22. Mai 2020 | Zwei Forschungsflugzeuge untersuchen verringerte Schadstoffkonzentrationen in der Luft

BLUESKY-Flüge in der Atmosphäre des Corona-Lockdowns

  • Ein deutsches Team, unter Federführung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) und des Max-Planck-Instituts für Chemie (MPIC) will herausfinden, wie stark sich die Einschränkungen im Zuge der COVID-19-Pandemie auf die Atmosphäre auswirken.
  • Im Rahmen der Forschungsmission BLUESKY werden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den kommenden zwei Wochen Konzentrationen von Spurengasen und Schadstoffen in der Luft über europäischen Ballungszentren sowie im Flugkorridor nach Nordamerika messen.
  • Ziel der Forschungsflugmission ist es abzuschätzen, wie die verringerten Emissionen aus Industrie und Verkehr die Atmosphärenchemie und -physik verändern.
  • Gemeinsame Pressemeldung von DLR und MPIC.
  • Schwerpunkte: Luftfahrt, Klimawandel

Ein klarer blauer Himmel ohne Kondensstreifen und leere Straßen – eine typische Situation während des Corona-Lockdowns. Der Verkehr, vor allem der Flugverkehr und die Industrieproduktion wurden durch die CoViD19-Pandemie weltweit heruntergefahren, und noch immer sind in Europa weniger Flugzeuge und Autos unterwegs als vor der Krise. Die Luftverschmutzung ist um 20 bis 40 Prozent zurückgegangen, und die der Luftfahrt sogar um 85 Prozent, wodurch die Atmosphäre deutlich geringer mit Schadstoffen aus Verkehr und Industrie belastet ist. Diese Besonderheit will ein deutsches Forscherteam nun kurzfristig für das Projekt BLUESKY nutzen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), des Max-Planck-Instituts für Chemie, der Goethe-Universität Frankfurt sowie des Forschungszentrums Jülich und des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) untersuchen weltweit erstmals mit zwei Forschungsflugzeugen die Veränderungen in der Erdatmosphäre. Die DLR-Messflugzeuge HALO und Falcon wurden dafür mit hochspezialisierten Instrumenten ausgestattet und fliegen in den kommenden zwei Wochen über Deutschland, Italien, Frankreich, Großbritannien, Irland sowie hinaus auf den Nordatlantik in den Flugkorridor nach Nordamerika.

"Das DLR bringt seine einzigartige Forschungsflotte in die Luft, für eine nahezu einmalige Gelegenheit. Dabei wird die Atmosphäre in einem Zustand vermessen, der in Zukunft durch nachhaltiges Wirtschaften erreicht werden könnte. Wir werden intensiv beobachten, wie sich die Umwelt mit dem Hochfahren unseres industriellen Lebens wieder ändern wird. Damit bekommen wir einen völlig neuen Blick auf den Einfluss des Menschen auf unsere Atmosphäre", erklärt Prof. Rolf Henke, DLR-Vorstand für Luftfahrtforschung. "Gemeinsam mit unseren Partnern leisten wir einen wesentlichen Beitrag zur Neubestimmung nach der Krise."

Koordinierte Forschungsflüge mit zwei Messflugzeugen

Prof. Dr. Jos Lelieveld vom Max-Planck-Institut für Chemie will mit der Mission BLUESKY klären, ob es einen Zusammenhang zwischen dem klaren Blau des Himmels während der Lockdowns und der Menge an Aerosolpartikeln in der Atmosphäre gibt. "Der einzigartige blaue Himmel der vergangenen Wochen lässt sich nicht durch die meteorologischen Verhältnisse und den Rückgang der Emissionen in Bodennähe erklären. Eventuell haben Flugzeuge einen größeren Einfluss auf die Bildung von Aerosolpartikeln als bisher gedacht," sagt der Atmosphärenforscher und wissenschaftliche Leiter der HALO-Flüge. Aerosole sind fein verteilte, mikroskopisch kleine Partikel in der Luft, die auch die Wolkenbildung beeinflussen. Sie streuen und absorbieren Sonnenstrahlung und haben so auch einen Einfluss auf unser Klima, denn sie beeinflussen die Strahlungsbilanz der Atmosphäre. Aerosole entstehen unter anderem bei der Verbrennung fossiler Energieträger.

Auch Prof. Dr. Christiane Voigt, Leiterin der Abteilung Wolkenphysik des DLR-Instituts für Physik der Atmosphäre und wissenschaftliche Leiterin der Flüge mit der Falcon, sieht in BLUESKY eine einmalige Chance. "Der derzeitige Zustand der Atmosphäre stellt für die Wissenschaft eine Art ‚Nullpunkt‘ dar. Wir messen eine Referenz-Atmosphäre die nur wenig mit Emissionen aus Industrie und Verkehr einschließlich der Luftfahrt belastet ist. Das gibt uns die einzigartige Möglichkeit, die Effekte der erhöhten Emissionen vor dem Shutdown besser zu verstehen." Die Atmosphärenphysikerin betont, dass es nur durch die exzellente und sehr flexible Zusammenarbeit aller Partner möglich war, sehr kurzfristig eine wissenschaftlich wie logistisch hochkomplexe Mission bei schwierigen Umständen zu planen und umzusetzen.

