur weiteren Interpretation des Systems“. Denn die CHEOPS-Daten bestätigten einen dritten Planeten HD 110067 d, der 20,519 Tage für eine Umrundung seines Sterns benötigt. Zum Vergleich: In unserem Sonnensystem hat der innerste Planet Merkur eine Umlaufzeit von 88 Tagen. Schaut man sich die Umlaufzeiten dieser drei Planeten an, so stehen sie im Verhältnis 3 zu 2. Während also der Planet „b“ drei Umläufe um seinen Stern absolviert, sind es bei „c“ nur zwei, und wiederum absolviert Planet „d“ zwei Umläufe, während „c“ dreimal den Stern umrundet. Alle drei Planeten haben also Umlaufzeiten in ganzzahligen Resonanzverhältnissen, in diesem Fall entspricht dies in der Harmonielehre der Musik einer Quinte.

Allerdings gab es in den Daten jedes TESS-Sektors noch weitere Dips, also „Dellen“ in der aufgezeichneten Stärke des Sternenlichts über einen gewissen Zeitraum, seiner Lichtkurve, und damit einen Hinweis auf mögliche Transitereignisse von weiteren Planeten, die vor diesem Stern vorbeizogen, die aber nicht zugeordnet werden konnten. Unter der Annahme, dass die harmonische Anordnung weitergeführt werden kann, konnte man zwei Transits aus den beiden TESS-Sektoren – und damit zeitlich weit getrennt – einem vierten Planeten zuordnen: HD 110067 e mit einer Umlaufzeit von 30,8 Tagen, der nun mit dem Planeten d im Verhältnis 3:2 steht.

Resonanzen wie in Mozarts „Kleiner Nachtmusik“

Dann gab es noch zwei einzelne Transits im TESS-Sektor 49, hinter denen man zwei weitere Planeten, „f“ und „g“, vermutete. Aus den mathematischen Überlegungen stabiler Umlaufbahnen und möglicher Kombinationen von Umlaufzeiten, die sich widerspruchsfrei in die gefundenen Daten einfügten, ergaben sich die zwei weiteren Planeten: HD 110067 f mit 41,0 Tagen Umlaufzeit und HD 110067 g mit 54,7 Tagen Umlaufzeit. Damit zeigt sowohl das Verhältnis der Umlaufzeiten der Planeten „f“ und „e“ als auch das zwischen den Planeten „g“ und „f“ eine Resonanz von 4:3. Musikalisch gesehen ist das eine Quarte, die zum Beispiel als berühmte „reine“ Quarte in Mozarts „Kleiner Nachtmusik“ zur Geltung kommt.

Mit diesen Umlaufzeiten hätte man Transits der beiden Planeten schon früher, bei den Beobachtungen von Sektor 23, sehen müssen. Es stellte sich aber heraus, dass in diesen entsprechenden Zeiten sehr viel Streulicht durch Erde und Mond auf dem Detektor landete und somit ein hohes, störendes Hintergrundrauschen auftrat, das verhinderte, das Planetensignal zu erkennen. Normalerweise werden diese Aufnahmen aussortiert, aber eine neue Auswertung der Daten mit den bekannten Zeiten für einen Transit zeigten dann die Transits in den Lichtkurven.

Über so lange Zeiträume unveränderte Systeme extrem selten

Das jetzt gefundene Mehrplanetensystem um HD 110067 mit seinen Harmonien ist nicht das erste, das entdeckt wurde. Extrem selten sind jedoch Systeme wie HD 110067, bei denen sich die Resonanzen über eine so lange Kette von sechs Planeten und gleichzeitig über einen so langen Zeitraum von acht Milliarden Jahren erhalten haben. Von Beobachtungen und Modellen ausgehend bewahren nur etwa ein Prozent aller Planetensysteme ihre ursprüngliche Resonanz.

Die harmonische Anordnung der Bahnen schließt eine größere Störung während der letzten Milliarde von Jahren aus und kann daher Aufschluss über die Entstehung und Entwicklung von Planetensystem geben. Da HD 110067 ein sehr heller Zwergstern ist – Helligkeit 8 Magnituden –, ist dieser Stern im Sternbild „Haar der Berenike“ auch in Zukunft ein hochinteressantes Beobachtungsziel, das man wohl bald genauer mit dem James-Webb-Teleskop beobachten wird.

Zur Veröffentlichung: A resonant sextuplet of sub-Neptunes transiting the bright star HD 110067, Nature, 623, 932-937 (2023), https://doi.org/10.1038/s41586-023-06692-3

Über das Sternbild

Das Sternbild Haar der Berenike ist über der Nordhalbkugel der Erde sichtbar und findet sich zwischen den Sternbildern Löwe, Jungfrau und Bärenhüter. Es ist vergleichsweise unscheinbar, Hauptstern ist der Diadem. Im Vergleich zu den viel bekannteren Sternbildern wie Großer Wagen, Orion (das markanteste Wintersternbild) oder der zwölf Sternbilder des Tierkreises wie Widder oder Skorpion fällt jedoch der etwas rätselhafte, exotische Name dieses Sternbildes auf. In der früher üblichen (und noch heute gültigen) lateinischen Bezeichnung Coma Berenices kommt man der Bedeutung einen kleinen Schritt näher, denn Coma ist Lateinisch für „Haupthaar“.

Wer also war die Berenike, nach der dieses Sternbild benannt ist? Berenice von Cyrene war die Cousine und dann Gemahlin des ägyptischen Königs Ptolemaios III. und lebte von 270 bis 221 vor Christus. Die Anekdote aus der Antike erzählt, dass Berenike das Gelübde ablegte, ihr Haar abzuschneiden, sollte ihr Gemahl siegreich aus dem Krieg gegen die Syrer zurückkehren, in den er am Tag nach der Hochzeitsnacht aufbrach. Und so geschah es: Berenike, was auch „die Siegbringende“ heißt, opferte ihre Lockenpracht auf dem Altar der Aphrodite in Assuan.

Am kommenden Tag aber waren die Haare verschwunden, und die Legende erzählt, dass der Hofastronom die nun im Königshaus natürlich etwas delikat gewordene Situation rasch so deutete: Die Götter hätten sich der wunderschönen Haare bemächtigt und sie aus Freude über das Kriegsglück und aus Bewunderung für Berenices Opferwillen an den Himmel versetzt. Dort können sie jetzt von allen bewundert werden. Das Haar der Berenike ist das einzige der 88 heutigen Sternbilder, das nach einer historischen Person benannt ist. Die Sterne waren natürlich schon vor diesem Ereignis dort und bildeten davor – die Schwanzquaste des benachbarten „Löwen“.

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Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Institut für Planetenforschung
Extrasolare Planeten und Atmosphären
Rutherfordstraße 2, 12489 Berlin

Dr. Alexis Smith

Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Institut für Planetenforschung
Extrasolare Planeten und Atmosphären
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