Vorhang auf, Bühne frei für BIOMASS, den „Lungenvolumen-Detektor“ der Erde
24. Juni 2025 | Radar aus dem All zur präzisen Bestimmung der Biomasse auf unserem Planeten
Vorhang auf, Bühne frei für BIOMASS, den „Lungenvolumen-Detektor“ der Erde
BIOMASS-Radaraufnahme: Tarakan an der Nordostküste von Borneo in Nordkalimantan, Indonesien
Im polarimetrischen Bild erscheinen Wasser und unbewachsene Felder in Blautönen, während der Wald in Rottönen erscheint, was auf eine starke Wechselwirkung zwischen Boden und Baumstamm deutet. Die überfluteten Wälder haben aufgrund der verstärkten Wasser-Baumstamm-Interaktion einen besonders intensiven Rotton. Polarimetrische HSI-Darstellung (Farbton, Sättigung, Intensität): Die Farbe (Farbtonkomponente) gibt die Art des Streumechanismus an. Blaue Farben stehen für oberflächen-ähnliche Streuer (zum Beispiel unbewachsenes Gelände), grüne Farben stehen für dipol-ähnliche Streuer (wie in Vegetation oder volumetrischen Streuern), und rote Farben stehen für dihedral-ähnliche Streuer (etwa bei Wechselwirkung zwischen Boden und Baumstämmen in Wäldern oder zwischen Boden und Gebäudefassaden in städtischen Gebieten). Die Bilder und Ergebnisse entstanden im Rahmen des von der ESA finanzierten Projekts „ESA Biomass In-Orbit Commissioning“. Alle Radarbilder wurden vom DLR prozessiert.
Bild: 1/6, Credit:
ESA
BIOMASS-Radaraufnahme: Der Amazonas im brasilianischen Bundesstaat Pará
Der Fluss und alle Gewässer in der Szene erscheinen blau. Der rote Farbton im Waldgebiet auf beiden Seiten des Flusses weist auf die signifikante Boden-Baumstamm-Interaktion unter dem Blätterdach hin, die auf die Eindringfähigkeit des P-Bandes zurückzuführen ist. Polarimetrische HSI-Darstellung (Farbton, Sättigung, Intensität): Die Farbe (Farbtonkomponente) gibt die Art des Streumechanismus an. Blaue Farben stehen für oberflächen-ähnliche Streuer (zum Beispiel unbewachsenes Gelände), grüne Farben stehen für dipol-ähnliche Streuer (wie in Vegetation oder volumetrischen Streuern), und rote Farben stehen für dihedral-ähnliche Streuer (etwa bei Wechselwirkung zwischen Boden und Baumstämmen in Wäldern oder zwischen Boden und Gebäudefassaden in städtischen Gebieten). Die Bilder und Ergebnisse entstanden im Rahmen des von der ESA finanzierten Projekts „ESA Biomass In-Orbit Commissioning“. Alle Radarbilder wurden vom DLR prozessiert.
Bild: 2/6, Credit:
ESA
Mission Biomass – präzise Bestimmung der Biomasse unserer Wälder
Im April 2025 ist die ESA-Mission Biomass gestartet. Sie soll erstmals eine präzise Bestimmung der Biomasse unserer Wälder ermöglichen. Deutschland ist mit über 20 Prozent an der Mission beteiligt und stellt das Hauptinstrument. Diese Beiträge werden von der Deutschen Raumfahrtagentur im DLR koordiniert. Das DLR-Institut für Hochfrequenztechnik und Radarsysteme hat Flugzeug-Messkampagnen für die Entwicklung von Algorithmen zur Abschätzung der Waldbiomasse durchgeführt, den Prototypen des Radardatenprozessors und den Software-Simulator für das deutsche Radarsystem entwickelt.
Nach einem reibungslosen Start in die Commissioning-Phase des Erdbeobachtungssatelliten BIOMASS der Europäischen Weltraumorganisation ESA erzeugte das BIOMASS-Team des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) nun das erste Radarbild – ein Meilenstein, denn es ist das erste fokussierte SAR-Bild im P-Band, das jemals aus dem Weltraum aufgenommen wurde. Die Bilder und Ergebnisse entstanden im Rahmen des von der ESA finanzierten Programms „ESA BIOMASS In-Orbit Commissioning“.