Emissionen des Luftverkehrs sowie von Industrie und Verkehr in Ballungszentren

Voigt und ihre Kolleginnen und Kollegen erhoffen sich von den BLUESKY-Daten ein klareres Bild des anthropogenen Einflusses auf die Zusammensetzung der Erdatmosphäre. Mit den Geräten an Bord der Forschungsflugzeuge nehmen die BLUESKY-Wissenschaftler neben den wenigen verbliebenen Kondensstreifen die Emissionen von Flugzeugen wie Stickoxide, Schwefeldioxid sowie Aerosole in Reiseflughöhe in den Blick. Sie wollen unter anderem herausfinden, wie stark diese Emissionen über Europa und im nordatlantischen Flugkorridorzurückgegangen sind. Über Europa sind in normalen Zeiten täglich etwa 30.000 Flugzeuge unterwegs mit entsprechend markanten Emissionen. Der gegenwärtig deutlich geringere Flugverkehr wird den Forschungsflugzeugen auch flexiblere Flugrouten für die Messungen erlauben.

Zudem wollen die Forscher die reduzierten Emissionsfahnen der urbanen Ballungsräume untersuchen und klären, wie sich die Emissionen in der Ebene verteilen. So wollen die BLUESKY-Wissenschaftler das Ruhrgebiet sowie die Regionen um Frankfurt/Main, Berlin und München überfliegen. Aber auch Flüge über der Poebene in Italien sowie rund um Paris und London sind geplant. "Nahe der Ballungszentren werden wir die atmosphärische Grenzschicht in ein bis zwei Kilometern Höhe ansteuern, da sich dort Emissionen von Straßenverkehr und Industrie konzentrieren", erklärt Jos Lelieveld, Direktor am Max-Planck-Institut für Chemie. "Uns interessiert, wie sehr sich die Konzentrationen an, Schwefeldioxid, Stickoxiden, Kohlenwasserstoffen und deren chemischen Reaktionsprodukten sowie Ozon und Aerosolen verändert haben." Auch deren Effekte auf die tiefe Bewölkung untersuchen die Wissenschaftler. Dass das Team weltweit das erste ist, das eine solche Messkampagne startet, mache ihn zudem sehr stolz.

Kurzfristige Vorbereitung für Flüge mit besonderen Hygieneregeln

In den vergangenen Wochen war es gelungen, die beiden Forschungsflugzeuge Falcon 20E und Gulfstream G550 HALO kurzfristig für die Mission BLUESKY im DLR-Flugbetrieb in Oberpfaffenhofen umzurüsten. "Zahlreiche Instrumente mussten eingebaut, angepasst und die Flugzeuge für die anstehende Mission modifiziert werden", sagt Dr. Burkard Wigger, Leiter der DLR-Flugexperimente. "Die enge Zusammenarbeit der Wissenschaftsorganisationen hat es ermöglicht, dass zwei Forschungsflugzeuge gleichzeitig unter den herausfordernden Corona-Bedingungen zum Einsatz kommen."

Die Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung aller Flüge findet unter Beachtung der aktuell gültigen Verhaltens- und Hygieneregeln statt. Gemeinsame Flüge von Falcon und HALO sind bis in die erste Junihälfte hinein geplant. Die Auswertung der Daten und die Analyse der Ergebnisse werden anschließend mehrere Monate in Anspruch nehmen. In die Analyse werden Vergleichsdaten füherer HALO-Forschungsflugkampagnen zu Emissionen des Luftverkehrs sowie zu Emissionen von Ballungszentren mit einfließen.

Über HALO

Das Forschungsflugzeug HALO (High Altitude – Long Range) ist eine Gemeinschaftsinitiative deutscher Umwelt- und Klimaforschungseinrichtungen. Gefördert wird HALO durch Zuwendungen des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), der Helmholtz-Gemeinschaft, der Max-Planck-Gesellschaft (MPG), der Leibniz-Gemeinschaft, des Freistaates Bayern, des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), des Forschungszentrums Jülich und des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR).

Falcon 20E

Die Falcon 20E fliegt seit mehr als 40 Jahren für den Forschungsflugbetrieb des DLR und hat sich als robust und zuverlässig erwiesen. Im Jahr 2010 hatte das DLR mit den Messflügen der Falcon als "Volcano Ash Hunter" ebenfalls kurzfristig auf eine außergewöhnliche Situation in der Atmosphäre reagiert. Die Falcon wurde im Frühjahr 2010 weltweit bekannt, als sie nach dem Ausbruch des islandischen Vulkans "Eyjafjallajökull" mit Messflügen durch die Aschewolke wichtige Daten zur Lagebeurteilung für die Wiederaufnahme des europäischen Flugverkehrs lieferte.

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Kontakt

Falk Dambowsky

Leitung Media Relations, Presseredaktion
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Kommunikation
Linder Höhe, 51147 Köln
Tel: +49 2203 601-3959

Prof. Dr. Christiane Voigt

Leitung Wolkenphysik
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Institut für Physik der Atmosphäre
Wolkenphysik
Münchener Straße 20, 82234 Weßling

Dr. Burkard Wigger

Einrichtungsleitung
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Flugexperimente
Lilienthalplatz 7, 38108 Braunschweig

Dr. Susanne Benner

Leitung Kommunikation
Max-Planck-Institut für Chemie
Max-Planck-Institut für Chemie
Hahn-Meitner-Weg 1, 55128 Mainz

Prof. Dr. Jos Lelieveld

Direktor
Max-Planck-Institut für Chemie
Hahn-Meitner-Weg 1, 55128 Mainz