2. Dezember 2025 | Neuer Algorithmus liefert bisher nie dagewesene Informationen für die Klimaforschung

So dick ist das Meereis im arktischen Ozean

  • Ein am DLR entwickelter Algorithmus liefert erstmals hochaufgelöste Karten, die Rückschlüsse auf die aktuelle Meereisdicke erlauben.
  • Ermöglicht wird dies durch die Kombination von Daten der europäischen Radarsatelliten Sentinel-1 mit Messungen des Laseraltimeters ATLAS an Bord des NASA-Satelliten ICESat-2.
  • Die Auflösung der erzeugten Meereiskarten liegt bei 100 Metern und übertrifft die der bisherigen Karten aus zusammengetragenen Messungen um das 250-fache.
  • Die gewonnenen Erkenntnisse bilden eine neue Grundlage für die Umwelt- und Klimawissenschaften.
  • Schwerpunkte: Raumfahrt, Erdbeobachtung, Klimaforschung, Verkehr, Maritime Forschung

Die Arktis ist eines der am wenigsten vom Menschen erschlossenen Gebiete der Erde – gleichzeitig sind die Veränderungen durch die globale Erwärmung hier so deutlich zu spüren wie in keiner anderen Region. Seit Jahren nimmt die Meereisbedeckung ab und das vorhandene Eis wird dünner. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) hat einen neuen Algorithmus entwickelt, der Radarsatellitenaufnahmen der europäischen Sentinel-1-Mission und Höhenprofilmessungen des NASA-Satelliten ICESat-2 kombiniert, und so erstmals eine hochaufgelöste Berechnung der Eisdicke ermöglicht.

Das Meereis spielt eine wichtige Rolle für das Erdklima. Die weißen, schneebedeckten Flächen reflektieren Sonnenlicht in den Weltraum. Dünneres Eis erscheint dunkler, weil es transparenter ist und das Meerwasser durchschimmern lässt. In der Folge reflektiert dünneres Eis auch weniger Sonnenlicht zurück in den Weltraum. Es wird wärmer: nicht nur in der Arktis, sondern überall auf der Erde.

Bestimmte Meereiseigenschaften wie die Eiskonzentration oder das Alter des Eises werden traditionell aus den Satellitendaten abgelesen und bilden seit Jahrzehnten die Basis für Forschungen zum Klimasystem der Erde. Aus Satellitenaufnahmen war die Eisdicke bisher nicht flächendeckend messbar. Unser neuer Algorithmus liefert nun erstmals Informationen bezüglich der Eisdicke, die zum Beispiel die Navigation von Schiffen in polaren Gewässern ganz entscheidend verbessern könnten.

Dr. Karl Kortum, DLR-Institut für Methodik der Fernerkundung in Bremen

Wie Satelliten das Meereis messen

Auf Satelliten verbaute Laseraltimeter messen entlang einer Linie unter dem Satelliten ein Höhenprofil und damit den sogenannten Freibord des Eises, das heißt die Höhe des Eises über dem Meeresspiegel. Altimeter sind ein wichtiges Instrument der Klimaforschung aus dem Weltall – allerdings erfolgt die Messung mit ihnen nur linienhaft. Um flächendeckende Karten zu erhalten, müssen alle Messungen eines Monats zusammengetragen werden, wobei die Kartenauflösung dann nur noch 25 Kilometer beträgt.

Radarsatelliten liefern flächige – also zweidimensionale – Aufnahmen der Erdoberfläche, in denen Landmassen, Gewässer, Eisflächen und innerhalb des Eises verschiedene Strukturen wie Presseisrücken oder Schmelzwasser sichtbar werden. Die Größe und Auflösung der Aufnahmen sind dabei einstellbar. In der Regel deckt eine Sentinel-1-Aufnahme über der Arktis eine Fläche von 400 mal 400 Kilometern ab. Deutschland ließe sich mit zwei Aufnahmen des Radarsatelliten fast vollständig abdecken. Die Bildauflösung beträgt 40 Meter.

Hintergrundinfo: Laseraltimeter und Freibord

Laseraltimeter

Ein Laseraltimeter oder -höhenmesser ist ein Instrument, das verwendet wird, um die Topographie oder die Form der Oberfläche eines Planeten zu ermitteln. Dieser Planet kann die Erde, der Mars oder sogar der Merkur sein. Ein Laseraltimeter kann von einem Flugzeug, einem Hubschrauber oder einem Satelliten aus bedient werden.