Die Start- und Frühbetriebsphase (Launch and Early Orbit Phase, kurz LEOP genannt), in der der Satellit in seine Umlaufbahn gebracht und seine Systeme aktiviert und getestet wurden, endete mit dem spektakulären Entfalten der zwölf Meter großen Reflektor-Antenne. Direkt im Anschluss begann – nahezu zwei Wochen früher als geplant – die Inbetriebnahmephase, In-Orbit Commissioning (IOC). Das SAR-Instrument (SAR steht für Synthetic Aperture Radar) wurde am 21. Mai 2025 erstmals eingeschaltet. Die erste Radaraufnahme erfolgte bereits am nächsten Morgen. Noch am selben Tag wurden die ersten Datensätze zur Erde übertragen und erschienen wenige Stunden später auf den Servern des ESA-Bodenstationssegments am European Space Research Institute (ESRIN) bei Rom. Um 16:20 Uhr wurde schließlich von den DLR-Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des DLR-Instituts für Hochfrequenztechnik und Radarsysteme in Oberpfaffenhofen das erste fokussierte Radarbild erzeugt. Ziel der Inbetriebnahmephase ist es, sowohl das Instrument als auch die gesamte Prozesskette der Datenerfassung und -verarbeitung zu kalibrieren, zu charakterisieren und zu verifizieren. Aufgrund der hochinnovativen Auslegung der BIOMASS-Mission ist die Planung und Durchführung dieser Phase komplexer als bei konventionellen SAR-Systemen. Sie ist auf eine Dauer von etwa sechs Monaten angesetzt. Gestartet war der Satellit der insgesamt siebten Earth-Explorer-Mission der ESA am 29. April 2025 vom Weltraumbahnhof in Französisch-Guayana.
BIOMASS ist nicht nur die erste weltraumgestützte Mission im P-Band, sondern auch die erste vollständig polarimetrische ESA-Mission sowie die erste mit einem systematischen Multi-Winkel-Aufnahmekonzept. Entsprechend mussten im Verlauf der Entwicklung – von der ersten Missionsidee bis zur Startbereitschaft – zahlreiche wissenschaftliche und technologische Herausforderungen gemeistert werden.
Hintergrundinfo: Radar-Fernerkundung
Radartechnologie ist ein wichtiger Teil der Fernerkundung, da ihre Aufnahmen wetter- und tageszeitunabhängig sind. Wo zum Beispiel optische Kameras, die also im sichtbaren Wellenlängenbereich aufnehmen, bei schlechtem Wetter und bei Dunkelheit keine Bilder liefern können, „sieht“ ein Radar unter anderem durch dichteste Wolken bei dunkelster Nacht. Die abgestrahlte Energie strahlt das Radar seitlich zur Überfluglinie, beispielsweise eines Satelliten. Abhängig von der Wellenlänge unterscheidet sich je nach Beschaffenheit vom Boden das reflektierte, spezifische Signal, das dann das Radarbild erzeugt. In der Erdbeobachtung arbeitet man mit Radar in verschiedenen Wellenlängen. Typisch sind das X-Band (3,1 Zentimeter), C-Band (5,6 Zentimeter), L-Band (23,5 Zentimeter). Es gilt: Je langwelliger, desto größer ist die Eindringtiefe eines Radars, denn unter anderem lange Wellen beugen sich leichter um Hindernisse herum. Das P-Band arbeitet mit besonders langen Mikrowellenwellenlängen zwischen 66 und 71 Zentimetern und ermöglicht damit eine sehr tiefe Durchdringung von beispielsweise Vegetation, Sand und Böden als kurzwelligere Radarfrequenzen wie im C- oder L-Band. So lassen sich im P-Band verborgene Strukturen im Untergrund oder die innere Waldstruktur erfassen. P-Band-Radar liefert dadurch einzigartige Informationen zur Bodenfeuchte, der Geländetopografie oder zur Biomasse der Erde – und das auch unter dichten Baumkronen oder trockener Sandbedeckung. Bei einem polarimetrischen Radarsatelliten wird das elektrische Feld der elektromagnetischen Wellen von Puls zu Puls jeweils in einer bestimmten Ausrichtung ausgesendet – entweder vertikal oder horizontal. Ähnlich funktioniert der Empfang: Die Radarantenne und das Radarsystem verfügen über zwei Empfangskanäle, mit denen das Echosignal sowohl in horizontaler als auch in vertikaler Polarisation aufgezeichnet wird. Auf diese Weise lassen sich alle Polarisationszustände der Rückstreuung von der Erdoberfläche erfassen, wodurch die Radarbilder deutlich mehr Informationen enthalten – insbesondere für Anwendungen wie Waldbiomasse oder Bodenfeuchtebestimmung.