Freibord

Der Freibord ist der Teil eines schwimmenden Eisstücks, der über die Wasseroberfläche hinausragt. Diese Höhe wird verwendet, um zusammen mit anderen Messungen, wie der Schneedicke, die Dicke des gesamten Eises zu berechnen, das auf dem Ozean schwimmt. Die Messung des Freibords ist wichtig, um das Eisvolumen zu ermitteln und spielt eine entscheidende Rolle bei der Erforschung des Klimawandels.

Von der Eisoberfläche zur Eisdicke

Aufnahmen von Radarsatelliten zeigen „Echos“ der Erdoberfläche. Die Satelliten senden aus ihren Orbits in mehreren hundert Kilometern Höhe ein Radarsignal aus, das die Erdoberfläche je nach Art des Untergrunds unterschiedlich reflektiert. Der Satellit misst dann die reflektierten Echos, wertet sie aus, und setzt sie zu einem Bild zusammen, das die Erd- und Eisoberfläche zeigt. Doch die Radarbilder aus dem All bilden nur die Oberflächenbeschaffenheit des Eises, nicht jedoch die Eisdicke.

Der neue Algorithmus des DLR-Instituts für Methodik der Fernerkundung in Bremen schafft aber genau das: durch den Abgleich mit Altimeterdaten wird dem Radarsignal eine Information zugeordnet, die mit der Eisdicke in Zusammenhang steht. Insgesamt erzeugt der Algorithmus Eiskarten von der Höhe beziehungsweise Dicke des Eises über dem Meeresspiegel – dem Freibord. Wenn Schnee- und Dichteinformationen hinzugefügt werden, lässt sich daraus die gesamte Eisdicke berechnen.

In einer aktuellen Studie konnten die Forschenden die Funktionsfähigkeit des neuen Algorithmus nachweisen. Die Auflösung der generierten Meereiskarten liegt bei 100 Metern und übertrifft damit die bisherigen Karten aus monatlich zusammengetragenen Altimetermessungen um das 250-fache. So werden nun erstmals flächendeckend feine Unterschiede innerhalb des Eises sichtbar.

Bewegungen im Eis auf der Spur

Die europäischen Radarsatelliten der Sentinel-1-Mission bewegen sich auf einer polnahen Umlaufbahn, wodurch sie gerade Regionen in hohen geographischen Breiten häufiger aufnehmen können – manche arktischen Gewässer mehrmals täglich. Dies ist wichtig, denn Wind und Meeresströmungen verändern das Eis ständig. Innerhalb weniger Stunden können lose Eisschollen zusammengeschoben werden und offene Wasserbereiche schließen. Hält der Druck an, stapeln sich Eisschollen über- und untereinander, oder richten sich senkrecht auf. Die so gebildeten Presseisrücken können meterdick werden. Es ist aber auch möglich, dass eine geschlossene Eisdecke durch entgegengesetzte Kräfte aufbrechen und abgetragen werden kann.

Der neue, auf Sentinel-1-Aufnahmen basierende Algorithmus, erlaubt also nicht nur Rückschlüsse auf die Eisdicke in sehr viel höherer Auflösung, sondern auch mit schneller Taktung. Die erzeugten Eiskarten zeigen sehr detailliert die sich ständig wechselnde Topografie der ältesten Schollen in der Arktis. Sie schaffen damit nicht nur eine neue Grundlage für die Umwelt- und Klimawissenschaften, sondern könnten auch die Schifffahrt in der Arktis revolutionieren. Schiffsrouten, die durch dünneres Eis gehen, sind effizienter und sicherer.

Die Studie für den neuen Algorithmus wurde in Zusammenarbeit mit dem Dänischen Meteorologischen Institut und der Universität Bremen durchgeführt.

Aktuell plant das DLR in einem Forschungsprojekt gemeinsam mit Drift+Noise Polar Services die Eignung der neuen Eiskarten für die Routenführung von Schiffen zu untersuchen. Denn die Dicke des Eises, und sei es nur der Teil über dem Meeresspiegel, ist für Schiffsführende eine wichtige Information, die so noch nie zur Verfügung stand. 

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Kontakt

Jana Hoidis

Kommunikation Bremen, Bremerhaven, Hamburg, Oldenburg, Kiel, Geesthacht
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
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