Das DLR war von Anfang an maßgeblich an der Mission BIOMASS beteiligt. Über sämtliche Missionsphasen hinweg unterstützte das DLR die ESA unter anderem mit der Entwicklung zentraler Algorithmen zur Kalibrierung, zur Korrektur ionosphärischer Effekte sowie zur Erfassung von Wald-Biomasse mittels polarimetrischer SAR-Interferometrie und Tomographie. Damit leistet das DLR von Beginn an wichtige Beiträge zur Überwindung der komplexen Herausforderungen der Mission.
Während der Inbetriebnahmephase des Satelliten übernimmt das DLR eine Schlüsselrolle, insbesondere im Bereich der Systemcharakterisierung, der polarimetrischen und ionosphärischen Kalibrierung sowie der Leistungsüberprüfung. Neben den Kalibrierungs- und Validierungsaufgaben werden bereits jetzt verschiedene wissenschaftliche Untersuchungen durchgeführt. Dazu gehört unter anderem die Charakterisierung der Erdatmosphäre – insbesondere der Ionosphäre – während der aufsteigenden (6:00 Uhr Ortszeit) und absteigenden (18:00 Uhr Ortszeit) BIOMASS-Orbits. Hierfür werden besonders lange SAR-Aufnahmen gemacht, die sich über eine Entfernung von bis zu 12.000 Kilometern erstrecken und sehr unterschiedliche Bereiche der Ionosphäre abdecken. Eine weitere zentrale Aufgabe ist die Analyse der zeitlichen Stabilität der Radar-Wechselwirkung im Wald im P-Band – ein entscheidender Aspekt für die spätere Kombination mehrerer Beobachtungswinkel zur Erstellung erster tomographischer 3D-Waldabbildungen.
Beginn einer spannenden Reise
Im Verlauf der Inbetriebnahme werden der Satellit, das SAR-Instrument sowie die komplette Datenverarbeitungs- und -übertragungskette schrittweise auf volle Einsatzfähigkeit gebracht. Bis zum Ende der IOC-Phase im November 2025 wird BIOMASS in seine operationelle Umlaufbahn übergehen und mit der regulären Datenerfassung beginnen. Die Mission wird dann der internationalen Erdbeobachtungsgemeinschaft umfassende Daten bereitstellen, die zur Erfassung räumlicher Muster von Biomasse und Waldhöhen, zur Überwachung von Veränderungen über die Zeit und zur erstmaligen dreidimensionalen Rekonstruktion von Waldstrukturen beitragen – und somit die Missionsziele verwirklichen.
Die Abbildungen zeigen erste BIOMASS-Radaraufnahmen aus der frühen Inbetriebnahmephase. Die Farben spiegeln das polarimetrische Verhalten der Radarwellen wider. Solch detaillierte Aufnahmen waren bislang mit keinem Radarsatelliten im All möglich.
Insgesamt ist Deutschland mit über 20 Prozent an der BIOMASS-Mission beteiligt und zudem für zentrale technologische Arbeitspakete verantwortlich, darunter die Entwicklung des Radarinstruments und der Zentralelektronik durch Airbus Defence and Space GmbH. Weitere deutsche Unternehmen wie DSI Aerospace GmbH, OHB System AG, ArianeGroup GmbH, TESAT Spacecom GmbH, United Monolithic Semiconductors, Rockwell Collins GmbH und das Zentrum für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation (ZARM) in Bremen sind an der Mission beteiligt. Darüber hinaus wurde zur Koordination der wissenschaftlichen Nutzung der Mission ein Projektbüro am Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena eingerichtet. In enger Zusammenarbeit mit der Universität Jena, dem DLR und dem Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung unterstützt es die nationale und internationale Nutzergemeinschaft durch Informationsaufbereitung, Identifikation von Lücken und Förderung des Austauschs – etwa über Webinare, Sommerschulen und Tutorials. Die Deutsche Raumfahrtagentur im DLR koordiniert diese Beiträge.
Kontakt
Philipp Burtscheidt
Presseredaktion
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Kommunikation
Linder Höhe, 51147 Köln
Tel: +49 2203 601-2323
Martin Fleischmann
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Deutsche Raumfahrtagentur im DLR
Kommunikation & Presse
Königswinterer Str. 522-524, 53227 Bonn
Tel: +49 228 447-120
Dr. Konstantinos Papathanassiou
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Institut für Hochfrequenztechnik und Radarsysteme
Radarkonzepte
Münchener Straße 20, 82234 Weßling
Dr. Pau Prats
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Institut für Hochfrequenztechnik und Radarsysteme
SAR-Technolgie
Münchner Straße 20, 82234 Oberpfaffenhofen-Weßling